# taz.de -- Nachruf Architekturkritiker Bruno Flierl: Stadt von der Zukunft her… | |
> Bruno Flierl entschied sich einst für die DDR, aber nie für Ostalgie, | |
> wenn er das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft öffentlich | |
> diskutierte. | |
Bild: Liebte auch Hochhäuser: Bruno Flierl auf einer Aufnahme von 2008 | |
Schon zu seinem Achtzigsten hat er angefangen zu räumen, zu sortieren, zu | |
archivieren. „Ich habe nie systematisch abgelegt“, sagte er nach seinem | |
Geburtstag, den er in einem türkischen Restaurant in Berlin-Mitte gefeiert | |
hatte, in einem Interview mit der taz. „Ich habe aber auch nichts | |
weggeworfen. Also musste ich finden.“ | |
Es müssen Unmengen an Papier gewesen sein, durch das sich Bruno Flierl | |
damals kämpfen musste. Protokolle, Dokumente, Aufsätze, aber auch | |
Zurechtweisungen aus seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der | |
DDR-Bauakademie oder als Chefredakteur der Zeitschrift Deutsche | |
Architektur. Aber auch, da war die DDR schon Geschichte, als Mitglied der | |
Kommission Historische Mitte, in der er als Gegner des Abrisses des | |
Palastes der Republik am Ende auf verlorenem Posten gekämpft hat. | |
Es waren die hitzigen Debatten der neunziger Jahre, in denen Bruno Flierls | |
Stimme wieder gefragt war. Ein kritischer Geist schon zu DDR-Zeiten, über | |
jeden Zweifel erhaben, auch den der Ostalgie: So einem hörte man zu in der | |
wiedervereinigten Stadt, erst recht, wenn er sich einmischte und in den Weg | |
stellte. Nicht nur [1][gegen den Palast-Abriss], auch gegen die an | |
Kahlschlag grenzende Verve, mit der das neue Berlin gegen die | |
sozialistische Moderne vorging. | |
So wurde Bruno Flierl der Gegenspieler des damaligen Senatsbaudirektors | |
Hans Stimmann. Dort der Geschmacksdiktator, der am großen Rad drehte | |
[2][und an der Rekonstruktion der Stadt des 19. Jahrhunderts arbeitete.] Da | |
der nachdenkliche Intellektuelle, der nicht zurück in die Vergangenheit | |
wollte, sondern versuchte, die Stadt von den Herausforderungen der Zukunft | |
her zu denken. | |
Das Gewicht seiner Stimme stand im ganzen Gegensatz zu seiner Erscheinung. | |
Klein, fast schon gebrechlich wirkte er mit zunehmendem Alter, leise war | |
seine Stimme, nie wurde er unfreundlich. Und nie hat der Gesprächspartner | |
aus dem Westen von ihm das Ost-Argument zu hören bekommen. Bruno Flierl | |
argumentierte nicht identitätspolitisch, es ging ihm nicht um Ost oder | |
West, es ging ihm immer ums Ganze. | |
## Widersprüche und Mäßgigung | |
Auch kein Architekturkritiker aus dem akademischen Elfenbeinturm meldete | |
sich bis in die jüngste Zeit zu Wort, sondern einer, den das Verhältnis von | |
Architektur und Gesellschaft umtreibt. Auch Widersprüche ließ er da gelten. | |
Fasziniert von Hochhäusern in aller Welt, denen er einen Teil seines | |
Forschungslebens widmete, plädierte er in Berlin doch für Mäßigung. New | |
York, ja, da hatte der Kapitalismus gesiegt, doch Berlin wollte er noch | |
nicht verloren geben. | |
Geboren wurde Bruno Flierl 1927 im schlesischen Bunzlau. Nach dem Krieg und | |
der Rückkehr aus französischer Gefangenschaft studierte er ab 1948 an der | |
Hochschule für bildende Künste in Charlottenburg. Zwei Jahre später | |
siedelte er in die DDR über. „Das Ziel war immer, das Leben der Menschen zu | |
verbessern“, sagte er im Interview zu seinem achtzigsten Geburtstag. | |
1982, als ihn die SED zum „Staatsfeind und Konterrevolutionär“ erklärte, | |
erlitt Bruno Flierl einen Schlaganfall. Mit dem Tod war er schon zuvor | |
konfrontiert worden. Bei der Geburt seines Sohnes Thomas, des späteren | |
Berliner Kultursenators, 1957, starb seine Frau. Gleichwohl hatte Bruno | |
Flierl keine Angst vor dem Tod, wie er immer wieder betonte. „Ich habe | |
keine Angst zu sterben“, sagte er einmal dem Autor dieser Zeilen, „ich habe | |
nur Angst vor Schmerzen.“ | |
Am Montag ist Bruno Flierl im Alter von 96 Jahren friedlich eingeschlafen. | |
19 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Virtueller-Protest-gegen-das-Stadtschloss/!5171351 | |
[2] /Berliner-Ausstellung-zu-Aldo-Rossi/!5912447 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
## TAGS | |
Architektur | |
Groß-Berlin | |
Stadt | |
Wiedervereinigung | |
Nachruf | |
Nachruf | |
Alternative für Deutschland (AfD) | |
Architektur | |
Potsdam | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Volksaufstand in der DDR: Es war ein Freiheitstag | |
Warum bekommt der 17. Juni so wenig Beachtung? Unser Autor sagt: Das Wissen | |
um die Vergangenheit kann bei den Kämpfen von heute helfen. | |
Berliner Ausstellung zu Aldo Rossi: Spielerisches und Schönes für alle | |
Der Architekt und Architekturtheoretiker Aldo Rossi hat ein mehrdeutiges | |
Werk hinterlassen. Welche Idee von der Stadt ergibt sich daraus heute? | |
Neues Museum in Potsdam: Widersprüchliche Stadt | |
In Potsdam hat das Minsk, ein Museum für Kunst der DDR, eröffnet. Endlich | |
eine Wertschätzung der Ostmoderne oder der gnädige Wink eines Mäzens? |