# taz.de -- Drug-Checking in Berlin: Kenne dein Gift | |
> Beim Drug-Checking können Berliner:innen kostenlos und anonym ihre | |
> Drogen testen lassen – wenn sie einen der wenigen Plätze ergattern. | |
Bild: Was ist wirklich drin in meinen Drogen? Die Analyse im Labor soll Klarhei… | |
BERLIN taz | Dienstag ist in Berlin jetzt Drug-Checking-Tag. Vor einem | |
altrosa gestrichenen Haus in der Nähe der Kantstraße stehen schon kurz vor | |
Öffnung um 16 Uhr fünf Menschen in einer Schlange und warten. In ihren | |
Taschen: Tütchen und Kapseln mit Pillen und Pulver. Pünktlich zum | |
Wochenende sollen die Testergebnisse da sein und die Konsument:innen | |
wissen, welche Inhaltsstoffe wirklich in ihren Drogen sind. | |
Unter den Wartenden ist auch eine junge Informatikstudentin. Sie tippt auf | |
ihr Handy, auf dessen Rückseite Sticker des bekannten Techno-Klubs Sisyphos | |
kleben. „Nächstes Wochenende fahre ich auf die Fusion“, erzählt sie. Auf | |
einem der größten Musikfestivals Deutschlands, nahe der Müritz, werden ab | |
diesem Mittwoch fünf Tage lang kollektiver Ausnahmezustand gefeiert und | |
eine bessere Welt erträumt. Wie viele andere | |
Festivalteilnehmer:innen greift die Studentin dabei gelegentlich auf | |
den Konsum psychoaktiver Substanzen zurück. | |
Seit dem 6. Juni läuft das von der Senatsgesundheitsverwaltung finanzierte | |
Projekt für Drogentests im Regelbetrieb. Menschen können kostenlos und | |
anonym ihre Drogen abgeben. Das Labor der Berliner Gerichtsmedizin, das | |
Landesinstitut GerMed, untersucht die Substanzen dann auf Zusammensetzung | |
und eventuelle Verunreinigungen. Neben der [1][Schwulenberatung] in | |
Charlottenburg ist in Kreuzberg der Verbund [2][Vista] zuständig. In | |
Neukölln nimmt die Sozialberatungsstelle [3][Fixpunkt] die Drogen entgegen. | |
Eine Mitarbeiterin vom Empfang der Schwulenberatung kommt raus auf den | |
Gehweg. Zu einem jungen Mann, der sich als letzter in die Schlange | |
einreiht, sagt sie freundlich: „Wenn noch mehr Menschen kommen, sag ihnen, | |
dass wir heute leider schon voll sind.“ | |
## Modellprojekt gestartet | |
Die Nachfrage nach dem neuen Angebot ist hoch. Conor Toomey, der fachliche | |
Leiter des Drug-Checking-Projekts bei der Schwulenberatung, sagt: „Der | |
Bedarf ist enorm. Er ist viel größer als das, was wir bedienen können.“ | |
Tatsächlich kommen innerhalb der nächsten Minuten noch drei weitere Männer, | |
denen abgesagt werden muss. Bevor die Beratungsstelle heute offiziell | |
öffnet, sind schon alle Slots belegt. Angesichts zehntausender | |
Konsument:innen in Berlin sind die Kapazitäten sowohl im Labor als auch | |
bei den drei Beratungsstellen viel zu gering angelegt. | |
Die Mitarbeiterin der Schwulenberatung kommt ein zweites Mal hinaus, | |
verteilt Zettelchen und bittet die Wartenden hinein. Die kleine Kolonne | |
wird vorbei an einer weißen Empfangstheke in einen großen Warteraum | |
geleitet. An dessen Ende steht eine riesige Sofaecke. Alle nehmen Platz und | |
fangen an, die kleinen Zettel auszufüllen. Durch die Anfangsbuchstaben des | |
Vor- und Nachnamens der Mutter in Kombination mit Ziffern des eigenen | |
Geburtstages wird ein Code erzeugt, der später zwar die Zuordnung der | |
Proben ermöglicht, aber keine Rückschlüsse auf die Person zulässt. | |
## Bekanntes Konzept | |
Schon seit Jahrzehnten laufen die Bemühungen in der Hauptstadt, | |
Drug-Checking einzuführen. Den ersten Versuch machte der Verein Eve & Rave | |
