| # taz.de -- Gemeindeführer in Kolumbien über Frieden: „Waffenstillstand ist… | |
| > Die kolumbianische Regierung und die ELN-Guerillas haben eine Waffenruhe | |
| > vereinbart. Ein Grund ist: Die Zivilbevölkerung soll mitreden dürfen. | |
| Bild: Der kolumbianische Präsident Gustavo Petro spricht dem Treffen zwischen … | |
| taz: Ein Ergebnis der Gesprächsrunden zwischen Kolumbiens Regierung und der | |
| ELN-Guerilla ist [1][der Nationale Beteiligungsrat, in dem die | |
| Zivilgesellschaft mitredet]. Ein Erfolg? | |
| Die Beteiligung der Zivilgesellschaft haben wir uns erkämpft – bereits seit | |
| den Friedensverhandlungen mit der Farc-Guerilla. Wir mussten damals | |
| mobilisieren, sogar die Nord-Süd-Panamericana-Schnellstraße sperren, damit | |
| eine ethnische Vertretung [2][zu den Verhandlungen der kolumbianischen | |
| Regierung und der Farc-Guerilla nach Havanna reisen durfte]. Aber wir | |
| wollen viel mehr, denn nur wir wissen, was genau vor Ort passiert. Deswegen | |
| wollen wir in den Gesprächsrunden mit der ELN erreichen, dass die | |
| Zivilgesellschaft in die Entwicklung und Umsetzung der Vereinbarungen | |
| miteinbezogen wird. | |
| Warum ist das so wichtig? | |
| Das mit der Farc-EP (kurz Farc) unterzeichnete Friedensabkommen von 2016 | |
| stagniert in der Umsetzung, weil es bei diesem Punkt Lücken hat. Die | |
| ehemaligen Guerilleros wurden in Wiedereingliederungscamps untergebracht. | |
| Aber dort konnten sie nicht für immer bleiben. Sie zogen dann in Gemeinden. | |
| Manche wurden abgelehnt, denn wenn ein Täter dort ankommt, wo jemand | |
| getötet wurde, dann besteht weiterhin ein Konflikt – besonders wenn es | |
| keinen Prozess der Vergebung oder des gegenseitigen Verstehens gab. Und | |
| wenn die Person, die in die Gemeinde ankommt, nicht weiß, wie Konflikte | |
| dort gelöst werden, macht sie das weiter wie im Krieg. Das gilt auch beim | |
| Lebensunterhalt. Wenn jemand es nicht anders gelernt hat und kein Geld hat, | |
| wird diese Person wahrscheinlich nicht einfach warten, bis die Maniokernte | |
| reif ist. | |
| Gibt es schon Ideen, wie sich das bei den Gesprächen mit der ELN verbessern | |
| lässt? | |
| Ein Dokument zu einem Harmonisierungsprozess liegt bereits als Vorschlag | |
| vor. Wenn Menschen, die lange Krieg geführt haben, in Gemeinschaften | |
| ankommen, müssen sie lernen, wie diese funktionieren. Ohne eine | |
| Harmonisierung mit indigenen Räten, Gemeinderäten, bäuerlichen Reservaten, | |
| die jeweils ihre eigenen Regelungen und Rechtssysteme haben, wird es sehr | |
| schwierig sein, den „totalen Frieden“ zu erreichen. Die ehemaligen | |
| Kämpferïnnen müssen einen Einklang mit den Gemeinden, wo sie sich | |
| niederlassen wollen, finden können. Dafür ist wichtig, uns, die Basis, | |
| einzubinden. | |
| Wie ist aktuell die Lage bei Ihnen in der Region Cauca bezüglich bewaffnete | |
| Akteure? | |
| Die Situation ist sehr komplex. Es gibt unter anderem die bewaffnete Gruppe | |
| der Farc-Dissidenz namens „Segunda Marquetalia“ und auch die Gruppe | |
| „Rastrojos“ – organisierte Gruppen von Drogenhändlern. In manchen Gemein… | |
| gibt es 20 Viertel, aber bis zu 27 bewaffnete Banden. Das Gebiet meiner | |
| Gemeinde Buenos Aires erstreckt sich bis zur Pazifikküste und zur Grenze | |
| mit der Stadt Buenaventura (mit dem wichtigsten Hafen Kolumbiens; Anm. d. | |
| Red.). Unsere Gemeinde Buenos Aires liegt also auf einer Route zum Meer | |
| und in einer Gegend mit viel illegalem Koka-Anbau (die Kokapflanze ist die | |
| Basis für die Kokainproduktion; Anm. d. Red.). | |
| Wie erleben Sie die Gewalt? | |
| Ich bin besorgt. Die verschiedenen bewaffneten Akteure rekrutieren viele | |
| Kinder, außerdem kämpfen sie untereinander. Mehrere soziale Anführerïnnen | |
| wurden ermordet. Allein bei uns gibt es 536 Familien, die vertrieben wurden | |
| und in Notunterkünften leben. Auch die Zunahme des Koka-Anbaus beunruhigt | |
| mich. Früher wurden in unserer Gegend viel mehr Zitrusfrüchte, Maniok, | |
| Mais, Bananen und Reis angebaut. Obst und Gemüse lohnen sich nicht mehr: | |
| Die Produktion von Bananen kostete doppelt so viel wie sie auf dem Markt | |
| einbrachte, bei Maniok war es achtmal so viel. Der Verlust war enorm. | |
