# taz.de -- Ukrainische Hafenstadt Odessa: Eine Stadt in Habachtstellung | |
> Die ukrainische Hafenstadt Odessa liegt nicht an der Front, trotzdem ist | |
> der Krieg auch hier dauerpräsent. Ein Streifzug durch den Ort. | |
Bild: Leben im Krieg: Ein Parkkonzert zu Ehren der ukrainischen Marine Anfang J… | |
ODESSA taz | In Odessa gibt es Momente, da scheint der Krieg Russlands | |
gegen die Ukraine weit weg zu sein. Menschen flanieren an den Sommertagen | |
durch die Fußgängerzone in der Innenstadt. Straßenmusiker spielen. Man geht | |
den täglichen Einkäufen nach, geht abendessen im georgischen Restaurant | |
oder gönnt sich einen Eiskaffee. | |
Doch das ist nur die Oberfläche. Zwar sind Richtung Hafen weniger Straßen | |
abgesperrt als vor einem Jahr, aber es gibt noch die Sandsackbarrieren, an | |
denen die Soldat:innen der Territorialverteidigung nur durchlassen, wer | |
eine Erlaubnis hat. Um 10.45 Uhr gibt es am Mittwoch wieder Alarm. Schiffe | |
der russischen Schwarzmeerflotte seien ausgelaufen, die Marschflugkörper | |
vom Typ Kalibr abfeuern können, heißt es in den lokalen | |
[1][Telegram]-Kanälen. Abgesehen von einem kurzen Blick aufs Smartphone | |
zeigen die meisten keine Reaktion. Nach anderthalb Stunden kommt die | |
Entwarnung. | |
Sie habe sehr schlecht geschlafen, erzählt Katya. „Ich mache mir große | |
Sorgen wegen der nuklearen Bedrohung.“ Am Vorabend hatte Präsident Selenski | |
nochmals vor einem russischen Anschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja | |
gewarnt. Von Odessa ist es rund 350 Kilometer Luftlinie entfernt. „Ich habe | |
keine [2][Jodtabletten]“, sagt sie. Die Tabletten sollen die Aufnahme von | |
radioaktivem Jod in der Schilddrüse blockieren. „Ich habe die Russen so | |
satt.“ Sie hoffe auf die Gegenoffensive der ukrainischen Armee. „Es ist | |
aber noch zu früh, um ein Ergebnis zu beurteilen.“ | |
Wie schnell der Krieg auch in der Schwarzmeerstadt real werden kann, sieht | |
man in der Schewtschenko-Allee. Für einen Wochentag ist es sehr ruhig. Nur | |
zwei etwa zwölfjährige Jungen drehen ein paar Runden mit dem Fahrrad auf | |
einem Parkplatz. Der ist eigentlich abgesperrt, aber das Flatterband hat | |
dem Wind offenbar nicht standgehalten. Nur ein einzelner ausgebrannter | |
Kleinwagen steht dort vor einem elfstöckigen Gebäude. | |
## Am Meer lauern die Minen | |
Der Raketeneinschlag in der achten Etage ist gut zu erkennen. Dort sind | |
Wände herausgerissen und rußgeschwärzt. Die Betondecke zur neunten Etage | |
sieht aus, als wäre ein Stück herausgebissen worden. In dem Bürogebäude mit | |
Läden in den unteren Etagen ist alles demoliert. Drei Menschen wurden bei | |
dem Angriff Mitte Juni hier verletzt. In einem Lagerhaus kamen in derselben | |
Nacht drei Mitarbeiter ums Leben. | |
Taxifahrer Valentin schnauft bei der Frage nach der Gegenoffensive. Erst | |
will er nicht so richtig reden, dann legt er doch los. Er komme aus der | |
teilweise besetzten Region Cherson. Frau und Kinder seien im Westen der | |
Ukraine. Um Geld zu verdienen, fahre er nun in Odessa Taxi. Natürlich wolle | |
er, dass seine Heimat wieder befreit werde. Aber das sei eben nicht | |
einfach. Russland habe eine große Armee. Er wolle nicht unhöflich sein und | |
sei dankbar für die Hilfe auch aus Deutschland. „Ich denke, es wäre | |
einfacher, wenn wir mehr Waffen bekommen hätten. Kampfflugzeuge zum | |
Beispiel.“ | |
Regisseurin Yelisaveta verbringt ein paar Tage zuvor ein paar Stunden am | |
Strand. Ans Meer selbst darf man nicht wegen der Minengefahr und der | |
Wasserverschmutzung, nachdem die russische Armee den [3][Kachowkastaudamm] | |
gesprengt hat. Aber immerhin ihr sechsjähriger Sohn könne im Pool | |
planschen. „Da kann ich nicht nein sagen.“ Auch sie macht sich Gedanken | |
über die radioaktive Bedrohung. „Das zeigt, dass Russland einen Erfolg der | |
Gegenoffensive fürchtet.“ | |
Viele ihrer Freunde und Bekannten seien in den vergangenen Monaten zur | |
Armee mobilisiert worden. „Die meisten sind noch in der Ausbildung, einige | |
in Nato-Ländern, andere in der Ukraine.“ Sie habe den Eindruck, dass | |
gründlich ausgebildet werde und viele Einheiten noch gar nicht an der | |
Gegenoffensive beteiligt seien. Es gehe auch nicht darum, schnell zu sein, | |
sondern mit möglichst wenig Opfern voranzukommen. „Russland hatte viel | |
Zeit, sich vorzubereiten. Sie haben so viele Minen gelegt.“ Die müsse man | |
erst mal beseitigen. | |
Um 13.56 Uhr heulen wieder die Sirenen in Odessa. Strategische Bomber | |
Russlands hätten laut der ukrainischen Luftwaffe in der Nähe des Kaspischen | |
Meeres Marschflugkörper Richtung Osten und Süden der Ukraine gestartet, | |
kann man auf Telegram lesen. Zumindest, wenn man auf sein Handy schaut. | |
6 Jul 2023 | |
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## AUTOREN | |
Marco Zschieck | |
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