# taz.de -- Länger im Gefängnis wegen IT-Problemen: Deutschlands digitale Ink… | |
> Ersatzfreiheitsstrafen sollten verkürzt werden, doch wegen IT-Problemen | |
> verschiebt sich die Reform. Unter dem digitalen Versagen leiden die | |
> Ärmsten. | |
Bild: Auch in der JVA Nürnberg müssen Menschen Ersatzfreiheitsstrafen absitzen | |
Bei der Kabinettsklausur auf [1][Schloss Meseberg] können sich alle | |
anwesenden Politiker*innen gute Anwält*innen leisten. Sie fahren | |
eher mit dem Dienstwagen als mit dem verspäteten, aber völlig überfüllten | |
Regionalexpress oder sie lassen sich gleich vom Chauffeur-Dienst des | |
Bundestags abholen. Brot klauen müssen sie auch nicht, es gibt ja | |
schließlich Catering. Während die Ampelpolitiker*innen bei ihrer | |
Klausur versuchen, endlich auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, müssten | |
sie vor allem bei einem Punkt kollektiv vor Scham erröten: | |
[2][Digitalisierung]. | |
Gestern stand es als Thema auf der Tagesordnung. Denn international ist | |
Deutschland mutmaßlich für drei Dinge bekannt: Autos, Fußball und seine | |
mangelnde Digitalisierung. | |
Branchenverbände forderten deswegen in einem Brandbrief gerade | |
entschiedenes Handeln von der Bundesregierung, weil Deutschland im | |
internationalen Vergleich sonst endgültig den Anschluss verlieren würde. | |
Auch die Energiewende wird gebremst durch die fehlende Digitalisierung, und | |
in den viel zu oft noch analog arbeitenden Ausländerbehörden des Landes | |
werden Anträge für Aufenthaltstitel monatelang nicht bearbeitet, was zu | |
essenziellen Problemen für Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft führt. | |
Menschen, die sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage weder Brot zum | |
Essen noch ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und schon gar keine | |
Anwaltshonorare leisten können, kommen wegen Deutschlands digitaler | |
Inkompetenz nun sogar länger in den Knast. Und das aus meist nichtigen | |
Gründen. | |
## Gefängnis wegen Fahren ohne Fahrschein | |
Denn während die Politiker*innen auf Schloss Meseberg gerade noch | |
damit beschäftigt sind, wie der Einsatz künstlicher Intelligenz zur | |
Verwaltungsdigitalisierung beitragen kann, wurde unlängst klamm und | |
heimlich dafür gesorgt, dass die beschlossene [3][Reform zu Halbierung der | |
Ersatzfreiheitsstrafe] nicht wie geplant zum 1. Oktober in Kraft tritt, | |
sondern erst vier Monate später. Das Ganze gut versteckt in einem Gesetz | |
zur Güterverkehrsstatistik, damit es ja niemand mitbekommt. | |
Ein Länderverbund von neun Bundesländern, angeführt vom Freistaat Bayern, | |
forderte für „Anpassungen im Bereich der IT“ sogar sechs Monate Aufschub | |
und bekam nun einen Teil davon gewährt. Das bedeutet: Menschen, die wegen | |
Banalitäten wie Fahren ohne Ticket, Diebstahl von Lebensmitteln oder | |
Drogenbesitz zu geringen Geldstrafen verurteilt werden und diese trotzdem | |
nicht zahlen können, müssen weiterhin einen nicht bezahlten Tagessatz mit | |
einem Tag Gefängnis kompensieren. | |
Die beschlossene Reform würde die Haftstrafen immerhin halbieren. Aber den | |
Umrechnungsschlüssel in einem Programm von 1:1 auf 1:2 zu ändern? In Bayern | |
und den anderen Bundesländern scheinbar ein Ding der Unmöglichkeit. | |
Während in Bayern also monatelang die ach so aufwendigen Prozesse | |
umgestellt werden, leiden darunter vor allem arme, suchtkranke oder | |
obdachlose Menschen, die einen Großteil der rund 4.500 Inhaftierten (die | |
Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr, aber steigen in der Tendenz) in | |
Deutschland ausmachen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen müssen. | |
## Ungerechte Geldfressmaschine | |
Dabei ist längst klar: Ersatzfreiheitsstrafen funktionieren nicht als | |
Resozialisierungsmaßnahme. Sie sind bloße Schikanen, die die Betroffenen | |
noch mehr an den Rand der Gesellschaft treiben können. Die Message, die das | |
menschenunwürdige System vermittelt: Du bist arm, also sperren wir dich | |
ein. In einem demokratischen Staat sollte der Schutz von Hilfsbedürftigen | |
über Softwareproblemen stehen, doch das scheint keine Rolle zu spielen. | |
Genauso wenig übrigens wie der Fakt, dass die Ersatzfreiheitsstrafe eine | |
Geldfressmachine ist. Ein Hafttag kann den Staat bis zu 150 Euro kosten. | |
Die mangelnde Digitalisierung und der lahme Freistaat Bayern kosten den | |
Staat also mehrere Millionen Euro. Geld, das in der Suchthilfe und zur | |
Unterstützung von Obdach- und Wohnungslosen Menschen um einiges besser | |
aufgehoben wäre und letztlich auch dazu führen würde, dass Menschen weniger | |
ohne Ticket fahren und Nahrungsmittel klauen. | |
Die einzige logische Konsequenz wäre es, die Ersatzfreiheitsstrafe ganz | |
abzuschaffen. Und der aktuelle Fall zeigt vor allem eines: Unter dem | |
digitalen Versagen Deutschlands leiden die Ärmsten der Armen am meisten. | |
29 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Johann Voigt | |
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