| # taz.de -- Denkmalschutz: Zurück in die Zukunft | |
| > Lange Zeit war klar: Der sogenannte Mäusebunker in Lichterfelde muss weg. | |
| > Auf einem Symposium in der Berlinischen Galerie klang das nun ganz | |
| > anders. | |
| Bild: Nicht schön, aber selten: der Berliner „Mäusebunker“ | |
| Berlin taz | Es ist fürwahr eine Kehrtwende, die in der Betrachtung des | |
| sogenannten [1][Mäusebunkers, diesem spektakulären Bauwerk in | |
| Lichterfelde], hingelegt wurde. Vor ein paar Jahren war so gut wie | |
| beschlossen: Der 117 Meter lange und nunmehr seit vier Jahren leer stehende | |
| und nicht mehr benutzte Stahlbetonbau, der aussieht wie ein Raumschiff aus | |
| einem Science-Fiction-Film und auch Ähnlichkeiten mit einem Panzerkreuzer | |
| hat, muss abgerissen werden. Auch wenn er als einer der herausragendsten | |
| Beispiele für den Architekturstil des Brutalismus in Deutschland und als | |
| einer der bedeutendsten Nachkriegsbauten Westberlins gilt. | |
| Eine Anschlussverwendung für das schadstoffbelastete Gebäude gebe es nicht, | |
| hieß es, da es ein superspezieller Zweckbau sei. Seit er von der Charité | |
| nicht mehr benutzt wird, sei ihm die Bestimmung abhanden gekommen. Doch auf | |
| einem Symposium in der Berlinischen Galerie am Freitag wurde nun | |
| verdeutlicht, dass das „ikonische Gebäude“ nun doch eine Zukunft haben | |
| soll. Und nach Möglichkeit sogar eine goldene. | |
| Wie die genau aussehen soll, weiß man zwar noch nicht, die Rede ist von | |
| einer Transformation, die in vielleicht ungefähr 20 Jahren abgeschlossen | |
| sein könnte. Da er aber seit Mai dieses Jahres [2][unter Denkmalschutz | |
| steht], soll der Betonklotz laut einer Studie nun nicht weniger als ein | |
| „Reallabor der Architekturforschung“ und ein „Experimentierfeld der | |
| Bauwende“ werden. | |
| Das klingt sogar noch pompöser als der Vorschlag des Architekten Arno | |
| Brandlhuber und des Galeristen Johann König, die sich schon vor Jahren | |
| gegen den bereits geplanten Abriss des Mäusebunkers stark machten und in | |
| mehreren offenen Briefen davon sprachen, das Gebäude selbst kaufen zu | |
| wollen, um daraus, wie sie unter anderem schrieben, „ein neues kulturelles | |
| Zentrum Berlins“ zu machen. Gelänge die angedachte Transformation, wäre das | |
| aus mehreren Gründen tatsächlich ein echter Paukenschlag. | |
| ## Unbequemes Erbe | |
| Allein schon aufgrund der Historie des Mäusebunkers. Gebaut wurde er in den | |
| Siebzigern, um hier die Laboratorien für Tierversuche der Freien | |
| Universität Berlin unterzubringen. Nach zehn Jahren Bauzeit wurde er erst | |
| 1981 fertiggestellt. Ab 2003 wurde er zur Forschungseinrichtung für | |
| experimentelle Medizin der Charité. Tausende Lebewesen wurden hier zu | |
| Forschungszwecken zu Tode gequält. Man hat es also mit einem Zweckbau mit | |
| einer gewissermaßen ethisch vorbelasteten Aura zu tun. Im | |
| Architekturdiskurs gibt es sogar einen Fachbegriff dafür: Dissonant | |
| Heritage, also „unbequemes Kulturerbe“. Das gilt es aufzugreifen und | |
| umzucodieren. | |
| Nicht zuletzt daher stammen auch einige der Ideen, die in der neuen Studie | |
| zum Mäusebunker aufploppen und den Ort sozusagen „heilen“ sollen. Wie wäre | |
| es denn, wenn hier einmal eine Raupen- und Schmetterlingsfarm einziehen und | |
| ein Fledermausturm errichtet würde – sozusagen als Wiedergutmachung? | |
| Eine geglückte Überführung des Mäusebunkers in etwas völlig Neues hätte | |
| auch einen wegweisenden Leuchtturmcharakter über Berlin hinaus, wenn man | |
| bedenkt, wo man aktuell steht mit dem Gebäude. Die blauen Lüftungsrohre, | |
| die mit dazu beitragen, den Bau so charismatisch wirken zu lassen, dienten | |
| dazu, Sauerstoff ins Innere zu führen. | |
| Es wurde komplett künstlich belüftet, weil man das Innere keim- und | |
| virenfrei halten wollte. Neben der Beseitigung der Schadstoffe wie etwa | |
