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# taz.de -- Ausstellung im Kunstraum Kreuzberg: Alte Heimat und neues Heim
> In „Beyond Home“ erforscht eine Gruppe migrantischer Künstlerinnen die
> Konzepte von Heim und Heimat. Dabei suchen sie auch nach neuen Deutungen.
Bild: Für „Die Geschichte Handelt Von Dir“ hat Özlem Sariyildiz Sätze zu…
Ziegelsteine liegen auf dem Boden des Kunstraums Kreuzberg verteilt. In sie
sind Texte eingeritzt. „Berlin ist jetzt mein Zuhause“ steht dort. Aber
auch „I miss my childhood“ und „I don’t like to get old in Germany“. …
Künstlerin und Filmemacherin Özlem Sariyildiz hat diese Sätze aus
Interviews mit Neuankömmlingen in Berlin extrahiert.
Wie sie da auf dem Boden liegen, einzelne Steine auf einer ebenen Fläche,
muten sie ein wenig [1][wie die Stolpersteine an, mit denen der Künstler
Gunter Demnig] in Deutschland und sogar über die Landesgrenzen hinaus an
von den Nationalsozialisten ermordete oder in den Suizid getriebene
Menschen erinnert.
Die Ziegelsteine, die Sariyildiz ausgelegt hat, verweisen auf sehr
lebendige Menschen in unserer Gegenwart, auf Menschen, die aus ihren
Heimatländern vertrieben wurden oder die die Flucht vor noch größerem Übel
vorzogen und jetzt in Berlin eine neue Heimat suchen. Das so gewaltig
aufgeladene Wort ‚Heimat‘, das durch die NS-Propaganda derart kontaminiert
wurde, dass manchen Deutschen noch heute das Aussprechen schwerfällt,
erfährt durch die Neuankömmlinge auf Heimatsuche eine wieder neue
Bedeutungsebene.
Was, wenn es kein Heim gibt?
„Beyond Home“, kuratiert von einer Gruppe feministischer migrantischer
Künstlerinnen, ist darüber hinaus auch eine Auseinandersetzung mit der
patriarchalen Perspektive auf das Heim als den Platz, an dem Frauen zu sein
haben. Was aber tun, wenn es kein Heim mehr gibt, und auch die Heimat
verloren ist?
Den Zustand des Verlusts, des Nicht-mehr-Daseins, setzt Aleksandra
Kononchenko auf ganz besondere Art in Szene: Die Fotografin aus Belarus
musste erleben, wie im Grenzgebiet zwischen ihrer Heimat und Polen
zahlreiche Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan festsaßen, weder nach
Belarus zurückkehren durften, wo sie nur ein Faustpfand im zynischen
politischen Spiel des Minsker Diktators Alexander Lukaschenko darstellten,
und auch nicht vom EU-Land Polen aufgenommen wurden.
Kononchenko sammelte Objekte und Artefakte, die die Geflüchteten in den
Wäldern zurückließen, und ließ Salzkristalle auf ihnen wachsen. Salzkrusten
bedecken Tassen und Schalen, Messer und Löffel, ganz so, als handele es
sich um archäologische Fundstücke aus sehr fernen Epochen. Das Salz aber
ist frisch. Es gehört zu jedem Haushalt, in jede Speisekammer – und es ist
auch der Feststoff in Tränen, die in Momenten von Angst, Elend und Trauer
vergossen werden. Wie viele Tränen müssten geflossen sein, um derart dicke
Salzschichten zu bilden?
„Beyond Home“ verharrt allerdings nicht in der Opferhaltung. „Ich bin nic…
nur das Opfer“ steht auch auf einem der Ziegelsteine von Sariyildiz, die
gemeinsam mit [2][Selda Asal] und Sirin Fulya Erensoy auch Kuratorin der
Ausstellung ist.
Befreiungsmomente offeriert die Performance-Installation „Der Stoff“ von
Havin Al-Sindy. Eine Gruppe kurdischer Frauen hat ihre Kleider mit einer
Schicht aus weißem Gips bedeckt. Die Frauen beginnen darunter zu tanzen.
Nach und nach platzt der Gips ab. Die Kleider werden sichtbar, die Frauen
schälen sich aus dem Weiß heraus, werden individuell.
Sichtbar werden und bleiben
Ein Mittel des Sichtbarwerdens und Sichtbarmachens ist auch die Initiative
Wawa (Women Artists Web Archive), das in Form eines Video-Archivs
Künstlerinnen und ihre Arbeiten vorstellt und einzelne Interviews auch in
der Ausstellung zeigt.
Als sehr praktisches Wissensweitergabe-Projekt fungiert Marina Napruskinas
„Closed to the public“. Die aus Minsk stammende Künstlerin dokumentiert
darin Asylverfahren am Landgericht Moabit und liefert damit neuen
Jahrgängen von Geflüchteten Einblicke in die teils sehr verletzend
wirkenden Fragepraktiken der Richter*innen.
„Beyond Home“ bearbeitet ein großes Themengebiet aus unterschiedlichen
Perspektiven. Die Ausstellung wird von einem Veranstaltungsprogramm
begleitet.
19 Jul 2023
## LINKS
[1] /Stolpersteine-fuer-Schwarze-NS-Opfer/!5796828
[2] /Kolumne-Berliner-Galerien/!5323695
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Kunst
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Ausstellung
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