Ende der 90er Jahre. Damals klagte allerdings die Staatsanwaltschaft die | |
Mitarbeitenden wegen Drogenbesitzes an, später wurden sie freigesprochen. | |
Nachdem das Bundesgesundheitsministerium alle staatlichen Labore angewiesen | |
hatte, keine Proben privater Organisationen anzunehmen, verliefen die | |
ersten Bemühungen im Sande. | |
Eine neue Chance bot sich erst 20 Jahre später. Im rot-rot-grünen | |
Koalitionsvertrag von 2016 einigten sich SPD, Linke und Grüne auf das | |
Projekt Drug-Checking, dessen Vorarbeiten Ende 2018 starteten. Die | |
Abstimmung der beteiligten Senatsverwaltungen mit Behörden wie Polizei oder | |
Staatsanwaltschaft sorgte für einen langen Vorlauf und verzögerte das | |
Projekt immer wieder. Durch ein Rechtsgutachten sei die Straffreiheit aller | |
Beteiligten mittlerweile sichergestellt, erklärt der fachliche Leiter der | |
Schwulenberatung: „Niemand muss befürchten, dass er oder sie in der Nähe | |
der Standorte kontrolliert wird“, versichert Toomey. | |
Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) sieht im Drug-Checking den Vorteil, | |
dass so Freizeitkonsument:innen adressiert werden können: „Die | |
analysegestützte Beratung bietet unter anderem die Chance, die bislang nur | |
wenig erreichten Party- und Freizeitdrogenkonsumierenden anzusprechen und | |
für Risiken des Konsums zu sensibilisieren.“ Toomey sieht das durch die | |
Praxis bestätigt. „Es kommen andere Menschen als sonst zu uns“, sagt er. | |
„Freizeitkonsument:innen lernen so niedrigschwellig unsere | |
Beratungsstelle kennen. Wenn sie in Zukunft Hilfe mit ihrem Konsum | |
brauchen, wissen sie, wo sie uns finden“, betont Toomey. | |
Auf der Sofaecke im Warteraum sitzt die TU-Studentin, die schon vorm | |
Eingang gewartet hat. Die junge Frau erzählt, sie wolle vor ihrem | |
Festivalbesuch sichergehen, dass sie von den Drogen auch wirklich die | |
Wirkung erwarten kann, die ihr versprochen wurde. Ursprünglich wollte sie | |
die Substanzen zu Hause selbst auf ihre Zusammensetzung testen und dafür im | |
Internet Testkits bestellen. Das habe sich aber als ziemlich kompliziert | |
erwiesen, erzählt sie. Dann habe sie nach einer Drug-Checking-Möglichkeit | |
gesucht. Beim ersten Besuch ist ein etwa 20-minütiges Beratungsgespräch | |
verpflichtend. Als Fünfte in der Reihe muss die Studentin sich also noch | |
gedulden. | |
## Erste Zahlen | |
In Österreich, der Schweiz, Frankreich oder den Niederlanden existieren | |
Drug-Checking-Angebote seit Jahren. In Berlin wird das neue Angebot gut | |
angenommen, wie die Zahlen zwei Wochen nach dem regulären Start belegen: | |
Insgesamt 83 Proben nahm das Labor zur Analyse entgegen. Partydrogen wie | |
MDMA und Speed wurden dabei am häufigsten abgegeben, gefolgt von Kokain, | |
dem Narkosemittel Ketamin und Crystal Meth. | |
Manche der Substanzen waren dabei auch falsch gekennzeichnet. So stellte | |
sich zum Beispiel vermeintliches Kokain im Nachhinein als Ketamin heraus. | |
Eine Verwechslung, die beim Konsum nicht ungefährlich ist, da die | |
Substanzen völlig unterschiedliche Wirkungen entfalten. | |
## Prävention und Aufklärung | |
Ein äußerst freundlicher Mitarbeiter der Schwulenberatung mit kurzer Hose | |
und weißem T-Shirt betritt den Warteraum und ruft die nächste Person auf. | |
Vorbei an der weißen Theke im Eingangsbereich geht es in den Beratungsraum. | |
Vor zwei vollgepackten Bücherregalen, die bis zur Decke ragen, stehen ein | |
