| # taz.de -- NDR-Serie „Yared kommt rum“: „Unfassbar! Wunderbar!“ | |
| > Yared Dibaba besucht Dörfer in Niedersachsen und trifft dort | |
| > ausschließlich wohlhabende Bionorddeutsche. So stellt sich der NDR | |
| > Wohlfühlfernsehen vor. | |
| Bild: Moderator vor Musikverein: Yared Dibabas Besuch in Benstrup (Kreis Lönin… | |
| Für manche mag es schwierig vorzustellen sein, aber Yared Dibaba ist ein | |
| waschechter Norddeutscher: In Äthiopien geboren, kam er als Vierjähriger in | |
| die Region und wuchs schließlich auf in Falkenburg im Landkreis Oldenburg. | |
| Und da dort Plattdeutsch gesprochen wird, wurde der norddeutsche | |
| Zungenschlag ein Alleinstellungsmerkmal in seiner Karriere als Moderator, | |
| Sänger, Entertainer und Schauspieler. | |
| In der Docutainment-Serie „Yared kommt rum“ besucht er nun kleine bis | |
| kleinste Orte in Niedersachsen, und dabei fällt als Erstes auf, dass Dibaba | |
| stets der einzige Schwarze ist [1][unter all den Bionorddeutschen]. | |
| Man kann darin einen Verfremdungseffekt in der Tradition des Brecht’schen | |
| Theaters sehen: Die Zusehenden bekommen etwas eigentlich Vertrautes in | |
| einem neuen Licht vorgeführt. Aber mehr noch wirkt es wie eine ironische | |
| Umkehrung eines zutiefst kolonialistischen Narrativs: Hier ist es gerade | |
| kein Weißer, der alleine einen dunklen, fremden Kontinent erforscht. | |
| Dass Yared oberflächlich fremd scheint, sich aber, siehe oben, in die | |
| Mentalität der Dorfbewohner*innen sehr wohl einfühlen kann und gerade | |
| nicht fremdelt, macht ihn zum perfekten Personal für so eine Serie. Die | |
| erste Staffel von „Yared kommt rum“ strahlte der [2][NDR] im Sommer 2022 | |
| aus, Staffel zwei läuft noch bis in den September jeweils freitagabends und | |
| ist auch in der ARD-Mediathek zu finden. | |
| Da wandert er also durch die Straßen von Wernum in Ostfriesland, | |
| Steinkirchen im Alten Land oder Lonau im Südharz und trifft Menschen, die | |
| dort leben und arbeiten. Diese Begegnungen sind arrangiert, denn es gibt | |
| mit Antonia Friese eine Autorin, die vorher recherchiert, Kontakte knüpft | |
| und möglichst attraktive Drehorte auswählt. | |
| Zum Filmteam gehören dann drei Kameramänner – Gendern ist hier nicht nötig | |
| –, die durchaus Aufwand betreiben: So gibt es viele Drohnen-Luftaufnahmen, | |
| an einem Fischteich kommt sogar eine Unterwasserkamera zum Einsatz. Der | |
| Forschungsreisende spricht immer wieder direkt in die Kamera zum Publikum – | |
| es wird also nicht versucht zu kaschieren, dass hier ein Film inszeniert | |
| wird. | |
| Aber es wird auch nicht weiter zum Thema gemacht; an der Metaebene sind die | |
| Filmemacher*innen nicht interessiert, und wenn tatsächlich mal ein | |
| Kameramann einen anderen aufs Bild bekommt, ist das eher eine | |
| Ungeschicklichkeit, über die man sich später im Schneideraum geärgert haben | |
| dürfte. | |
| Das stellt einen Unterschied dar etwa zur Arbeitsweise des großen Pioniers | |
| der Heimat- oder Reisedokumentation im Fernsehen: [3][Franz Gernstl] macht | |
| seit den 1980er-Jahren für den [4][Bayerischen Rundfunk] Filme über Land | |
| und Leute, und bei ihm sind Kamera- und Tonmann geradezu Sidekicks, die bei | |
