# taz.de -- Meakusma-Festival in Belgien: Dub und Himmel zum Greifen nah | |
> Das Meakusma-Festival Eupen feiert selten gehörte und randständige Musik, | |
> eine Mischung aus Do-it-yourself-Werkstatt und Versuchslabor. | |
Bild: Lorenz Lindner alias Molto am Freitagabend in Eupen | |
„Every moment is a new moment“, erklärt US-DJ und Radioproduzent Frosty am | |
frühen Freitagabend. Mark „Frosty“ McNeill beginnt nach dieser kurzen | |
Anmoderation sein DJ-Set, es ist der Auftakt der 72-stündigen | |
Liveübertragung von Konzerten und DJ-Sets beim Meakusma-Festival im alten | |
Schlachthof von Eupen in Belgien. Das WebRadio Dublab, 1999 von McNeill | |
gegründet, sendet inzwischen auch aus einem Studio in Köln. Nun ist es | |
temporär in Eupen installiert und McNeill freut sich, dass er dabei sein | |
kann. | |
Unaufgeregt suggestiv rauscht ein Tonband, langsam zieht prötteliger | |
Maschinenlärm nach vorn und Cluster eines Pianos poppen auf, wie | |
Kohlensäure-Bläschen in einem Glas. Das Ambiente passt: Wir befinden uns im | |
Heuboden genannten Dachraum des Schlachthofs. Zum Dach hin ist der Raum | |
rundum-verglast und so wirkt auch der Himmel zum Greifen nah; über | |
Mischpult und den beiden Plattenspielern hängen Lampen, Schilf-Pflanzen | |
stehen in Tüten, Sofakissen liegen herum und laden Zuschauer zur | |
Entspannung ein. Die lassen sich nicht lange bitten, schließen die Augen, | |
der Musik konzentriert zuhörend. | |
Kein Moment ist wie der zuvor, wäre auch ein Motto für das dreitägige | |
Meakusma-Festival, dessen Programm immer wieder aufs Neue überrascht. | |
Direkt am Eingang ist in einem Gebüsch die Soundinstallation [1][„Talking | |
Gongs“] von Floris Vanhoof. Zwei Becken sind mit Kontaktmikrofonen | |
versehen, der Wind bewegt die Becken, der aufgenommene Sound mischt sich | |
mit dem Klang der Natur. Auf einem Schild im Gebäude steht ein Merksatz: | |
„Unheard Melodies are sweeter still“: Selten gehörtes musikalisches | |
Material, darum geht es in Eupen. | |
## Pedalsteel-Gitarre trifft Tenorsaxofon | |
In der sogenannten Provinz gelegen, wird hier das Randständige gefeiert, | |
das anderswo keinen Platz mehr hat: Vertreter von Avantgarde treffen auf | |
elektronischen Dancefloor, treffen auf JazzmusikerInnen. Am Freitag spielt | |
der Freejazz-Haudegen Peter Brötzmann mit der Pedalsteel-Gitarristin | |
Heather Leigh. Sein Energy-Playing am Tenorsaxofon muss sich mächtig | |
anstrengen, um gegen die phantomhafte, metalmäßig verstärkte Gitarre der | |
US-Künstlerin anzukommen. Am Samstag präsentiert die Düsseldorfer DJ Lena | |
Willikens auf Einladung des Goethe-Instituts befreundete japanische | |
ProduzentInnen. | |
Meakusma ist ein Festival zum Anfassen. Fast alle Konzerte finden im | |
Schlachhof an drei Spielorten und in einem alten Zirkuszelt statt, das | |
neben dem Gemüsegarten steht. Der versorgt die Küche mit Lebensmitteln, | |
Zuschauer und KünstlerInnen mit leckerem Essen, so kommt man automatisch | |
miteinander ins Gespräch: Eine eigenwillige Mischung aus Versuchslabor und | |
Do-it-Yourself-Werkstatt. Anderswo hätte der Hamburger Elektronik-Pionier | |
Asmus Tietchens (Komponist des Schokoriegel-Werbejingles „Mars macht mobil, | |
bei Arbeit, Sport und Spiel“) mit seinem moorleichenartigen Britzel-Sound | |
kaum eine Chance. In Eupen zieht er im vollen Kühlraum des Schlachthofs die | |
Zuschauer in den Bann. | |
Auch die geografische Lage kommt dem Festival zupass. Zentral gelegen in | |
der Rhein-Maas Region, zwischen Köln, Brüssel und Amsterdam ist Eupen eine | |
grüne Lunge inmitten ausgeuferter Städte, mit endlosen Vororten und | |
Industriegebieten. Das hügelige Städtchen unweit der Ardennen, | |
Regierungssitz der deutschsprachigen Minderheit Belgiens, entspricht mit | |
seinem Festival der europäischen Idee des freizügigen Reisens über | |
Staatsgrenzen hinweg. | |
## Was passiert nach dem Brexit? | |
Wir sind es gewohnt, wenn britische DJs wie Ben UFO auftreten, der | |
Freitagnacht in Eupen einen vor Pathos triefenden Breitwand-Bassmusik-Mix | |
