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# taz.de -- Inflation im Späti: Ohne Zucker geht's nicht
> Der Zuckerpreis ist zuletzt stark gestiegen. Ernährungsfreaks wird das
> freuen. Für unsere Autorin aber sind Süßigkeiten überlebenswichtig.
Bild: Eine Tüte Gezuckertes, wie die Umarmung einer guten Freundin, nur von in…
Wenn sich der Tag wie aus der Tonne gezogen anfühlt, gibt es immer noch die
gemischte Tüte. Zwischen Schaumbananen, zuckrigen Zungen und Apfelringen
lässt sich kurz vergessen, dass der Müllbeutel im Hausflur gerissen ist und
das Finanzamt angerufen hat. Dass der Fahrradreifen, der einem als
unkaputtbar angedreht wurde, jetzt doch platt ist.
Zuletzt schüttet man sich den am Tütenboden [1][klebenden Zucker] in den
Mund. Wenn es so richtig zwischen den Zähnen knarzt und sich der Gaumen von
der Säure wund anfühlt, ist der Tag nur noch halb so tonnig.
Bis neulich der Spätiverkäufer meines Vertrauens 20 Cent pro Süßigkeit
verlangte. Ich starrte ihn entgeistert an. Seitdem ich denken kann, kostet
eine Regenbogenschlange 10 Cent. Darauf war Verlass wie auf den Durst nach
einer Pizza Napoli. „Alles kostet mehr“, sagte er nur resigniert. Jetzt
kann ich also nicht mal mehr Süßigkeitentüten kuratieren, ohne dass mir
große Begriffe wie Inflation und Weltmarkt in den Kopf schießen.
Mit so etwas muss man sich aber beschäftigen, wenn man nach dem Grund für
die 20 Cent pro Gummitier sucht. Um [2][72,3 Prozent ist der Zuckerpreis in
Deutschland im Juli im Vergleich zum Vorjahr gestiegen]. Kein anderes
Lebensmittel hat sich so stark verteuert, zeigen die neuen Zahlen des
Statistischen Bundesamts. Dosengemüse +23,9 Prozent, Pizza +26 Prozent,
Toastbrot +23,1 Prozent. Aber wer will schon Toastbrot, wenn man sich so
lebendig fühlen kann wie beim Zerkauen eines Maoam-Krachers?
Ernährungsfreaks wird diese Nachricht freuen. [3][Weil Zucker ja so
wahnsinnig ungesund ist, krank macht, abhängig und dick]. Ich weiß. Aber
mal angenommen, man wurde gerade verlassen, eine Freundin kommt vorbei und
bringt eine Tüte Spinat mit – für die Seele. Das funktioniert einfach
nicht. Manchmal braucht es eine Tüte Gezuckertes, wie die Umarmung einer
guten Freundin, nur von innen.
## EU-Regulierung
Deshalb sollte Zucker nicht zum Luxusgut werden. Reiche würden sich eh nur
Schlechtes mit dem Zeug einfallen lassen. Karamellisierten Kaviar oder
gezuckerte Pommes als Statussymbol.
Die EU ist an den extremen Zuckerpreisen Mitschuld. Zuckerhersteller aus
dem Nicht-EU-Ausland müssen hohe Zölle zahlen, das schreckt ab.
Gleichzeitig lässt sich aus Zuckerrohr auch Ethanol herstellen, das
Agrokraftstoffen beigemischt wird. Die Preise für dieses Produkt steigen,
was wiederum verlockend ist. Also stellen große Zuckerrohrproduzenten wie
Brasilien lieber weniger Zucker und mehr Ethanol her. So wird der Zucker
hier knapper und ist mittlerweile doppelt so teuer wie auf dem Weltmarkt.
## Die letzte saure Schlange
Für die Verknappung haben auch die Dürren in Frankreich und Deutschland im
vergangenen Jahr gesorgt, den größten Zuckerproduzenten innerhalb der EU.
Weil es kaum regnete, blieben die Rüben mickrig und die Ernten gering,
während die Produktionskosten gestiegen sind.
Bis 2017 gab es in Deutschland und der EU die Zuckermarktverordnung. Sie
legte Mindestpreise und Produktionsquoten fest und schützte so die
Zuckerbauern vor Dumpingpreisen. Vielleicht brauchen wir eine solche Regel
jetzt wieder, nur in umgekehrt, einen Zuckerpreisdeckel.
Es ist beinahe überfordernd, wie viel Handels-, Klima- und Finanzpolitik in
einem Zuckerwürfel steckt. Weil Zucker für mich bisher vor allem eins war:
Liebe. Oder haben Sie noch nie jemandem gezeigt, wie viel er Ihnen
bedeutet, indem Sie ihm die letzte saure Schlange überlassen haben?
14 Aug 2023
## LINKS
[1] /Zucker--und-Fettgehalt-in-Lebensmitteln/!5941901
[2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/T…
[3] /Werbeverbot-fuer-ungesundes-Essen/!5890389
## AUTOREN
Sophie Fichtner
## TAGS
Zucker
Süßigkeiten
Inflation
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Cem Özdemir
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