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# taz.de -- Staat ohne Chaoskompetenz: Ohne Chaoskönnen keine Competition
> Die Welt fällt an vielen Stellen auseinander – da ist der Wunsch nach
> Ordnung verständlich. Doch in Unordnung versteckt sich wertvolle
> Kreativität.
Bild: Unsere Autorin würde nur im Notfall das Haus verlassen, ohne vorher das …
Ich bin eine ordentliche Person. Ich mag es, wenn alles seinen Platz hat.
Ohne mein Bett zu machen, würde ich nur im äußersten Notfall aus dem Haus
gehen, und sobald Besuch abgereist ist, sortiere ich freundlich
eingeräumtes Geschirr wieder dorthin, wo es hingehört – weil ich in der
Wiederherstellung dieser meiner Ordnung Ruhe finde.
Gleichzeitig bewundere ich das Chaos anderer Leute. Manchmal wünschte ich,
mehr wie die Kollegin mit dem Zettel-Bücher-Kaffeetassen-Gebirge auf dem
Schreibtisch zu sein, die im Durcheinander Kreativität findet (oder einen
Schokoriegel zur richtigen Zeit).
Zum Glück kann ich Chaos nicht überall von mir fernhalten. Ansonsten würde
ich mich vermutlich in das sprichwörtliche running system verwandeln und
wäre genau deshalb unbeweglich, langweilig, ideenlos. Wer kommt schon auf
überraschende Gedanken, wenn jede Möglichkeit zu stolpern weggeräumt ist?
Sowieso bin ich nicht die Einzige, die ein paar ihrer
[1][Chaosvermeidungsstrategien] überwinden sollte. Damit meine ich weniger
unsere Schreibtische und mehr das größere Ganze. „Never change a running
system“ ist im Jahr 2023 längst kein Motto mehr, nach dem es sich gut leben
lässt.
Ein oft bemühtes politisches Versprechen handelt von Ordnung. Wer Ordnung
hält, ist regierungsfähig. Wer Ordnung wieder herstellt, ist wählbar. Ein
unordentlicher Staat versagt. Aber wäre es angesichts der gegenwärtigen
Herausforderungen nicht hilfreich, wenn Politik chaosfähig wäre, zumindest
zeitweise?
## Veränderung ist Chaos und Chaos ist der Untergang
Das heißt nicht, dass alles umgeworfen und kaputt gemacht werden soll. Aber
es ist nun mal unbestreitbar real, dass die Welt, wie wir sie kennen,
gerade an vielen Stellen auseinanderfällt. Und wir täten gut daran, uns mit
ihr neu zu sortieren, anstatt ständig die Zustände zu erzwingen, die uns
das alles eingebrockt haben.
Auch Unordnung kann gefährlich sein, und ist sicher kein erstrebenswerter
politischer Dauerzustand. Aber wo Menschen lange ungestört mit ihrer
eigenen Ordnung bleiben, hat Angst ein leichtes Spiel. Eine, die behauptet,
dass man selbst angesichts von Jahrhundertfluten, -bränden und -hitze
zuerst den Status quo schützen müsse. Eine, die sagt: Veränderung ist Chaos
und Chaos ist der Untergang.
Daraus folgt dann ein Europa, das Abschottung und Abschreckung als
nachhaltige Strategie im Umgang mit Migration verkauft und darüber
Menschenrechte verrät. Oder eine Regierung, die sich notwendig [2][radikale
Klimapolitik] regelmäßig von der FDP vermasseln lässt. Oder Menschen, die
in Sternchen zwischen Buchstaben eine Bedrohung sehen.
In Krisenzeiten, heißt es, sehnen sich viele nach Anführer*innen, die
wieder für Ordnung sorgen. Das kommt nicht nur autoritären und rechten
Kräften gelegen. Es steht auch der Entwicklung einer
[3][Unordnungskompetenz] im Weg, die wir dringend bräuchten, um aus dem
unausweichlichen Durcheinander etwas Neues zu machen. Womöglich sogar etwas
viel Besseres.
17 Aug 2023
## LINKS
[1] /Neue-Nationale-Sicherheitsstrategie/!5935224
[2] /Debatte-um-die-Letzte-Generation/!5931827
[3] /Politik-in-Krisenzeiten/!5912348
## AUTOREN
Lin Hierse
## TAGS
Chaos
Kolumne Poetical Correctness
Krise
Ordnung
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Rechter Populismus
Schwerpunkt AfD
Leopard-Panzer
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