# taz.de -- Große Straßenblockaden in Argentinien: Ein Kampf um begrenzte Res… | |
> Argentinien ist reich an Lithiumvorkommen. Aber Indigene der Provinz | |
> Jujuy sorgen sich, dass ihr Wasser unter dem Abbau leidet – und wehren | |
> sich. | |
Bild: Protest gegen den Lithiumabbau: Vor San Salvador in der Provinz Jujuy blo… | |
BUENOS AIRES taz | „No al litio, si al agua – Nein zum Lithium, ja zum | |
Wasser“, steht auf einem Pappschild neben der Straße zur Kleinstadt | |
Purmamarca in der nordargentinischen Provinz Jujuy. Baumstämme, Äste und | |
Steine liegen auf dem Asphalt und blockieren die Ruta Nacional 52. Etwas | |
abseits brennt ein Autoreifen. Je nach Tageszeit versammeln sich hier bis | |
zu 500 Angehörige indigener Gemeinschaften aus der Umgebung. | |
Kilometerweit stauen sich die Fahrzeuge. Alle drei Stunden wird die | |
Blockade für 30 Minuten aufgehoben und ein Teil von ihnen durchgelassen. | |
Als die Polizei vor einer Woche versuchte, die Blockade zu räumen, kam es | |
zu gewaltsamen Zusammenstößen. Die Blockierenden hielten Stand, die | |
Uniformierten zogen sich zurück. Ein 17-Jähriger verlor durch ein | |
Gummigeschoss das Augenlicht auf einer Seite. | |
„Diese Tage sind entscheidend. Die Bergbaufirmen wollen das Lithium und die | |
Wasserquellen auf unseren Territorien“, sagt eine junge Indigene ins Mikro | |
eines Nachrichtensenders. „Deshalb werden wir auf den Straßen bleiben.“ Und | |
das ist nicht der einzige Protest in der Provinz. | |
In Jujuy leben rund 300 indigene Gemeinschaften, vor allem in der Puna, dem | |
Hochland mit seinen großen Salzseen, in denen das Lithium vorkommt. Die | |
wenigsten Gemeinschaften haben einen Rechtsstatus oder Eigentumstitel für | |
das Land, das sie seit Jahrhunderten bewohnen. | |
## Lithiumbatterien sind gefragt | |
Aktuell gibt es in der Provinz zwanzig Straßenblockaden. Jujuys Tagespresse | |
[1][listet die Standorte auf] und nennt die Rhythmen, in denen sie für | |
kurze Zeit passierbar sind. Solidarität kommt auch aus Europa: Eine | |
[2][Grußbotschaft von Greta Thunberg] ist online. | |
Von den weltweit auf 86 Millionen Tonnen geschätzten Lithiumvorkommen | |
verfügt [3][Argentinien über 19,3 Millionen Tonnen], von denen ein großer | |
Teil in Jujuy lagert. Seit die Mobilitätswende in den Industriestaaten die | |
Nachfrage nach Batterien in die Höhe treibt, wächst der Druck auf den Abbau | |
des Metalls. | |
Lithium ist [4][wesentlicher Bestandteil der Batterieproduktion] und | |
Bodenschätze sind in Argentinien Eigentum der Provinzen. Jujuys | |
Provinzregierung hat denn auch längst Konzessionen für den Abbau an | |
internationale Bergbaufirmen vergeben. Um weitere Investoren im großen Stil | |
anzulocken, muss sie Rechtssicherheit gewährleisten, was nichts anderes | |
bedeutet, als den reibungslosen Zugang, Abbau und Abtransport von Lithium | |
zu garantieren. | |
Massenproteste in San Salvador | |
Deshalb brachte Jujuys mitte-rechter Gouverneur Gerardo Morales eine Reform | |
der Provinzverfassung auf den Weg, bei der einige Artikel besonders | |
hervorstechen. In Artikel 50 heißt es, dass künftig „der Staat dafür | |
verantwortlich ist, sowohl den Rechtsstatus der Gemeinschaften innerhalb | |
des Provinzgebiets als auch das Gemeinschaftseigentum und das Eigentum der | |
von ihnen traditionell genutzten Ländereien anzuerkennen“. | |
In Artikel 36 über das Recht auf Privateigentum heißt es, dass unerlaubte | |
Besetzungen zukünftig als „schwerwiegende Verletzung der Eigentumsrechte“ | |
betrachtet und „Räumungsmechanismen und Schnellverfahren“ eingesetzt | |
werden. | |
Bislang keine Toten – ein Wunder | |