| Lohnt sich der Koka-Anbau denn immer noch? | |
| Gott sei Dank stagniert er in meiner Gegend seit dem Regierungswechsel | |
| ([3][Gustavo Petro ist seit August 2022 Präsident Kolumbiens; Anm. d. | |
| Red].). Die Kokablätter werden auch nicht mehr geerntet. Menschen haben | |
| begonnen, wieder Bananen, Mais und Maniok anzubauen. Aber bis zur ersten | |
| Ernte ist noch viel Zeit. | |
| Hat das wirklich mit der Regierung zu tun? Gab es spezielle | |
| Aussteigerprogramme oder liegt es daran, dass der Preis für Koka aufgrund | |
| der Überproduktion gesunken ist? | |
| Unsere neue Regierung hat bei uns einige korrupte Militäroffiziere aus dem | |
| Weg geräumt. Somit wurden Lieferketten mit den Drogenhändlern unterbrochen. | |
| Denn die Armee sorgte für den Drogenexport ins Ausland. Die Schuld gab zwar | |
| das Militär den Gemeinschaften, die anbauten. Doch die Armee sicherte die | |
| Lieferwege – über Wasser und Luft. | |
| Was waren die konkreten Folgen für Ihre Gemeinde? | |
| Der Koka-Anbau ist jetzt nicht mehr rentabel. Früher brachten etwa 11,5 | |
| Kilo Koka umgerechnet etwa 18 Euro, jetzt sind es unter 5 Euro. Deshalb | |
| sind unsere traditionellen Anbauprodukte wieder attraktiv geworden. | |
| Welche weiteren Maßnahmen wären nötig? | |
| Unser Traum ist eine Agrarreform. Das Land befindet sich in den Händen von | |
| Großgrundbesitzern: Wir müssen es an die Gemeinden verteilen. Hauptsächlich | |
| werden auf dem Land der Großgrundbesitzer bei uns Zuckerrohr, Eukalyptus | |
| und Kiefern angebaut. Dabei könnte dieses Land der Ernährung der | |
| Bevölkerung dienen und uns helfen, international wettbewerbsfähig werden. | |
| Und dafür muss man zunächst die bewaffneten Gruppen loswerden? | |
| Genau, denn diese Akteure werden zum Teil von den Großgrundbesitzern | |
| finanziert. | |
| Wie geht es jetzt weiter im Friedensprozess? | |
| Das Wichtigste ist zuerst der Waffenstillstand bis Ende Januar. Denn der | |
| Soldat, der stirbt, der ist der Sohn einer Bäuerin, einer indigenen, einer | |
| afrokolumbianischen Mutter, genau wie der Guerillero, der stirbt. Nicht die | |
| Reichen sterben in diesem Krieg. Zweitens: Regionale Arbeitsgruppen kommen | |
| jetzt zusammen. So werden wir die bewaffneten Strukturen besser | |
| kennenlernen, um sie dann in die Gesellschaft integriert zu können. | |
| 9 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Waffenstillstand-mit-ELN-Guerilla/!5952395 | |
| [2] /Waffenstillstand-in-Kolumbien/!5316091 | |
| [3] /Gustavo-Petro-folgt-auf-Ivan-Duque/!5868273 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Wojczenko | |
| ## TAGS | |
| Kolumbien | |
| Farc | |
| ELN | |
| Gustavo Petro | |
| GNS | |
| Kolumbien | |
| Schwerpunkt Pressefreiheit | |
| Frauen-Fußball-WM 2023 | |
| Kolumbien | |
| Kolumbien | |
| Kolumbien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Farc-Waffenstillstand in Kolumbien: Ein Schritt zum „totalen Frieden“ | |
| Die Farc-Splittergruppe Estado Mayor Central (EMC) und die Regierung in | |
| Kolumbien vereinbaren Waffenstillstand. Friedensgespräche sollen beginnen. | |
| Kritik um Kolumbiens Präsident: Unter medialem Beschuss | |
| Gustavo Petro, der erste linke Präsident Kolumbiens, wird medial heftig | |
| kritisiert. Das ist eine Strategie der Rechten, die um ihre Macht fürchten. | |
| Kolumbien im Fussballfieber der WM: Sexismus, Stolz und Spiele | |
| Fußball-Kommentatoren sprechen vom „jungfräulichen Tor“, nennen | |
| Spielerinnen „Puppe“. Weil das Team so gut spielt, ändert sich das langsam. | |
| Waffenstillstand mit ELN-Guerilla: Eine neue Etappe für Kolumbien | |
| In Kolumbien tritt ein neuer Waffenstillstand mit der ELN-Guerilla in | |
| Kraft. Die Zivilgesellschaft soll die Friedensverhandlungen begleiten. | |
| Friedenssuche in Kolumbien: Waffenstillstand aufgekündigt | |
| Wieder Militär gegen Farc-Dissidenten: Vom „totalen Frieden“, den | |
| Kolumbiens Präsident erreichen will, bleibt immer weniger übrig. | |
| Farc-Dissidenten in Kolumbien töten Kinder: Regierung setzt Waffenruhe aus | |
| Nach jahrelangen Konflikten verhandeln Kolumbien und die Rebellen über | |
| Frieden. Die Ermordung von vier Kindern führt zu einem Rückschritt. |