# taz.de -- Ehemaliger brasilianischer Präsident: Bolsonaro politisch kaltgest… | |
> Brasiliens Ex-Staatsoberhaupt Jair Bolsonaro darf bis 2030 nicht bei | |
> Wahlen antreten. Der Rechtsradikale will trotzdem politisch aktiv | |
> bleiben. | |
Bild: Bolsonaro ist wegen Amtsmissbrauchs das passive Wahlrecht entzogen worden | |
BERLIN taz | Um 12:33 Uhr, brasilianischer Zeit, stand am Freitag die | |
Entscheidung des Obersten Wahlgerichtes fest: Gegen Brasiliens Ex-Präsident | |
Jair Bolsonaro wird ein Amtsverbot erteilt. Fünf Richter*innen stimmten | |
dafür, nur zwei dagegen. Mit der Verurteilung ist Bolsonaro für die | |
nächsten acht Jahre von allen Wahlen ausgeschlossen. | |
Am 22. Juni begann der [1][Prozess gegen Bolsonaro]. Die Anklage wirft ihm | |
vor, bei einem Treffen mit Diplomat*innen im Juli 2022, | |
Falschinformationen über elektronische Urnen verbreitet zu haben. Der | |
Vorsitzende Richter, Benedito Gonçalves, erklärte in seiner | |
Urteilsbegründung: Das Wahlgericht stehe in der Pflicht, „die gefährliche | |
Verbreitung von Desinformationen einzudämmen, die darauf abzielen, das | |
demokratische System zu diskreditieren.“ | |
Bolsonaros Verteidigung erklärte hingegen, ihr Mandant habe mit seiner Rede | |
„Zweifel an der Transparenz des Wahlprozesses“ ausräumen wollen und bestand | |
darauf, die Aussagen seien nicht an Wähler*innen, sondern an ausländische | |
Diplomat*innen gerichtet gewesen. Außerdem kündigte sie an, | |
Rechtsmittel einzulegen und notfalls auch vor den Obersten Gerichtshof zu | |
ziehen. | |
Bei einer Pressekonferenz in der Millionenstadt Belo Horizonte erklärte ein | |
sichtlich aufgewühlter Bolsonaro, die Verurteilung habe ihm einen „Stich in | |
den Rücken“ erteilt. Brasilien befinde sich „auf dem Weg in eine Diktatur�… | |
An drei Wahlen – zwei Regionalwahlen und einer Präsidentschaftswahl – wird | |
Bolsonaro nicht antreten können. Sonst drohen ihm keine weiteren | |
rechtlichen Konsequenzen, weil es sich nicht um ein Strafverfahren | |
handelte. | |
Die könnten aber in weiteren Ermittlungen auf ihn zukommen. Seit seinem | |
Ausscheiden aus dem Präsidentenamt Anfang Januar genießt Bolsonaro keine | |
Immunität mehr vor Strafverfolgung. Anfang Mai [2][durchsuchte die | |
Bundespolizei das Haus des Rechtsradikalen]. Der Vorwurf: Bolsonaro und | |
einige seiner nächsten Angehörigen sollen mit gefälschten Impfpässen in die | |
USA eingereist sein. Ende April musste Bolsonaro vor der Bundespolizei | |
aussagen, die ihn als möglichen „intellektuellen Anstifter“ für die | |
[3][Ereignisse am 8. Januar] sieht. An diesem Tag hatten seine | |
Anhänger*innen das Regierungsviertel in Brasília gestürmt und eine Spur | |
der Verwüstung hinterlassen. Außerdem soll Bolsonaro geschenkten Schmuck | |
aus Saudi-Arabien ohne Verzollung ins Land gebracht haben. | |
Durch die diversen Ermittlungen sehen sich Bolsonaro-Unterstützer*innen in | |
ihrer Auffassung bestätigt, dass ein „Komplott des Systems“ gegen ihr Idol | |
im Gang sei. Doch nicht nur Bolsonaro-nahe Kräfte werfen der Justiz und den | |
Ermittlungsbehörden eine zunehmende Politisierung vor. „Ich habe den | |
Eindruck, dass die brasilianische Justiz in letzter Zeit dazu neigt, zu | |
schauen, wer verklagt wird und welche Folgen das haben wird“, sagte der | |
Politik-Professor und Autor Fernando Limongi im Gespräch mit der | |
Tageszeitung Folha de São Paulo. Auch wenn der Angeklagte Bolsonaro heiße, | |
dürfe die Justiz nicht den Eindruck erwecken, „es handele sich um einen | |
politischen Rachefeldzug.“ | |
## Bolsonaro will weiter politisch aktiv bleiben | |
Bolsonaro gibt sich selbstbewusst und erklärte mehrfach, weiterhin | |
politisch aktiv zu bleiben. „Das ist nicht das Ende der Rechten“, sagte er. | |
Außerdem verkündete er, „ein Ass im Ärmel“ für die Wahl 2026 zu haben. … | |
das genau sein soll, verriet er aber nicht. | |
Während seiner Amtszeit schaffte es Bolsonaro, eine überaus aktive Bewegung | |
hinter sich zu scharen – oft auch als [4][Bolsonarismus bezeichnet]. Immer | |
noch verehren viele Brasilianer*innen den ultrarechten Ex-Staatschef. | |
Die Verurteilung werde sicherlich „einen Einfluss“ auf die Schlagkraft der | |
Bewegung haben, glaubt Odilon Caldeira Neto, Geschichtsprofessor und | |
Rechtsextremismusexperte, im Gespräch mit der taz. Der Bolsonarismus bringe | |
jedoch ganz verschiedene Themen und unterschiedliche rechtsradikale Gruppen | |
zusammen, die auch „ohne die Führung Bolsonaros“ weiterleben werden. | |
Laut Neto gebe es zudem viele Abgeordnete und Senator*innen die | |
weiterhin auf der „Bolsonaro-Welle“ surfen. Sicherheitsfragen und | |
konservative Werte – Kernthemen Bolsonaros – dürften auch bei den nächsten | |
Wahlen einen großen Stellenwert einnehmen. Trotz aller Loyalität haben | |
bereits die Diskussionen über eine mögliche Nachfolge Bolsonaros begonnen. | |
Als aussichtsreichster Kandidat gilt derzeit der Gouverneur von São Paulo, | |
Tarcísio de Freitas. | |
Dieser sagte nach dem Gerichtsurteil, die Führung Bolsonaros sei weiterhin | |
„unbestreitbar“. Bei eingefleischten Bolsonaro-Fans gilt er allerdings als | |
nicht loyal und radikal genug. Auch Bolsonaros Frau Michelle brachte sich | |
unlängst für eine politische Karriere ins Spiel. Die streng gläubige | |
Christin könnte gerade bei Anhänger*innen der Pfingstkirchen punkten, | |
die immer mehr an Einfluss in Brasilien gewinnen. Jair Bolsonaro erklärte, | |
es gebe „mehrere gute Namen“ für seine Nachfolge – natürlich werde er a… | |
seine Frau unterstützen, sollte sie höhere Aufgaben anstreben. | |
1 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Niklas Franzen | |
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