# taz.de -- Politologin über Bildungskürzungen: „Ein gefährliches Zeichen�… | |
> Die Ampel will 20 Millionen Euro für politische Bildung streichen. | |
> Politologin Sabine Achour warnt davor, gerade jetzt sei das ein falsches | |
> Zeichen. | |
Bild: Die Lehrkräfte Max Teske und Laura Nickel haben rechtsextreme Vorfälle … | |
taz: Frau Achour, die Bundesregierung plant, der Bundeszentrale für | |
politische Bildung (bpb) im kommenden Jahr [1][20 Millionen Euro zu | |
streichen] – ein Fünftel des Budgets. Angenommen, der Bundestag stimmt zu: | |
Was heißt das für die politische Bildungsarbeit im Land? | |
Sabine Achour: Das wäre auf zwei Ebenen katastrophal. Zum einen ist es ein | |
gefährliches Zeichen: In Zeiten, in denen die Brandmauer zur AfD wackelt, | |
an der politischen Bildung zu sparen, ist politisch nicht nachvollziehbar. | |
Es kommt dann die Botschaft an: So schlimm ist die Entwicklung mit der AfD | |
doch gar nicht. Zum anderen ist die Kürzung natürlich für die Träger höchst | |
problematisch. Zwar sollen keine laufenden Projekte gestrichen werden – | |
dafür aber die Gelder für akute Bedarfe. Das schränkt den | |
Handlungsspielraum sehr ein. | |
Viele Bildungsträger beklagen schon länger, dass sie immer nur für ein paar | |
Jahre projektbezogen finanziert werden. Wie sehr krankt die politische | |
Bildung daran? | |
Die Art, wie politische Bildung gefördert wird, ist nicht nachhaltig. Es | |
fließen viele Ressourcen in die permanente Antragstellung statt in die | |
Bildungsarbeit. Bei vielen Trägern ist der Großteil der Stellen befristet. | |
Das schafft nicht nur eine große Abhängigkeit, sondern ist im diametralen | |
Widerspruch zur Professionalität in der außerschulischen Bildungsarbeit. | |
Denn die hat viel mit Vertrauens- und Beziehungsarbeit zu tun, welche unter | |
diesen Bedingungen aber oft nicht gewährleistet werden kann. Dabei sehen | |
wir, dass gerade im ländlichen Raum rechtsextreme Gruppen diese Vertrauens- | |
und Beziehungsarbeit sehr erfolgreich leisten. | |
Das zeigt sich auch an [2][rechtsextremen Vorfällen an Schulen] wie zuletzt | |
in Brandenburg. Wie viel hat das mit fehlender Demokratiebildung an Schulen | |
zu tun? | |
Das sind natürlich keine neuen Phänomene. Neu ist, dass sich Betroffene | |
damit an die Öffentlichkeit wenden wie zuletzt die beiden Lehrkräfte in | |
Burg im Spreewald, die in einem Brandbrief auf rechtsextreme Vorfälle an | |
ihrer Schule aufmerksam machten und mittlerweile wegen Anfeindungen die | |
Schule verlassen haben. Es ist fatal, dass Staat und Gesellschaft diese | |
beiden Lehrkräfte nicht so schützen, dass sie ihre demokratische Arbeit | |
machen können. Das Beispiel zeigt aber auch, dass nicht nur | |
Schüler:innen demokratische Bildung brauchen, sondern auch die | |
Lehrkräfte und die Schulleitungen. Hier zeigt sich, dass wir ein | |
Gesamtkonzept für politische Bildung an Schulen brauchen, das über das | |
reine Schulfach hinausgeht. | |
Eine [3][jährliche Untersuchung der Universität Bielefeld] zeigt, dass die | |
meisten Bundesländer der politischen Bildung an ihren Schulen auch heute | |
nur maximal 3 Prozent der Unterrichtszeit widmen. | |
Die Untersuchung spiegelt wider, dass die Bedeutung politischer Bildung in | |
der Bildungspolitik nicht besonders groß ist. Vielfach sollen Themen wie | |
Demokratie, Rassismus, Diversität außerhalb des eigentlichen Unterrichts | |
behandelt werden. In Bayern beispielsweise gibt es politische Bildung erst | |
spät in den höheren Klassen. Da ist der politische Sozialisationsprozess | |
schon seit Jahren im Gange. Und selbst wenn es eine Stunde pro Woche | |
Politik gibt, ist das für nachhaltige politische Lernprozesse zu wenig. | |
Einige Länder – darunter [4][Berlin], Sachsen und NRW – haben in den | |
vergangenen Jahren die politische Bildung an Schulen gestärkt. Wie bewerten | |