| Asbest müsste im großen Stil also an Beleuchtung und Belüftung gearbeitet | |
| werden, um den Mäusebunker überhaupt zugänglich machen zu können. | |
| Derzeit ist es so, dass man ihn bloß mit Schutzanzug, Sauerstoffmaske und | |
| einer Taschenlampe in der Hand begehen kann – der Strom wurde inzwischen | |
| auch abgestellt. Aber warum keine abenteuerlichen Führungen als Zwischen- | |
| und Pioniernutzung, wie in einen immersiven Horrorfilm sozusagen, mit | |
| Bildern von mad scientists und gequälten Kreaturen im eigenen Kopf? | |
| ## Abriss? Nicht in der Klimakrise! | |
| Eine Transformation des Mäusebunkers, das wurde auf dem Symposium immer | |
| wieder herausgearbeitet, würde die Botschaft aussenden: Wenn man selbst | |
| diesen vermeintlich so unbrauchbaren Gebäudebestand weiterverwenden kann, | |
| wäre das ein bedeutsamer Schritt weg vom veralteten Denken, alles | |
| abzureißen und dann neu zu bauen: Wegen der immensen Emissionen, die dabei | |
| anfallen, kann man sich dieses Prinzip in Zeiten der Klimakrise einfach | |
| nicht mehr leisten. | |
| Noch ist, wie gesagt, überhaupt nicht klar, wie diese Umnutzung konkret | |
| aussehen soll. Ob hier Kunst und Kultur einziehen soll oder eher wieder die | |
| Wissenschaft oder auch beides. Von Ateliers bis hin zur Forschung an | |
| Nachhaltigkeitsprojekten ist alles denkbar. Investoren sollen demnächst | |
| gesucht werden, eine „Mäusebunker-Agentur“ entstehen und allerlei Partner | |
| eingebunden werden, die das Gebäude mitentwickeln wollen. Aus diesem könnte | |
| eine echte „Marke“, gar ein „Zukunftslabor für Berlin“ werden, heißt … | |
| der Studie. | |
| Es dürfte spannend werden, ob aus den ambitionierten Plänen etwas wird. Was | |
| deren Umsetzung am Ende kostet, dazu kursierten auf dem Symposium noch kaum | |
| Zahlen. Die etwa 18.000 Quadratmeter Nutzungsfläche neu zu erschließen, | |
| dürften um die 35 Millionen Euro kosten, hieß es. Aber man kann sich sicher | |
| sein, dass noch sehr viele weitere Millionen Euro anfallen werden, um den | |
| Mäusebunker für die Zukunft zu rüsten. | |
| 3 Jul 2023 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Denkmalschutz-fuer-Berliner-Maeusebunker/!5678340 | |
| [2] /Wissenschaftsbauten-in-Berlin/!5811029 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Hartmann | |
| ## TAGS | |
| Denkmalschutz | |
| Brutalismus | |
| Architektur | |
| Zeitzeugen | |
| Berlin Kultur | |
| Tierversuche | |
| Architektur | |
| Architektur | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Hype um brutalistische Architektur: Brutalismus ist plötzlich in aller Munde | |
| Vom Wandel der Rezeption von Architektur erzählt das Buch „Mäusebunker und | |
| Hygieneinstitut“. Herausgegeben hat es Architekturhistoriker Ludwig | |
| Heimbach. | |
| Zwei neue RBB-Dokus über „Lost Places“: Zeitreise mit morbidem Charme | |
| Der RBB stellt in zwei Dokumentationen „Lost Places“ in Berlin und | |
| Brandenburg vor. Die nicht mehr genutzten Gebäude stehen leer und | |
| verfallen. | |
| Klassismus im Kulturbetrieb: Gespenstische Zustände | |
| Die Berlinische Galerie hat sich dem Thema Klasse angenommen – eine | |
| klassische Kulturinstitution mit Regelförderung. Kann das gut gehen? | |
| Tierversuche in Berlin: Alte und neue Mäusebunker | |
| Onkomäuse, Zebrafische und Meerschweinchen: Kaum jemanden interessiert | |
| noch, wie viele Tierversuche es in Berlin gibt, kritisiert unser Kolumnist. | |
| Wissenschaftsbauten in Berlin: Wie aus dem All gefallen | |
| Besonders die Paläste der Wissenschaft aus den 1970er und 1980er sind | |
| erhaltenswert, findet der Denkmalschutz. Das allerdings kann teuer werden. | |
| Denkmalschutz für Berliner Mäusebunker: Wehrhaftes Architekturerbe | |
| Abriss oder Erhalt als Beispiel der Nachkriegsmoderne? Über ein | |
| stillgelegtes Labor für Tierversuche ist eine Debatte entbrannt. |