# taz.de -- Ferien in Finnland: Nicht wie in Lappland soll es sein | |
> Wer verreisen will, sollte es mal auf die südostfinnische Art tun. Wie in | |
> Puumala, wo der riesige See Saimaa alles beherrscht, selbst die Zeit. | |
Bild: In windstillen Abendstunden liegt der Saimaa da wie gefüllt mit zerfloss… | |
Puumala taz | Viele kluge Menschen haben sich Gedanken über Ferien gemacht, | |
das Reisen, die beschwingte Zeit zwischen langen Monaten zu Hause mit | |
Arbeit und mäßigem Wetter. Marktstudien vermessen die Urlaubswilligen, | |
fragen Ziele ab (über ein Viertel bleibt in Deutschland, vom Rest fahren | |
die meisten nach Spanien, Italien, vielleicht Griechenland) und was man da | |
so tut. Platz 1: Städte besichtigen, Platz 2: am Strand liegen, Platz 3: | |
Nordic Walking/Fitness. | |
Der wichtigste Faktor, sagen Studien über deutsche Touristen, [1][sei das | |
Geld]. Die Deutschen reisen preisbewusst, vergleichen die Kosten für Essen | |
und Unterkunft. Ökologische Kriterien sind, dazu kann man | |
Marktuntersuchungen nebeneinanderlegen, eine Art nice to have. Man nimmt | |
sie gerne mit, aber im Endeffekt sind sie nicht so wichtig. | |
Andererseits gibt es genügend akademische Literatur, die feststellt, dass | |
Umwelteinflüsse die Touristenströme beeinträchtigen. Sehr wichtig dabei: | |
die Temperatur. 30,7 Grad Celsius als Tageshöchstwert wurde als Grenze des | |
Komfortablen ermittelt, alles darüber ist für die meisten anstrengend. | |
Reisende aus OECD-Ländern bevorzugen eine Durchschnittstemperatur von 21 | |
Grad. Wie das alles werden soll, wohin Menschen reisen, wenn durch die | |
Klimakatastrophe ihre Lieblingsregionen ungemütlich und teurer werden? Ein | |
Rätsel mit unzureichender Empirie. Doch der Blick geht nach Norden. | |
Und findet vielleicht ein paar Lösungen im Landkreis Puumala, im Südosten | |
Finnlands. Die Straßen ziehen hier weite Bögen, das Wasser bestimmt die | |
Gegend. Der Saimaa, der viertgrößte Süßwassersee Europas, scheint mit dem | |
Land zu ringen. Nicht klar, ob die vielen Felsen und die dichten Wälder den | |
See einzwängen oder von ihm, kaum dass man mal nicht hinschaut, | |
zurückgedrängt werden. Eine Eiszeitformation mit über 14.000 Inseln, manche | |
gerade groß genug für einen Liegestuhl, andere spärlich mit Birken | |
bestanden. Dann wieder gibt es solche, die Siedlungen beherbergen, auf | |
denen Bauern Felder bearbeiten, und Sümpfe, über denen dichte | |
Mückenschwärme stehen. | |
Vielleicht, weil es von denen auch sonst viele gibt, weil Seen und Felsen | |
immer schon alles beschwerlich machten, ist die Region dünn besiedelt. Im | |
Landkreis Puumala, etwa halb so groß wie das Saarland, leben etwas über | |
zweitausend Menschen. Also keine drei pro Quadratkilometer. Aber die Region | |
ist ein beliebtes Urlaubsziel für den innerfinnischen Reiseverkehr, bis vor | |
Kurzem gesellten sich viele Russen dazu. Fast dreimal mehr Sommerhäuschen | |
stehen herum als Menschen hier wohnen. Dabei wächst die Zahl kleiner | |
Unterkünfte, inzwischen gibt es ein paar fabelhafte Restaurants. Man muss | |
in Bögen zu ihnen finden – etwa ein Drittel des Landkreises ist See. | |
## Im gelben Haus auf dem Hügel | |
Und damit wären wir bei Asta Aalto und Ilkka Arvola, hinter einer schmalen | |