Sofa und Sessel. Auf dem Tisch liegt ein kleines Tablett mit Spatel, einer | |
Zange und drei kleinen Plastikröhrchen. Damit werden später die Proben der | |
Drogen entnommen. | |
Von Pulvern wie Kokain oder Speed reicht eine Messerspitze. | |
Ecstasy-Tabletten oder LSD-Trips müssen ganz abgegeben werden. „Nur so | |
können wir zuverlässig die Gesamtmenge der darin enthaltenen Wirkstoffe | |
ermitteln“, heißt es auf der Webseite. Zurückgegeben werden die abgegebenen | |
Proben nach der Analyse nicht. | |
Der Mitarbeiter nimmt auf dem Sessel Platz und holt einen Fragebogen | |
hervor. Darin werden Daten wie Alter, Nationalität und Geschlecht erfasst. | |
Außerdem stellt er Fragen zum Drogengebrauch: „Welche drei Substanzen | |
konsumierst du am häufigsten?“, „Wie nimmst du sie ein?“ und „Bist du … | |
deinem Konsum zufrieden?“ | |
Diese Fragen dienen der Reflexion des eigenen Konsums. Bei weiterem | |
Beratungsbedarf helfen die Träger weiter und vermitteln gegebenenfalls auch | |
an andere Stellen. Anschließend wird eine Einverständniserklärung | |
abgegeben, in der steht, dass das Projekt keine Haftung für die Folgen des | |
Konsums übernimmt und mit den Substanzen nicht gedealt werden darf. | |
## Drogen staatlich geprüft? | |
Was aber, wenn Dealer das Angebot für ihre Zwecke missbrauchen und | |
„staatlich geprüfte Drogen“ weiterverkaufen? Das sei nicht möglich, sagt | |
der Mitarbeiter der Schwulenberatung. Die Beratungsstellen geben keine | |
Zertifikate oder schriftliche Bestätigungen heraus. Nur per Telefon kann | |
etwa eine Woche nach Abgabe der Drogen ihre Zusammensetzung erfragt werden. | |
Für den spontanen Konsum ist das neue Angebot also nicht geeignet. | |
Kurzentschlossene können aber auf die [4][Warnungen] auf der Webseite des | |
Projekts zurückgreifen oder andere Informationsquellen nutzen. Die App | |
[5][KnowDrugs] oder die Schweizer Website [6][saferparty] klären ebenfalls | |
auf und warnen vor Risiken. | |
Ob das Angebot in Berlin weitergeführt und aufgrund der hohen Nachfrage | |
weiter ausgebaut wird, muss die zuständige Senatsverwaltung für Gesundheit | |
innerhalb eines Jahres entscheiden. So lange zumindest steht die | |
Finanzierung für das Programm, erklärt Toomey. | |
Das Modellprojekt könnte auch bundesweit Strahlkraft haben: | |
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sagte mit Verweis auf die | |
Nachbarländer, in denen das Drug-Checking bereits etabliert ist, das Testen | |
helfe, Drogentote zu vermeiden und den Konsum zurückzudrängen. „Es wird | |
zurzeit beraten, wie das Berliner Projekt auch bundesweit Schule machen | |
kann“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium. | |
Eine Woche nach der Abgabe der Proben kann die TU-Studentin schließlich | |
ihre Analyseergebnisse erfragen. Für die anstehende Fusion noch genau | |
rechtzeitig. Mit einer Sorge weniger kann sie nun für fünf Tage in eine | |
bessere Welt eintauchen. | |
29 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://drugchecking.berlin/index.php/kontakt/schwulenberatung | |
[2] https://drugchecking.berlin/index.php/kontakt/vista | |
[3] https://drugchecking.berlin/index.php/kontakt/druckausgleich | |
[4] https://drugchecking.berlin/warnungen/aktuelle-warnungen | |
[5] https://knowdrugs.app/de/ | |
[6] https://www.saferparty.ch/ | |
## AUTOREN | |
Leonel Steinbrich | |
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