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# taz.de -- Wohnungslosigkeit in Berlin: Ein Haus für die Würde der Trinker
> In Kreuzberg wird ein besonderes Wohnheim für Obdachlose 25 Jahre alt: in
> der Nostitzstraße wird Alkoholsucht akzeptiert. Das klappt erstaunlich
> gut.
Bild: Michael Zimmermann, 62, lebt gerne im Wohnheim Nostitzstraße in Berlin-K…
Berlin taz | Auf den beiden Holzbänken vor dem modernen blau-weißen
Zweckbau in Kreuzberg sitzen vier Männer mit guter Laune. Es ist elf Uhr
vormittags, die Sonne scheint, jeder der Herren hat eine Bierflasche in der
Hand, es wird getuschelt und gelacht. Dem bürgerlich gekleideten Publikum,
das ein paar Meter weiter durch ein Tor in den Hofgarten verschwindet,
schenken sie keine Beachtung. Gäste kommen und gehen – sie werden bleiben
und trinken.
Seit 25 Jahren gibt es das Wohnheim in der Nostitzstraße, an diesem
Mittwoch feiert der Träger Neue Chance das Jubiläum mit Gästen aus Politik,
Sozialwirtschaft und Verwaltung. Im Veranstaltungssaal des 2009 sanierten
Hauses werden Reden und Grußworte gehalten und jede*r lobt die
Einzigartigkeit der Einrichtung: dass sie eine „suchtakzeptierende
ASOG-Unterkunft mit Pflegebereich“ ist, und damit „leider kein Standard in
Berlin“, wie es Jana James von der Senatsverwaltung für Gesundheit eher
bürokratisch ausdrückt.
Elena Scheller, Sozialarbeiterin im Haus, sagt es plastischer: „Wir sind
ein nasses Haus.“ Heißt: Die 41 Männer, die hier leben, haben alle ein
Alkoholproblem – und werden damit akzeptiert. Anders als in anderen
Wohnheimen, wo man von Bewohnern verlangt, dass sie ihre Sucht bekämpfen.
„Wir achten schon darauf, dass sie ihr Level halten und nicht immer mehr
trinken“, erklärt Einrichtungsleiter Ulrich Davids. Aber alles laufe auf
Augenhöhe und Vertrauensbasis. „Wir geben Hilfestellung in allen
Lebenslagen, kümmern uns um Arztbesuche, Ämterdinge, alles was die Männer
brauchen.“
Der umfassende Ansatz gehe auf den Gründer zurück, erinnert Davids in
seiner Rede. Pfarrer Joachim Ritzkowsky von der Gemeinde
Heilig-Kreuz-Passion habe das Heim 1998 als Hilfe für jene Männer
gegründet, die auf dem Mittelstreifen der nahen Gneisenaustraße lebten. „Er
wollte ihnen ihre Menschenwürde zurückgeben.“ Dies sei bis heute der
„diakonische Auftrag“ des Hauses: „Wir kümmern uns, dass es ihnen gut ge…
in ihrer letzten Lebensphase.“ Dazu gehöre auch die Kooperation mit einem
Pflegedienst, der die Männer gesundheitlich betreut, wenn sie es brauchen.
## Bleiben bis zum Schluss
Michael Zimmermann beteuert, ihm gehe es hier wirklich gut. Der 62-Jährige
sitzt im Aufenthaltsraum, neben sich eine Tasse Kaffee und eine
Bierflasche. Die Festreden nebenan interessieren ihn nicht, lieber erzählt
er. Seit zwei Jahren wohne er hier, vorher war er fünfzehn Jahre auf der
Straße. „Ich möchte gar nicht in einer eigenen Wohnung leben. Ich will mich
nicht um alles kümmern müssen, könnte das auch gar nicht.“ Hier hat er
Gesellschaft, wenn er will – und seine Ruhe, wenn er sie braucht. „Wenn es
geht, bleibe ich bis zum Schluss“, sagt er mit leiser Stimme.
17 Aug 2023
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
Notunterkunft
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Drogenhilfe
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