Brücke treten sie aus dem Wald. Anhalten, Willkommen bei Uhkua. So heißt | |
ihr kleines Unternehmen, es geht um Naturerlebnisse. Dazu später mehr, | |
jetzt erst einmal die Böschung hinab ans Ufer und zu einem milden | |
Wald-Aperó, sauer, zitronig, frisch, die jungen, hellgrünen Triebe der | |
Fichten sind darin verarbeitet, ein buttriges Kleeblatt schwimmt obenauf. | |
Die beiden wohnen auch hier. Ihnen war das gelbe Holzhaus auf dem Hügel | |
aufgefallen, als sie sich bereits entschieden hatten, Asta sagt das in | |
einer schönen Wendung, den Weg gemeinsam zu gehen. Vor etwas über zwei | |
Jahren zogen sie ein. Die Besitzer wollen gar keine Miete, sondern ein | |
neues Dach, die beiden sollen die Dinge in Schuss halten. Bis zum nächsten | |
Nachbarn fährt man eine Weile, das mit den drei Bewohner auf dem | |
Quadratkilometer ist eher so ein Mittelwert. | |
Kein ganz einfaches Leben. Asta, feine Ohrhänger mit zu Würfeln | |
geflochtenem Holz, legt den Kopf kurz zur Seite. Ilkka trägt Strohhut und | |
Kinnbart in etwa derselben Farbe, seine kräftigen Hände sehen nach grober | |
Arbeit aus: In die kleine Sauna aus dem 19. Jahrhundert hinter uns hat er | |
kürzlich einen größeren Ofen eingebaut. Und weil es ja schon einmal um | |
Temperaturen ging – die sind ein Thema hier. Im Winter seien sie manchmal | |
fünf Stunden am Stück mit dem Schneeräumen beschäftigt, erzählt Asta. | |
Danach zeige das Thermometer sieben Grad an. Im Wohnzimmer. | |
Asta hat dafür ihr Geschäft für Inneneinrichtung in Salo (rund 26 Menschen | |
pro Quadratkilometer) aufgegeben. Zu viel das alles, zu voll, sie machte | |
eine Ausbildung zur Wildnisführerin. Ilkkas Eltern haben ein Häuschen in | |
der Gegend, er wurde in Helsinki und London zum Spitzenkoch, führte einen | |
eigenen Laden – und hatte irgendwann genug. Nun wollen sie Antworten auf | |
die Frage nach dem Urlaub im Norden bieten. | |
Erst einmal eine kleine Rundfahrt mit dem alten Fischerboot, nagelnder | |
Dieselmotor, gemächliche Geschwindigkeit. Hinter der Brücke öffnet sich der | |
See, das Ufer tritt zurück, windet sich in tausend Buchten, verschwindet | |
hinter Landzungen und Nasen. Felsen ragen aus Wäldern oder liegen im | |
Wasser, die Eiszeit hat sie rundgewaschen. | |
Ilkka hat einen Fuß auf der Brüstung, mit dem anderen bedient er Gashebel, | |
kurbelt am Steuerrad. Er zieht eine große Schleife, vielleicht muss man all | |
das Wasser besser als Labyrinth, ein eng geknüpftes System vieler Seen | |
beschreiben – jedenfalls ist der Saimaa jetzt im Juni zu jeder Tageszeit | |
dunkler als Himmel und Wälder: Die Sonne nippt in der Nacht nur kurz hinter | |
den Horizont, hält sich als roter Schimmer und steigt nach zwei Stunden | |
wieder auf. | |
## Gegen die Erwartung | |
Urlaub in diesen Regionen ist nicht die erste Wahl für deutsche Reisende – | |
günstig ist das hier alles nicht, auch die Mücken spielen eine Rolle, | |
vielleicht aber werden hier überschießende Erlebniserwartungen solide | |
unterlaufen. All das Tun und Suchen? Viele Finnen schauen einen da mit | |
einer gewissen Überraschung an: Tja nun, wozu das alles im Urlaub? | |
Der See ist frisch, als wolle er an seinen Ursprung unter kilometerdicken | |
Eisschichten erinnern. In windstillen Abendstunden liegt er da wie | |