Sie die Maßnahmen? | |
Das scheint erst mal positiv zu sein. Aber bei genauerer Betrachtung ist | |
aus meiner Sicht nicht alles gelungen. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel | |
heißt das Fach jetzt Wirtschaft/Politik. Da geht es nicht um kritische | |
ökonomische Bildung, sondern um affirmatives Wirtschaftswissen. Und in | |
Berlin entscheidet jede Schule selbst, wie sie die Stunden für die | |
gesellschaftswissenschaftlichen Fächer auf Politik, Erdkunde, Ethik oder | |
Geschichte verteilt. Für jedes einzelne Fach bleibt nicht viel Zeit. | |
Gibt es denn überhaupt genügend Lehrkräfte, die das Fach unterrichten | |
können? | |
Im Prinzip stünden genügend bereit, wenn sie denn für das Fach Politik | |
eingestellt werden würden. Wir sehen aber, dass vor allem an | |
nichtgymnasialen Schulformen Lehrkräfte Politik unterrichten, die etwas | |
anderes studiert haben. Das kann dahingehend problematisch sein, wenn | |
fachfremde Lehrkräfte im Unterricht beispielsweise mit | |
demokratiefeindlichen oder antisemitischen Narrativen konfrontiert werden, | |
es entweder nicht als solche erkennen oder als vermeintlich legitime | |
Meinungen stehen lassen. Empirisch zeigt sich, dass menschen- oder | |
demokratiefeindliche Einstellungen an nichtgymnasialen Schulformen auch | |
eher geäußert werden. Wenn die Unterrichtsqualität nicht stimmt, ist das | |
mit Blick auf die Lehrkräfteprofessionalität auch ein Problem der | |
Bildungsgerechtigkeit. | |
Laut der früheren Bildungsministerin von Sachsen Brunhild Kurth gibt es in | |
ostdeutschen Lehrerzimmern [5][wegen den Indoktrinierungserfahrungen] in | |
der DDR große Vorbehalte gegen politische Bildung. Wie nehmen Sie das wahr? | |
Die Berufssozialisation der ehemaligen DDR wirkt sicherlich noch nach. Ich | |
habe das in meinem eigenen Referendariat an einer Schule in Berlin-Marzahn | |
erlebt. Die Kolleg:innen gingen davon aus, ich solle im | |
Politikunterricht die Politik der aktuellen Regierung als die richtige | |
unterrichten. Diese Vorstellung begegnet mir auch heute noch. Das zeigt, | |
dass das Verständnis von politischer Bildung weit auseinandergeht, nicht | |
nur in den neuen Bundesländern. Gegenüber Meinungskontroversität, | |
politischen Aushandlungs- und Interessenkonflikten, die Merkmal von | |
Demokratie sind, generell die Beschäftigung mit Politik existiert eine weit | |
verbreitete Skepsis, nicht nur bei Lehrkräften. | |
Wirklich? | |
Ja. Das liegt natürlich auch am Fach. Politische Bildung heißt ja, den | |
Streit um die besten Ideen abzubilden. Das Ergebnis ist nicht so klar | |
definiert wie in Mathe oder Physik. Man muss aber auch festhalten, dass es | |
noch nie so viel Offenheit für politische Themen an Schulen gab wie heute. | |
Natürlich gibt es bei Rassismus in Lehrwerken oder gendersensibler Sprache | |
im Unterricht noch viel Luft nach oben – aber heute fällt das einem Teil | |
des Kollegiums auf. Dass eine Lehrerin aus Baden-Württemberg eine | |
Abi-Pflichtlektüre ablehnt, weil dort das N-Wort vorkommt und eine große | |
gesellschaftliche Debatte auslöst, ist nur eines von vielen Beispielen. | |
Müssten die Schulen nicht auch selbst Demokratie besser vorleben? | |
Definitiv. In den allermeisten Fällen entscheiden nur Erwachsene über | |
Kinder und Jugendliche. Aber es geht auch um eine demokratische Art und | |
Weise des Unterrichts. Eine Demokratisierung von Schule hieße: den | |
Schülerinnen und Schülern zuhören. Von Mitbestimmung, was und wie gelernt | |
wird, sind wir aber immer noch recht weit entfernt. | |
9 Aug 2023 | |
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[4] /Schulfach-Politische-Bildung/!5706687 | |
[5] /Politische-Bildung-an-Schulen-in-Sachsen/!5616270 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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