droppte, es ist aber nicht selbstverständlich. Man mag es sich nicht | |
ausmalen, mit welchem bürokratischen Aufwand in Zukunft solche Konzerte | |
verbunden sein werden, sollte es nach dem Brexit zu neuen Visa- und | |
verschärften Zollbestimmungen kommen, sollten Rechtspopulisten im | |
EU-Parlament das seit 2004 gültige europäische Freizügigkeitsabkommen | |
kippen. | |
Auch innerhalb Belgiens mit seinen Sprachgrenzen, überschreitet das | |
Meakusma-Festival Demarkationslinien: Flamen, Wallonen und deutschsprachige | |
Belgier, im Alltag haben sie nicht so viel miteinander zu tun, hier | |
kooperieren sie miteinander. Exemplarisch etwa das Brüsseler Soundsystem | |
„54 Sound“, das im Garten seinen Boxenturm aufgebaut hat und andere | |
belgische DJs spielen lässt, aber auch dem Griechen [2][Jay Glass Dubs] | |
(Dimitris Papadapos) und dem Londoner DJ Kemal das Mischpult überlässt, das | |
diese mit Oldschool-Sound zwischen Diggidub, Dancehall und Rootsreggae | |
anfüllen – durch die idyllische Natur zusätzlich befeuert. | |
Schön zu hören, dass Dub als Produktionsweise und Soundästhetik eine | |
Renaissance feiert. Dazu spielen Talente, wie das seltsame Frauenduo | |
Chillera aus der ukrainischen Hafenstadt Odessa, das dubbige Downbeats mit | |
seltsamen Surf- und Bluesgitarren verbindet. | |
## Kuhglocken an der Werkbank | |
Meakusma hat noch ein Alleinstellungsmerkmal: Das Fokussieren auf | |
randständige Künstler fordert Hörgewohnheiten heraus. Was am Freitagabend | |
der Leipziger Künstler Lorenz Lindner unter seinem Alias Molto vorführt: | |
eine Klangsignatur zwischen Elektronik und Percussion. An einer | |
Miniatur-Werkbank hat er an Drähten und Schraubzwingen verschiedene Gongs, | |
Kuhglocken und Becken drapiert, spielt diese mit einem Quirlstab an, loopt | |
sie und betätigt dazu wahlweise Klanghölzer, Synthesizer und Effektgeräte. | |
Wie er diese Sounds behutsam mischt, ist ein Kunststück: dezent, aber | |
nachhaltig zugleich klingt diese Musik, sie verrät nicht alle Geheimnisse | |
und offenbart ihre Schönheit im Verrätselten. Die Zuschauer kommen | |
vorsichtig näher, lauschen. | |
Genau umgekehrt funktioniert es bei der US-Produzentin [3][KA Baird]. Mit | |
Querflöte, exaltiertem Gesang und Looppedal konfrontiert sie die HörerInnen | |
in-your-face-mäßig, bis sie einen Gang zurückschaltet und einzelne Elemente | |
isoliert voneinander zum Klingen bringt. Ihr mephistotelisches Ausehen tut | |
ein Übriges. | |
Ein Highlight ist das „Modular OrgansystemV“ der Berliner Produzenten | |
Konrad Sprenger und Philipp Sollmann, untergebracht in einem | |
Werkstattgebäude nahe des Eupener Bahnhofs. Orgelpfeifen, von | |
unterschiedlichen Orgeln stammend, sind über Röhren miteinander verbunden | |
und werden von einer Windmaschine angetrieben, die Klänge wiederum von | |
Midi-Signalen gesteuert. So entsteht ein Mahlstrom aus Drones, Glitches und | |
Arpeggios. Man hört den Sound schon weit vor der Tür. Drinnen im Raum wird | |
der ganze Körper davon erfasst, ein überwältigendes Hörgefühl, zwischen | |
Happening und Grenzerfahrung. | |
Erbauung stiftet der einstündige Soundwalk „head and phones, land and | |
scape, night or day, all one shape“ des Künstlers David Helbich am | |
Sonntagmittag. In elf Stationen, immer links abbiegend, führt er Teilnehmer | |
(mit Kopfhörern, die die Außengeräusche zulassen) instruktiv durch Eupen | |
und hinaus in die Umgebung, man erzeugt an einem Brückengeländer Rhythmus, | |
darf auf einer Bank sitzend „einfach eine gute Zeit haben“ und im Gras über | |
Halme streicheln. Etwas Kitsch zum Abschied, das ist in Ordnung, denn die | |
Natur meint es gut. | |
10 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://florisvanhoof.bandcamp.com/album/talking-gongs | |
[2] https://bokeh-versions.com/album/new-teeth-for-an-old-country | |
[3] https://sapropelicpycnic.bandcamp.com/album/sapropelic-pycnic | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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