angefüllt mit zerflossenem Metall. Man kann dann denken, dass sich etwas | |
von der langsam zergehenden Zeit in seiner dunklen Oberfläche spiegelt, | |
etwas Altes kommt zum Vorschein: die Ahnung, dass wir flüchtige Gäste sind. | |
Wenn man aufschaut, spart sich der dichte Wald am Ufer jeden Kommentar. Die | |
Welt hier drängt nie ins Spektakuläre, sie zieht sich leicht onduliert, ihr | |
reicht stille Nüchternheit. | |
In Finnland stört das niemanden. Im Gegenteil, Finnen fahren (wenn sie sich | |
nicht steuergünstig auf Ostseefähren komplett den Kittel lackieren) meist | |
zu ihrem Mökki. Das ist das Sommerhaus, es steht im besten Fall im Wald und | |
am Wasser und lässt außerdem so viel Abstand zum Nachbarn, dass man ihn | |
nicht sehen muss. Dann spalten sie etwas Holz, werfen die Sauna an, sitzen | |
da. Schauen auf Bäume und Wasser. Holen Fisch aus dem See, bücken sich kurz | |
für Beeren und schauen noch etwas mehr. | |
An den Saimaa zu fahren, bedeutet für weniger finnische Reisende also ein | |
kleines Kontrastprogramm zum engen Rhythmus des Alltags – den wir oft genug | |
mit einiger Erlebniserwartung auch in unsere Ferien verlängern. Stimmt das | |
so weit, Asta Aalto? | |
## Nicht wie in Lappland | |
Sie lacht. Nicht ganz falsch: Sie hat von Workshops gehört, in denen | |
Reisende ihren „inneren Finnen“ kennenlernen, die all die Dinge vermitteln | |
sollen, die Finnen von klein auf lernen. Also: Beeren pflücken. Töpfern. | |
Piroggen backen. Auf den See schauen. Seit Kurzem vielleicht noch aus der | |
Haltung des herabschauenden Hundes. Mit Uhkua gehen sie grob in die | |
Richtung, wollen aber vor allem vermitteln, dass man Zeit mit wenigen | |
Dingen verbringen kann. Vor allem, sagt sie, geht es erst einmal darum, die | |
Dinge „nicht so zu machen wie in Lappland“. | |
Überraschender Satz, den man häufiger in der Gegend hört, wenn man mit | |
Wirten, Gutsbesitzern, Menschen die Ferienhäuser aufstellen, spricht. In | |
Lappland organisieren inzwischen große Ketten Erlebnisreisen, um die | |
Abfertigung von, nun ja, Massen zu organisieren. Charterflüge im Winter, | |
Charterflüge im Sommer, Briten in Hotelkästen, Amerikaner auf | |
Motorschlitten, Franzosen bei der Polarlichtsuche, Deutsche im | |
Rentiergehege. | |
In Lappland, der flächenmäßig größten Region des Landes – die Saarlandsk… | |
reicht da nicht, der Norden Finnlands ist mehr als doppelt so groß wie | |
Niedersachsen –, leben nicht einmal 180.000 Menschen. Also 1,8 auf dem | |
Quadratkilometer. Im vergangenen Winter wurden sie von einer Millionen | |
Touristen aus dem Inland und fast noch einmal 600.000 internationalen | |
Gästen besucht. Über ein Viertel aller Übernachtungen im hohen Norden | |
sollen in diesem Jahr Chinesen buchen. | |
„Nicht wie in Lappland“ bedeutet auch, [2][rücksichtsvoller mit der Umwelt | |
umzugehen]. Der Rat der nordeuropäischen Regierungen hat Nachhaltigkeit im | |
Tourismus als „zentrales Thema“ ausgemacht, nordeuropäische Länder sollten | |
„von Überbelegung und Massentourismus“ absehen, steht [3][in seiner | |
strategischen Tourismusanalyse]. Der Rat erwähnt keine konkreten Fälle, und | |
auch nicht, dass Finnen zwar viel über Nachhaltigkeit reden, aber in | |
anderen Ländern mehr passiert. So wurde in Norwegen der Gebrauch von | |
