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# taz.de -- Elektronik-Festival in Belgien: Radikal und ungeschliffen
> Das „Meakusma“-Festival konzentrierte sein Programm in diesem Jahr auf
> einen „Weekender“. Bespielt wurde eine Kleinstadt in der ostbelgischen
> Provinz.
Bild: Die Brüsseler Künstlerin Ojoo Gyal beim Festival in Sankt Vith
Die deutschsprachige Gemeinschaft in Ostbelgien parliert in einer
wunderschönen, eigenwilligen Sprachvarietät, die sich durch die Einflüsse
des Französischen – immerhin liegt man geografisch in der Wallonie – und
dem Eifeler Plattdeutsch auszeichnet. Hier, zwischen Aachen, Luxemburg und
Liège (Lüttich), klingen die Sätze wie gesungene Verse in einer
europäischen Hybridsprache. Hybrid zeigte sich auch das diesjährige
Programm des neuen Boutique-Festivals „Weekender“ im ostbelgischen Sankt
Vith, einer 10.000-Einwohner-Gemeinde in unmittelbarer Nähe zur
belgisch-deutschen Grenze.
Veranstaltet wird das Festival vom ansässigen ArsVitha-Kulturforum und
Meakusma npo – was Kenner*innen der randständigen Popmusik aufhorchen
lässt. Immerhin gilt [1][das Meakusma Festival] als Vorzeigeprojekt einer
Szene, die sich zwischen elektronischer (Tanz-)Musik, improvisierter Musik
und Jazz verortet. Doch dieses Jahr bleiben die Bühnen leer im 60 Kilometer
entfernten Eupen, wo das Festival bisher stattgefunden hat.
Ganz überraschen sollte das nicht, hat doch einer der Veranstalter, Michael
Kreitz, bereits letztes Jahr im Gespräch mit der taz erklärt, dass man
[2][nach der Ausgabe 2022] eine Pause einlegen werde: „Wir haben wegen der
Covid-19-Pandemie fast drei Jahre an dieser Ausgabe gearbeitet und das
massivste Programm unserer Geschichte präsentiert. Wir müssen uns
konsolidieren und schauen, wie es weitergeht.“ Mitte Juni war dann der
Öffentlichkeit klar, wie es zumindest 2023 weitergeht: Es sprach sich
herum, dass sich Kreitz und Partner beim „Weekender“-Festival engagieren.
Dennoch wolle man die diesjährige Veranstaltung explizit nicht als
„Substitut“ verstanden wissen. Mit Sankt Vith scheint man auch den
perfekten Ort gefunden zu haben, denn die Kleinstadt wird in die
Veranstaltungen aktiv mit einbezogen – obwohl Künstler*innen und die
über 1.000 Besucher*innen durchaus Krach machen. Woanders wird um 22.00
Uhr das Ordnungsamt gerufen, um Konzerte zu unterbinden, hier scheint es
niemand zu interessieren, dass [3][die markigen Basswellen von Dubstep]
durch die nächtliche Hauptstraße wehen. Stattdessen wird man tags drauf
erstaunlich freundlich in der örtlichen Bäckerei begrüßt, als die Feiernden
ihr Frühstück gemeinsam mit den den Sankt Vither*innen einnehmen, die zu
Kaffee und Kuchen kommen.
Rave-Musik aus dem Orgelautomat
Das alles geschieht im Schatten der gigantischen Pfarrkirche. Der massive
neoromanische Bau, der nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, ist auch
Schauplatz des Festivals und Bühne für den französischen Komponisten Maxime
Denuc, der am Sonntagnachmittag sein Orgelwerk „Nachthorn“ aufführt. Der
mittlerweile in Brüssel lebende Denuc drückt die Manuale und Pedale derweil
nicht selbst, sondern hat einen Orgelautomaten manipuliert, der die
vollständig am Computer programmierte Musik spielt. Das erinnert nicht nur
an Synthesizer, sondern fühlt sich auch so an: Angenähert an die flirrenden
Pads von Rave- und Trance-Musik, verleiten die Kompositionen zu spontanem
Kopfnicken und Fußwippen.
Denucs Kirchenparty ist bei Weitem nicht das einzige Highlight des neuen
Festivals, das generell mit einem konzentrierten Programm punktet: Der
italienische Schlagzeuger Andrea Belfi trommelt sich bereits am
Freitagabend mit einem imposanten Set in die Herzen der Besucher*innen.
Ojoo Gyal, in Brüssel stationierte Marokkanerin und DJ, geht danach radikal
zur Sache, verstört mit ungeschliffenen Ausflügen in tribalistischem Krach.
Sowohl die Jugend aus der Region als auch die Angereisten aus Brüssel, Köln
und Amsterdam hören gebannt zu und tanzen, wenn es möglich ist. Dafür ist
im Triangel-Kulturzentrum ausreichend Platz: Das Gebäude wirkt ähnlich
überdimensioniert wie die Kirche, bietet dafür aber perfekte
Festivalbedingungen.
Kleiner kann man auch, etwa im DIY-Laden Kuckuck am Samstagmittag beim Duo
Adiciatz aus Lyon: randständige Popsongs mit mittelalterlichem Unterton,
vorgetragen in der südfranzösischen Minderheitensprache Okzitanisch. Die
ein oder andere Träne kullert dem Publikum die Wangen herunter.
Der Zuspruch zum [4][feinen Programm des Festivals] ist insgesamt
überwältigend, weswegen man auf Seiten der Veranstalter nicht ausschließen
möchte, dass man nach der bereits geplanten und angekündigten
Meakusma-Ausgabe 2024 doch wieder einen Abstecher nach Sankt Vith wagt. Die
Einheimischen scheinen diesen Gedanken zu begrüßen: Eine Kassiererin sagt
im örtlichen Dialekt, dass sie glücklich und stolz sei, weil so viele
Menschen nach Sankt Vith kommen – und sie sich vielleicht auch ins
amusement stürzen wolle. Typisch hybrid, typisch ostbelgisch, [5][typisch
Meakusma] halt.
28 Aug 2023
## LINKS
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[5] /Meakusma-Festival-in-Belgien/!5531461
## AUTOREN
Lars Fleischmann
## TAGS
Musikfestival
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