Aber die Stimmung in der Provinz war schon vor den Blockaden aufgeheizt. | |
Seit Anfang Juni streiken die Lehrkräfte an den Schulen für eine Erhöhung | |
ihrer Gehälter, die weit unter dem Wert des nationalen Basiswarenkorbs von | |
monatlich umgerechnet knapp 400 Euro liegen. Als sich die | |
Staatsangestellten dem Streik anschlossen, drohte Morales mit einem | |
Protestverbot per Dekret. Dennoch erlebte die Provinzhauptstadt San | |
Salvador Mitte Juni die größte Demonstration der letzten Jahre. | |
Tausende Menschen hatten sich versammelt, um für höhere Löhne und gegen die | |
Verfassungsreform zu protestieren. „Wenn zukünftig Morales entscheidet, wer | |
eine indigene Gemeinschaft ist und was mit dem Land geschieht, auf dem | |
diese lebt, dann ist das eine Kampfansage an alle Gemeinschaften“, erklärte | |
ein indigener Vertreter. „Morales muss gehen und mit ihm seine | |
Verfassungsreform“, so die Forderung. | |
## Gouverneur nimmt Änderungen zurück | |
Der Gouverneur lenkte ein und nahm die Änderungen der Artikel 36 und 50 | |
zurück. Dennoch, als der Verfassungskonvent vergangenen Dienstag mit den | |
Stimmen der peronistischen Opposition für die Annahme der reformierten | |
Verfassung stimmte und nur die acht Konventmitglieder der linken Frente de | |
Izquierda fernblieben, eskalierte der Protest. Demonstrierende drangen ins | |
Parlamentsgebäude ein und verwüsteten Büros, während sich Provinzpolizei | |
und Protestierende in den Straßen rund um das Gebäude eine heftige Schlacht | |
lieferten. | |
Die vorläufige Bilanz: mindestens 170 Verletzte, darunter einige | |
Schwerverletzte. 68 vorübergehende Festnahmen. Die Menge der geworfenen | |
Steine wird offiziell mit 19 Tonnen angegeben, abgefeuerte Gummigeschosse | |
und Tränengasgranaten wurden nicht gezählt. Umstritten ist, ob auch scharfe | |
Munition verschossen wurde. Unstrittig ist das Wunder, dass bisher niemand | |
ums Leben kam und, dass die Blockaden der Landstraßen weitergehen. | |
25 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.eltribuno.com/jujuy/nota/2023-6-24-10-47-0-se-siguen-multiplica… | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=GkYbIzUhe4Y&t=2s | |
[3] /Lithiumgewinnung-in-Argentinien/!5821885 | |
[4] /Grafit-fuer-E-Autos-und-Co/!5818306 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
## TAGS | |
Wassermangel | |
Batterien | |
Argentinien | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
klimataz | |
Verfassung | |
Indigene | |
Lithium | |
Ressourcenverbrauch | |
Buenos Aires | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erdüberlastungstag: Globale Ressourcen aufgebraucht | |
Momentan lebt die Menschheit so, als hätte sie 1,75 Planeten zur Verfügung. | |
Für 2023 sind alle nachwachsenden Ressourcen verbraucht. | |
Buenos Aires: Obdachlose verlieren Stopover | |
In Argentinien haben Behörden und Betreiber des städtischen Flughafens von | |
Buenos Aires das dortige Nachtlager überraschend aufgelöst. | |
Portugal genehmigt riesigen Tagebau: Lithium für 500.000 E-Autos im Jahr | |
Verkehrswende kontra Umwelt: In der portugiesischen Region Covas do Barroso | |
liegt die größte Lithiummine Westeuropas. Und sie ist Unesco-Welterbe. | |
Lithiumgewinnung in Argentinien: „Proteste werden kleingehalten“ | |
Für die Verkehrswende werden im südamerikanischen Lithiumdreieck Unmengen | |
Wasser verbraucht. Das trifft vor allem die indigenen Gemeinschaften. | |
Lithium-Abbau in Chile: Der Streit um das weiße Gold | |
Lithium steckt in Akkus für Mobiltelefone und in Batterien für | |
Elektrofahrzeuge. Die Regierung in Santiago wittert ein Geschäft, wenn sie | |
den Abbau privatisiert. |