# taz.de -- Denkmalschutz für Berliner Mäusebunker: Wehrhaftes Architekturerbe | |
> Abriss oder Erhalt als Beispiel der Nachkriegsmoderne? Über ein | |
> stillgelegtes Labor für Tierversuche ist eine Debatte entbrannt. | |
Bild: Abriss oder Erhalt: Das Tierversuchslabor der Freien Universität Berlin … | |
Der Bau sieht tatsächlich aus wie ein gestrandeter Panzerkreuzer. Mit dem | |
Bug voran ragt an der Krahmerstraße in Berlin-Lichterfelde ein | |
schiffähnliches Ungetüm von 143 Metern Länge und 38 Metern Breite vor den | |
Passierenden auf. Seine Aufbauten fluchten wie in neuestem Stealth Design | |
schnittig in die Höhe. Bekrönt wird das mit Betonplatten gepanzerte Gebilde | |
von Schornsteinen auf dem Dach, und rechts und links aus dem Rumpf ragt | |
etwas heraus, das wie Geschützrohre aussieht. Es gibt sogar eine Art | |
Kommandobrücke mit Fensterband, während an den Seiten nur kleine dreieckige | |
Fensterluken Licht in den Rumpf lassen. | |
Was sich der Architekt Gerd Hänska (teils mit seiner Frau Magdalena) ab | |
Mitte der sechziger Jahre hier ausgedacht hat, wurde erst 1981 | |
fertiggestellt, nach fast zehnjähriger Bauzeit und mit Kosten, die um das | |
32-Fache gestiegen waren auf 126,5 Millionen D-Mark. Aber auch die | |
Funktion, die diese Architektur hat, birgt das Zeug für Albträume: Einige | |
Tausend Tiere – hauptsächlich Ratten und Mäuse – wurden hier permanent f�… | |
Forschung und Experimente gehalten, man kann auch sagen: beständig erzeugt | |
und verbraucht. | |
Das hat dem „Zentralen Tierlaboratorien“ der Freien Universität auch seinen | |
Spitznamen eingetragen: [1][„Mäusebunker“.] Seit 2003 | |
„Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin“ der Charité fand der | |
unheimliche Bau in der Vergangenheit nur dann einmal Beachtung, wenn wieder | |
einmal Tierschützer davor demonstrierten. Nun, da die Charité ihre | |
Tierversuche ganz nach Berlin-Buch verlegt, soll das Gebäude abgerissen | |
werden. | |
## Betretbar nur mit Sauerstoffmaske | |
Der Bau sei „nicht nachnutzbar“, erklärte Jochen Brinkmann, Leiter der | |
Bauabteilung der Charité, noch einmal am 20. April. Wenn das Gebäude | |
(wahrscheinlich im Sommer) komplett leer geräumt ist und die Klimaanlage | |
abgestellt wird, wird das Haus nicht mehr betretbar sein – oder nur noch | |
mit Sauerstoffmaske. | |
Denn die dringendste Aufgabe des Mäusebunkers bestand darin, die Außenwelt | |
vor seiner Innenwelt zu schützen, inklusive der Viren und Keime, und was | |
man sich sonst nicht gern einfangen möchte. Die Geschützrohre sind deshalb | |
auch in Wahrheit lange Luftansaugstützen für die ständig wegen der | |
Körperwärme der Tiere zu kühlenden Labore. Aber die Gebäudetechnik ist | |
veraltet und hat allein im letzten Jahr, nach Aussage von Brinkmann, rund 1 | |
Million Euro zur Kompensation von Havarien verbraucht. | |
Auch deshalb hatte der Senat im Januar erklärt: „Eine mögliche und zudem | |
wirtschaftliche Alternativnutzung des Bestandsgebäudes wird für die Bedarfe | |
der Wissenschaft nicht gesehen.“ Und die Charité selbst erklärte bis vor | |
Kurzem, sie plane „den Rückbau des Gebäudes, um auf der Grundstücksfläche | |
einen Forschungscampus zu entwickeln“. | |
## Auftritt der Architekturhistoriker | |
Doch inzwischen haben sich die Ereignisse überschlagen. Eine | |
Initiativgruppe [2][„Rettet den Mäusebunker!“] hat im März eine | |
