# taz.de -- Beschlossene Cannabis-Legalisierung: Niemand muss nüchtern sein | |
> Trotz geplanter Cannabis-Legalisierung verbreiten Lobbys Panik. Dabei | |
> weiß jeder klare Kopf: Wir sollten alle Drogen legalisieren. | |
Bild: Niemand wird aus Spaß abhängig | |
Schon wieder diskutieren wir über die bereits beschlossene Legalisierung | |
und angeblichen Gefahren von [1][Cannabis]. Der Spiegel hat eine Studie | |
veröffentlicht, nach der 45 Prozent der Befragten gegen eine Legalisierung | |
sind. Der Richterbund verbreitet Panik und warnt vor einem völlig | |
spekulativen Konsum-Zuwachs unter Jugendlichen. | |
Ärgerlicherweise gibt [2][Gesundheitsminister Lauterbach] diesen Kritikern | |
implizit recht. Aus seinem Haus kommt ab Mittwoch eine Kampagne, die vor | |
behaupteten Gefahren von Cannabis warnen soll. Diese hysterische und an der | |
Realität komplett vorbeigehende Debatte ist Ausdruck des typisch deutschen | |
Paternalismus. Wir entscheiden, was für euch gut ist. | |
Lasst die Menschen doch selbst entscheiden, ob sie nüchtern sein wollen | |
oder nicht, wie oft und wie schwer sie dem Rausch nachgehen. Die Menschen | |
sind mündig, sie können selbst über ihren Körper und ihre Neurochemie | |
bestimmen. Wir sollten alle [3][Drogen legalisieren], ob weich oder hart. | |
Die Argumente dafür sind hinreichend bekannt: Durch bessere Qualität des | |
Stoffes und offenere Diskussionen über Harm Reduction gibt es weniger Tote, | |
weniger gesundheitliche Schäden. Auch Kriminalität und Gewalt würden | |
bekämpft. Es ist absurd: Während die Republik über aufgebauschte und | |
rassistisch grundierte „Clankriminalität“ diskutiert, soll ausgerechnet die | |
Legalisierung von Drogen, die den wirklich gefährlichen kriminellen | |
Organisationen wie der kalabrischen N’drangheta, mexikanischen | |
Drogenkartellen oder in der Sahara drogenschmuggelnden Islamisten den Markt | |
vermiesen würden, des Teufels sein. | |
## Bessere Mittel gegen Drogensucht | |
Die meisten, die Drogen konsumieren, verpfuschen ihr Leben nicht, ebenso | |
wenig wie die allermeisten Biertrinker. Und was heißt schon ein | |
verpfuschtes Leben? Ich persönlich finde ein heterosexuelles | |
Häuslebauer-Life in einer miefigen Vorstadt mit zwei Autos und jährlichem | |
Malleurlaub auch verpfuscht, aber im Gegensatz zu den Kleinfamilien-und | |
Arbeit-über-alles-Ultras habe ich keine Allüren, jemandem aufzuzwingen, wie | |
sie leben sollen. | |
Warum wollen Menschen sich betäuben? Übermäßiger Konsum von Drogen oder | |
Alkohol ist in erster Linie Symptom, von Trauma, Überforderung, | |
Leistungsdruck. Niemand wird aus Spaß abhängig. Obdachlose sind nicht auf | |
der Straße, weil sie drogenabhängig sind, vielmehr werden sie abhängig, um | |
körperliche Schmerzen und Demütigungen zu ertragen, die Obdachlosigkeit mit | |
sich bringt. Dieser Probleme wird man nicht Herr, indem man | |
Betäubungsmittel verbietet, sondern die Ursachen für den Schmerz bekämpft. | |
Mietpreisdeckel, hohe Mindestlöhne, großzügige Sozialleistungen, einfacher | |
Zugang zu Psychotherapie wären die besten Mittel gegen Drogensucht. Auch | |
andere Mittel sind erprobt: Wer sich über Junkies im Viertel aufregt, | |
sollte sich am besten für eine staatliche Abgabe des Stoffes an Süchtige | |
einsetzen, wie es in der Schweiz schon seit 30 Jahren mit großem Erfolg | |
praktiziert wird. | |
Die Argumente gegen eine Legalisierung aller Drogen sind völlig inkohärent. | |
Wer gegen Rausch ist, müsste der Stringenz zuliebe auch ein Verbot von | |
Alkohol fordern. Die Folgen von Alkoholkonsum kosten die Gesellschaft | |
horrende Summen, weit mehr als andere Drogen. Von Alkohol sind in | |
Deutschland Millionen Menschen abhängig, von anderen Drogen nur ein | |
Bruchteil davon. Ich höre schon empörte Leser: Drogen und Alkohol sind doch | |
nicht dasselbe! Ein Joint, eine Line, ein Schuss, das ist schmutzigste | |
Dekadenz, aber ein Glas Wein ist uralte Genusstraditionen. | |
## Vorreiter im internationalen Trend | |
Nun: Konsum von Opium oder Kokablättern ist seit tausenden Jahren belegt. | |
Modernes Heroin wurde 1898 patentiert, von Bayer. Heroin ist also wie | |
Kokain, das ab 1862 von Merck frei verkauft wurde, ein deutsches | |
Traditionsprodukt. | |
Die an Hysterie grenzenden Warnungen vor Drogen beschreiben nicht die | |
Situation nach einer Legalisierung, sondern den Ist-Zustand, die | |
Prohibition. Studien zeigen, dass kaum mehr Menschen abhängig werden, wenn | |
der Zugang zu Drogen offen möglich ist. In Portugal und Tschechien, wo der | |
Besitz kleiner Mengen schon länger legal ist, werten die Behörden den | |
liberalen Weg als Erfolg. Die Zahl der Toten durch Überdosis in beiden | |
Ländern sank drastisch. | |
In Tschechien soll Cannabis ab 2025 legal sein, auch in der Schweiz gibt es | |
einen Parlamentsbeschluss. Deutschland wäre also keine | |
Cannabis-Paradies-Insel mitten in Europa, sondern ausnahmsweise Vorreiter | |
im internationalen Trend. Uruguay erlaubt den Besitz und Konsum von | |
Cannabis bereits seit 2013, Kanada seit 2018, Thailand seit 2022, und auch | |
in einzelnen US-amerikanischen Bundesstaaten wie Washington oder Colorado | |
gibt es seit der Legalisierung gute Erfahrungen. | |
Also Deutschland, sei mutig, sei ehrlich zu dir selbst. Nüchtern bist du | |
ohnehin nicht, das beweist jedes Dorffest, eine Clubnacht in Berlin oder | |
München im Oktober. | |
14 Aug 2023 | |
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## AUTOREN | |
Caspar Shaller | |
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