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# taz.de -- Haferflocken in Kopenhagen: Brei, auf den man bauen kann
> Als Jugendlicher ernährt sich Lasse Skjønning Andersen viel von
> Haferflocken. Heute betreibt er zehn Cafés, in denen das Getreide die
> Hauptrolle spielt.
Bild: Bei Grød wird mittlerweile auch Deftiges angeboten, beispielsweise Gerst…
Wenn man Lasse Skjønning Andersen am Anfang des Gesprächs fragt, wie um
alles in der Welt er auf Haferflocken kam, legt er die Gabel beiseite. Vor
ihm auf dem tiefen Fensterbrett steht eine Schale mit frischem Grünkohl,
gerösteten Karotten, Spitzkohl. Andersen erzählt dann eine Geschichte über
seine Mutter. Darüber, dass er nicht gerne an seine Kindheit und Jugend
zurückdenkt. Er trank und kiffte, da war er gerade zwölf Jahre alt. Am Tag
seines 15. Geburtstags ging er feiern, besprühte ein paar Wände. Graffiti
war sein Ding.
Lasse Andersen kam 1989 auf die Welt, seine Mutter wurde depressiv. Als er
sieben Jahre alt war, nahm sie sich das Leben. Er lebte mit seinem Vater in
Sydhavnen, einer damals ärmeren Gegend Kopenhagens. Heute erzählt er davon,
dass er mit all dem nicht klarkam, dass er wütend gewesen sei. Andersen
schaut einen dabei geradeaus an und für einen Moment ist er weit weg von
der Frühsommerstimmung vor dem Fenster.
Andersen hat ein paar Fotos von damals, etwas moppelig sieht er aus. Er
erzählt, dass er zu dieser Zeit ungefähr Null Selbstwertgefühl gehabt habe.
Sein 15. Geburtstag, an dem er feiern ging und ein paar Wände besprühte,
endete damit, dass ihn die Polizei festnahm. Sie fuhren ihn nach Hause,
weckten seinen Vater, durchsuchten sein Zimmer. Er wurde zu einer saftigen
Geldstrafe verurteilt.
Seine Lehrer entschieden, dass er nicht gut genug sei für das Gymnasium.
Während Lasse Andersen das erzählt, bewegt er sich kaum, hebt nicht die
Stimme, hat die Hände vor sich auf dem Fensterbrett neben dem Teller
abgelegt. Ihm dämmerte, dass er die Dinge herumreißen musste, und zwar
schnell.
Wie in allen lutherisch geprägten Gesellschaften ist auch in Dänemark Scham
eine relevante Größe. Vielleicht vor dem Vater, vor der Welt, vor sich
selbst. Andersen suchte nach etwas Konkretem, mit dem er anfangen konnte,
etwas, das ihn nicht überfordern würde. Er würde mit seinem Gewicht
anfangen, mit dem Verhältnis zu seinem Körper. Damals, sagt er und grinst,
war gesundes Essen eigentlich dasselbe wie ödes Essen. Irgendwie sah er
darin die Möglichkeit für einen Neustart.
Haferflocken waren für Lasse Skjønning Andersen der Inbegriff für
Langeweile. Also mussten sie gesund sein, er aß sie von nun an jeden Tag.
In der protestantischen Version, mit Wasser gekocht, nicht einmal mit Salz.
Auf eine Art habe er sich zwangsernährt, es sei wie Überlebensnahrung
gewesen. In der [1][Hinwendung zum Basalen] habe kein freudiger Aufbruch,
keine Passion gelegen. Alles, was er eigentlich wollte, war ein normales
Leben. Haferflocken wurden ein Symbol dafür.
Andersen lehnt sich zurück, hinter uns ein Café im Souterrain, beiläufige
Eleganz der reduzierten Einrichtung, der Raum läuft auf eine Bar zu, durch
die Ecklage ziehen sich Fenster an zwei Wänden entlang. Damals, als er mit
der Breikur begann, verlor Lasse Skjønning Andersen schnell an Gewicht.
Nach einem halben Jahr fand er eine Freundin, schaffte es doch aufs
Gymnasium. Er machte weiter, begann zu experimentieren, überlegte, wie er
Haferflocken sonst noch zubereiten konnte.