| ihrer Arbeit gezeigt werden und sogar auch mal mitreden dürfen. | |
| Hier hingegen ist Yared Dibaba der Star – nicht aber Autor oder Regisseur. | |
| Deshalb scheint die am Schreibtisch entworfene Dramaturgie oft sehr | |
| deutlich durch. So werden Dibaba etwa in einigen Folgen Aufgaben gestellt: | |
| In Wernum soll er herausfinden, woher der Ortsname kommt, in Lüder bei | |
| Uelzen zählt er nach, angeblich, ob es sich tatsächlich wie behauptet um | |
| „Das Dorf der 1.000 Eichen“ handelt; im Alten Land, bekannt als großes | |
| Obstanbaugebiet, fragt er die Leute, was passiert, wenn er einen Apfel | |
| klaut. Vom Dorfpolizisten erfährt man immerhin, dass es die Straftat mit | |
| dem schönen deutschen Begriff „Mundraub“ nicht mehr gibt. | |
| ## Stimmungsvoller Abschluss | |
| In manchen der 30-Minuten-Episoden führt der Moderator am Ende seinen | |
| eigenen „Heimatfilm“ all denen vor, die darin auftreten; in anderen gibt es | |
| zum Finale vielmehr eine „Überraschung“ für Dibaba: Da tritt dann etwa der | |
| örtliche Shantychor auf, und er darf sogar mitsingen. So hat jede Episode | |
| einen möglichst stimmungsvollen Abschluss, bei dem man allerdings Dibaba | |
| noch etwas mehr als sonst beim Schauspielern erwischen kann. | |
| Wo immer ihn die Folge hinführt, besucht er fast immer nur die „wichtigen“ | |
| Menschen in den Dörfern: die Bürgermeister*innen, Kaufleute, Großbauern. Im | |
| wendländischen Gartow trifft er gar ein Fürstenpaar in dessen Schloss, dazu | |
| eine Reihe von Bediensteten – diese Episode wirkt zum Teil wie eine sehr | |
| gefällige Adels-Homestory. | |
| ## Seltene Diversität | |
| Sehr viel seltener treffen wir in der Serie auf Diversität. Und wenn doch | |
| mal ein schwules Paar in seinem schmucken Häuschen am Elbdeich von | |
| Steinkirchen gezeigt wird, bleibt der Klönschnack auffällig nichtssagend: | |
| „Wie wurden Sie denn hier aufgenommen?“ – „Ganz normal!“ | |
| Es fällt auf, dass ein paar Themen in fast allen Folgen wieder behandelt | |
| werden. So wurden viele der gezeigten Höfe, Betriebe und Besitzungen über | |
| viele Generationen weitervererbt. Da antwortet dann der junge Betreiber der | |
| Dorfbäckerei im ostfriesischen Wernum auf die Frage, ob ihm denn auch die | |
| schmucke Windmühle gehört mit einem etwas morbide klingenden „Noch nicht | |
| ganz!“ | |
| In diesem Kontext wirkt es dann gar nicht mehr so komisch, wenn der | |
| Betreiber einer Konditorei in Steinkirchen unbedingt vorführen will, dass | |
| er noch 30 Liegestütze am Stück machen kann – mit 69 Jahren. Die wahre | |
| Chefin ist längst die Tochter, die extra für den Besucher (und die Kameras) | |
| Pralinen chocolatiert. Da ist der Fernsehmann dann wieder begeistert – wie | |
| eigentlich immer: Alle paar Minuten findet er etwas „unfassbar“ oder | |
| „wunderbar“. Aber „Yared kommt rum“ soll ja auch [5][Fernsehen] zum | |
| Wohlfühlen bieten. | |
| 15 Aug 2023 | |
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| [1] /Mangelnde-Diversitaet-in-deutschen-Medien/!5867129 | |
| [2] /NDR/!t5015042 | |
| [3] /Archiv-Suche/!764984&s=Franz+Gernstl&SuchRahmen=Print/ | |
| [4] /Bayerischer-Rundfunk/!t5012839 | |
| [5] /Fernsehen/!t5008114 | |
| ## AUTOREN | |
| Wilfried Hippen | |
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