Onlinepetition gestartet. In einem offenen Brief an den Regierenden | |
Bürgermeister Michael Müller wird der Erhalt des Gebäudes gefordert (und | |
des gegenüber auf der anderen Straßenseite gelegenen Instituts für Hygiene | |
und Mikrobiologie der Architekturgemeinschaft Fehling & Gogel von 1974 | |
gleich dazu). Beide Gebäude waren ursprünglich Teil eines zusammen | |
konzipierten Humanmedizinischen Zentrums und seien „unverzüglich unter | |
Denkmalschutz zu stellen“. | |
Mitte April folgten zwei weitere offene Briefe an den Regierenden: einer | |
von K[3][ristin Feireiss von der Berliner Architekturgalerie AEDES und dem | |
Architekturhistoriker Adrian von Buttlar] mit dem Appell „Wege der | |
Bewahrung, Sanierung und nachhaltigen Umnutzung zu suchen“ und ein zweiter | |
von Katalin Gennburg, der stadtentwicklungspolitischen Sprecherin der | |
Berliner Linksfraktion, und Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der | |
Architekturzeitschritft ARCH+ mit der Bitte, „einen voreiligen Abriss (...) | |
nicht zuzulassen“. Schon im letzten November hatte übrigens auch der | |
Berliner Landesdenkmalrat eine Empfehlung zum Erhalt der Bauten abgegeben. | |
## Ideenworkshop der Charité | |
Die Kampagnen für den Mäusebunker haben inzwischen dazu geführt, dass auch | |
die Charité nun erst mal einen Ideenworkshop veranstalten will, wie der | |
Standort an der Krahmerstraße zukünftig überhaupt zu entwickeln sei. | |
Abrisse sind derweil ausgesetzt. Zusammen mit dem Senat und | |
Landesdenkmalamt suche man nach möglichen Lösungen und Kompromissen zum | |
Erhalt der plötzlich so hochgeschätzten Architekturikonen. | |
Mäusebunker und Hygieneinstitut werden [4][gemeinhin dem Brutalismus] | |
zugeordnet. Vor allem in den 1960er Jahren hatte dieser Architekturstil | |
Konjunktur. Der leicht missverständliche Name geht auf den „beton brut“ | |
zurück, also den Sichtbeton, der bei Architekten wie Corbusier geradezu | |
skulpturale Qualitäten entwickeln konnte und wegen seiner Rohheit, | |
Offenheit und Ehrlichkeit seinerzeit geschätzt wurde. Vielleicht ist es | |
gerade diese Mischung aus ästhetischer Individualität und einer Funktionen | |
sichtbar machenden Gesinnung, die dem Brutalismus in letzter Zeit eine | |
erstaunliche Fangemeinde eingebracht hat. | |
Das [5][Frankfurter Architekturmuseum eröffnete 2017] dazu die | |
[6][Ausstellung „SOS Brutalismus“.] Die zugrunde liegende Website listet | |
1.700 Gebäude rund um den Globus auf und beklagt ihre Gefährdung. | |
Vielleicht liegt die wachsende Beliebtheit des Brutalismus auch daran, dass | |
er das Gegenteil dessen ist, was heute im Baugeschehen dominiert: banale | |
Einheitsarchitektur mit verlogenen Steintapeten. | |
So gesehen ergibt sich für den Erhalt des Mäusebunkers eine naheliegende | |
Lösung: Natürlich müsste er als Mahnmal gegen Tierversuche begriffen | |
werden, aber er sollte zugleich als Denkmal an eine Zeit erinnern, als | |
Architektur – auch eine modern-funktionalistische – noch etwas mit Baukunst | |
zu tun hatte. | |
25 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Wahrheit/!5593414 | |
[2] http://xn--musebunker-q5a.de | |
[3] http://xn--musebunker-q5a.de/ | |
[4] /Historikerin-ueber-Brutalismus/!5656203 | |
[5] /Architekturausstellung-in-Frankfurt/M/!5469081 | |
[6] http://www.sosbrutalism.org | |
## AUTOREN | |
Ronald Berg | |
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