Das Café heißt Grød, dänisch für Haferbrei, es gibt Frühstück und
Mittagessen. Die Haferflocken wurden zur Erfolgsgeschichte. Auf Umwegen,
denn Andersen wollte zunächst Rockstar werden. Oder zumindest erfolgreicher
Musiker. Dafür zog er 2010 nach London.
Gleichzeitig wurde die nordische Küche zum Trend, das [2][Restaurant Noma]
in einem alten Speichergebäude am Hafen von Kopenhagen zum besten
Restaurant der Welt gewählt. Das 2004 verfasste „Nordic Kitchen Manifesto“
war mit seinen zehn Punkten zu Ethos, [3][Gesundheit, Nachhaltigkeit und
Qualität] Teil der Esskultur geworden.
Zur Geschichte gehört auch, dass in Dänemark seit den 1990ern ein paar
telegene Chefköche am Prestige ihres Berufsstands schraubten, auftraten wie
eine Mischung aus Designstudenten und Rockmusikern. Mit Modelfreundinnen
und Motorradführerschein machten sie den Beruf des Küchenchefs interessant
und sorgten dafür, dass sich die Dänen eine eigene Küche entwarfen.
Genau zu dem Zeitpunkt begann Lasse Skjønning Andersen in London,
ernsthafter darüber nachzudenken, wie aus Haferflocken ein Konzept werden
könnte, was Saisonalität dabei bedeuten würde, welche Rezepte besonders
wären. Haferflocken passten zur Regionalitätsidee der Nordic Kitchen.
Andersen ging es um gesundes Essen, das nicht langweilig sein sollte. Er
machte eine Phase durch, in der er viel mit Chili würzte. Auf Haferflocken,
sagt er, sei das seltsam gewesen. Er hatte andere Ideen. Nicht alles
Fehlschläge, sagt er und lacht.
Dann besuchte ihn sein Freund Martin. Der hatte etwas Erfahrung in
Gastronomie und Lebensmittelindustrie, arbeitete in einer Bäckerei.
Andersen schlug ihm vor, ein Restaurant für Haferbrei aufzumachen. Sein
Freund habe eine Handbewegung gemacht, wie man Fliegen vertreibt.
Am nächsten Morgen hatten sie einen Kater und besprachen die Dinge noch
einmal. In der Woche darauf kündigte Martin seinen Job, verkaufte seine
Rolex. Andersen zog zurück nach Kopenhagen. Sie fanden ein Ladenlokal, 46
Quadratmeter in Nørrebro, einem studentisch geprägten Viertel, einige
Jahrzehnte zuvor gab es hier noch besetzte Häuser.
Das erste Grød öffnete im September 2011. Ein komplettes Chaos war das,
erzählt Andersen. Sie mussten sich einfummeln, den Rhythmus aus Kochen,
Besorgungen, Ebbe und Flut von Kunden beherrschen.
Zuerst ging es um Frühstück: unterschiedliche Flocken, Obstsorten. Kompott
dazu. Salat. Andersen erzählt, dass er gut darin sei, aus Chaos eine
Struktur zu machen. Für die Mittagsküche experimentierten sie mit Gerichten
ohne Haferflocken: Risotto, gegrilltem Gemüse, Spargel.
Seinem Kumpel Martin reichte es irgendwann, Andersen blieb dabei. Heute
betreibt er acht Filialen in Kopenhagen, eine in Århus, eine zehnte nur für
die Belegschaften in einem Bankgebäude. Im Herbst eröffnete er einen Laden
in Oslo. Von seinem Kochbuch, auch schon zehn Jahre alt, wurden 30.000
Kopien verkauft.
Dann bringt Lasse Skjønning Andersen die klassische Variante, die sie bei
Grød von Anfang an anbieten: eine weite Schale, schönes Porzellan, grob
gewalzte Haferflocken, Karamellsauce, mit Äpfeln und gerösteten Mandeln.
Der Biohafer ist lange eingelegt, hat aber noch Biss, die Säure der Äpfel
bildet die Obertöne zur Karamellsauce, das rauchige Aroma der Mandeln
umspielt alles.
„Geht das so?“, fragt Andersen, in seinem Gesicht ernstes Interesse. Das
Gericht verströmt eine Stabilität, etwas, auf das man bauen kann.
Damit, denkt man sofort, lässt sich der Tag angehen.
5 Jul 2025
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## AUTOREN
Lennart Laberenz
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