lärmenden Motorschlitten längst erheblich eingedämmt oder für den | |
touristischen Bereich ganz verboten. Daran kann man denken, während uns auf | |
dem Saimaa drei auf Jetskis entgegenkommen. | |
Lärm und viele Menschen wollen sie hier eher nicht. Was dann? Ilkka dreht | |
sich, kurbelt am Steuerrad, wir kehren zurück zur Brücke, hinter der Inseln | |
den See in eine Enge zwingen. Bojen wie überdimensionierte Poolnudeln | |
markieren die Fahrrinne. Ilkkas rechter Fuß nimmt Fahrt raus, wir richten | |
uns zum Ufer. Qualität, sagt er. | |
Wenn Finnen Qualität sagen, meinen sie vor allem: Natur. Sauberes Wasser, | |
Luft, Lebensmittel – weit über die Hälfte der Finnen sammelt jedes Jahr | |
Pilze und Beeren, Kräuter und eben Fichtenspitzen, Dutzende Kilos sind es | |
jedes Jahr pro Kopf. Dazu fangen sie Fisch, jagen, stellen Fallen. All das, | |
zurück zu Uhkua, kann man mit kleinen Besuchergruppen machen. Ilkka kocht | |
und brät dann den Ertrag über offenem Feuer – dazu junge Kartoffeln, Salat, | |
Gurken, ein paar Kräuter, alles aus dem eigenen Gewächshaus. | |
Er ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Zusammenschluss Designation of | |
Origin Saimaa. Dort zertifizieren sie regionale Produkte und Restaurants | |
und haben Anfang des Jahres einen Preis gewonnen: 2024 ist die Region | |
Saimaa die European Region of Gastronomy. | |
Ein Floß mit einer Sauna haben Ilkka und Asta ebenfalls gebaut, also muss | |
man da nun hinein. Anders als in Deutschland gehen Männer und Frauen | |
getrennt und zu jeder Tageszeit. Über den deutschen Gedanken, im Sommer | |
vielleicht mal nicht in die Sauna zu gehen, lacht man in Finnland. Ein | |
zweites Floß ist ein paar Meter weiter vertäut, hier kann man schlafen. Das | |
Seewasser, erzählt Ilkka hinterher, trinken sie im Winter. Jetzt gerade | |
sind zu viele Blütenpollen darin. | |
Acht Wochen dauert ein Sommer hier nur. Im August leeren sich die | |
Ferienhäuser, es wird schnell kühl. Das weit über Finnland bekannte | |
Opernfestival von Savonlinna ist vorbei, die Sommertheater haben ihre | |
Saison beschlossen, die kleinen Höfe fahren die Ernte ein. Dann wird es | |
noch ruhiger in dieser stillen Region. Asta erzählt von Wanderungen, auch | |
im Regen, sie will mit Urlaubern im Herbst Pilze sammeln und kochen. Die | |
rostrote Landschaft ist dann ein Spektakel. Man muss, sagt sie, bereit | |
sein, Abstand zu gewinnen. Dann kann man lange auf den See schauen. | |
Und schließlich der Winter, Ilkka [4][fischt auch im Eis], sie machen | |
Touren mit Ski und Schneeschuhen. Denken sich Urlaub als Zurückdrehen | |
unserer Entfremdung von der Welt, jenseits von Spektakel und Städten. Man | |
muss, sagt Asta, bereit sein, sich den Rhythmen der Natur unterzuordnen. | |
Die beiden schauen eine Weile, wissend, dass es eine andere Wahl hier | |
sowieso nicht gibt. | |
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde unterstützt von Visit Finland. | |
23 Jul 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.mediaimpact.de/de/media-research/aktuelle-marktforschungsstudie… | |
[2] /Gruener-Kapitalismus/!5811567 | |
[3] http://norden.diva-portal.org/smash/get/diva2:1299201/FULLTEXT01.pdf | |
[4] /Eisangeln/!5149840 | |
## AUTOREN | |
Lennart Laberenz | |
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