| # taz.de -- Waffenstillstand mit ELN-Guerilla: Eine neue Etappe für Kolumbien | |
| > In Kolumbien tritt ein neuer Waffenstillstand mit der ELN-Guerilla in | |
| > Kraft. Die Zivilgesellschaft soll die Friedensverhandlungen begleiten. | |
| Bild: Treffen zwischen der ELN und der Regierung in Bogota am 03.08.2023 | |
| Bogotá taz | Man kann es historisch nennen: Noch nie haben sich | |
| Vertreterïnnen der ELN-Guerilla mit denen der kolumbianischen Regierung in | |
| der Hauptstadt Bogotá getroffen – und erst recht nicht vor rund 4.000 | |
| Zuschauerïnnen. Sie begingen am Donnerstag nicht nur den Beginn eines | |
| Waffenstillstands zwischen Regierung und Guerilla. Sie machen auch eine | |
| Neuerung in den Friedensgesprächen offiziell: den Nationale | |
| Beteiligungsrat, um die Zivilgesellschaft am Schaffen des Friedens zu | |
| beteiligen. | |
| Der Rat ist ein Verhandlungsergebnis der Gespräche zwischen Regierung und | |
| Guerilla. Delegierte aus 80 zivilen Organisationen gehören dem neuen | |
| Gremium an – darunter Sexarbeiterïnnen, Ex-Guerilleros, Bauern und | |
| Vertreter von Gefängnisinsassen. | |
| Ihre erste Aufgabe ist es, die Umsetzung des Waffenstillstands zu | |
| kontrollieren. Sechs Monate wollen Regierung und ELN-Guerilla die Waffen | |
| schweigen lassen. Außerdem verpflichtet sich die Guerilla, keine | |
| Zivilistïnnen zwangszurekrutieren, einzusperren oder zu entführen. | |
| Am Donnerstag überwog die Freude bei der mehrstündigen Auftaktveranstaltung | |
| mit Musik und Ansprachen. Indigene und afrokolumbianische Wächterïnnen aus | |
| dem ganzen Land gewährleisteten waffenlos die Sicherheit in der | |
| Konzerthalle des Messegeländes in Bogotá. Die Polizei kontrollierte | |
| draußen. Im Saal waren vor allem Mitglieder der Organisationen und | |
| Bewegungen der Zivilgesellschaft, die die Gespräche mit der ELN jetzt aktiv | |
| begleiten. Die wenigen Anzugträgerïnnen waren Politikerïnnen und | |
| Diplomatïnnen aus dem Ausland. | |
| ## Ein rechter Viehzüchter als Friedensfreund | |
| Viele im Saal hatten tagelange Busfahrten auf sich genommen hatten, um | |
| dabei zu sein, und stundenlang gewartet. Sie sahen müde und gleichzeitig | |
| vorfreudig aus mit ihren Fahnen und Spruchbändern. Mütter, Bauern und | |
| Bürgerrechtlerïnnen saßen und standen dort, in traditionellen Gewändern und | |
| mit sichtbarem Stolz auf ihre ethnische und regionale Herkunft. Menschen, | |
| die den Krieg und die Angst aus ihrem Alltag in den Regionen kennen. Oft | |
| auch Hunger. | |
| Fast drei Stunden wechselten sich Ansprachen von Vertreterïnnen der | |
| Delegationen der Regierung, der Guerilla und der zivilen Organisationen ab, | |
| dazu 40 Minuten Präsident Gustavo Petro. | |
| Die spannendste Ansprache hielt José Félix Lafaurie. Der Präsident der | |
| Rinderzüchtervereinigung Fedegan – die Föderation der reichen | |
| Großgrundbesitzerïnnen– wurde als einziger mit Buhrufen vom Publikum | |
| begrüßt. Präsident Petro hatte den ultrarechten Lafaurie überraschend in | |
| die Delegation der Regierung berufen – und dieser ebenfalls überraschend | |
| zugesagt. Die Großgrundbesitzerïnnen sind im bewaffneten Konflikt in | |
| Kolumbien teils Opfer der Guerilla gewesen, teils Täter, die von | |
| Vertreibungen der Kleinbauern profitierten. | |
| Außenseiter Lafaurie sprach nachdenklich und realistisch. „Wir sind an | |
| einem Schlüsselpunkt in der Geschichte unseres Landes. Aber er wird es erst | |
| wirklich, wenn wir uns in 180 Tagen wieder treffen, um den Waffenstillstand | |
| zu verlängern.“ Er erinnerte daran, wie oft sie gescheitert waren. Dass | |
| Frieden nicht nur Schweigen der Waffen ist, sondern im Alltag geschaffen | |
| wird, von allen gemeinsam. Deshalb sei die Beteiligung der | |
| Zivilgesellschaft kein Zugeständnis, sondern das Herzstück. Nur sie könne | |
| die Friedensgespräche legitimieren. | |
| Bei allen Unterschieden zur Regierung sei man sich in zwei Dingen einig, | |
| sagte Lafaurie: Für Frieden braucht es den ländlichen Raum. Und Kolumbien | |
| könne zur landwirtschaftlichen Kraft werden. Dafür brauche es Frieden und | |
| tiefe Veränderungen auf dem Land. Er versprach, dass sein Verband das | |
| Wahlversprechen des Präsidenten, eine Agrarreform, umsetzen werde. Als er | |
| endete, applaudierten die Menschen im Saal. Es war ein Moment der Hoffnung. | |
| ## Ein bilateraler Waffenstillstand reicht nicht | |
| Seit November 2022 laufen die [1][Friedensgespräche] zwischen Regierung und | |
| Guerilla in unterschiedlichen Garantieländern. Der bilaterale | |
| Waffenstillstand gilt als wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem | |
| Friedensabkommen mit der letzten Guerilla im Land. Das wiederum ist | |
| unumgänglich, damit Präsident Gustavo Petro sich seinem Wahlversprechen | |
| nähert: dem „totalen Frieden“ mit allen verbliebenen bewaffneten Gruppen. | |
| Der Hochkommissar für Frieden, die kolumbianische Bischofskonferenz und die | |
| UN-Mission in Kolumbien überwachen den Waffenstillstand. Der neue | |
| Mechanismus gilt als durchschlagkräftig und wurde einen Monat lang | |
| getestet. | |
| Bereits jetzt ist klar, dass der bilaterale Waffenstillstand nicht reicht. | |
| Am selben Tag mussten allein in der Region Nariño 300 Indigene aus einem | |
| Reservat in die Kleinstadt [2][Samaniego] fliehen. Der Grund: Kämpfe | |
| zwischen der ELN und einer Farc-Dissidentengruppe auf dem Land der | |
| Indigenen. | |
| 4 Aug 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Friedensgespraeche-in-Kolumbien/!5896438 | |
| [2] https://narinonoticias.com/unas-300-personas-llegaron-desplazadas-al-casco-… | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Wojczenko | |
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