# taz.de -- Pilotprojekt Grundeinkommen: Neustart von Grund auf | |
> Nach zwei Jahren im Projekt Grundeinkommen hat die Industriekauffrau | |
> Elisabeth Ragusa ein Studium begonnen – und kann sogar Geld zurücklegen. | |
Bild: Anlehnen und durchstarten: Elisabeth Ragusa geht nochmal zur Uni | |
Sie hat ihr Leben nochmal gründlich geändert. Elisabeth Ragusa geht jetzt | |
zur Uni. Geradezu „euphorisch“ war sie in den ersten Tagen, sagt sie. | |
„Endlich habe ich mich getraut, nun fühle ich mich am richtigen Platz.“ | |
Seit Anfang April studiert Ragusa Lehramt für Grundschulen mit den Fächern | |
Deutsch und Naturkunde an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. | |
Die Neustudentin ist eine der Teilnehmer:innen des [1][Pilotprojekts | |
Grundeinkommen]. Für drei Jahre erhalten 122 Leute 1.200 Euro pro Monat | |
steuerfrei geschenkt, zusätzlich zu ihren sonstigen Einnahmen. Mit diesem | |
Sozialexperiment, das vor zwei Jahren begann, wollen | |
Wissenschaftler:innen erforschen, wie sich Menschen verhalten, wenn | |
ihre materiellen Grundbedürfnisse gedeckt sind. Machen sie einfach weiter | |
wie vorher und legen das Geld zurück, hören sie auf zu arbeiten, geben sie | |
ihrem Leben eine neue Richtung? Die Antworten sollen die seit 20 Jahren | |
laufende Debatte über den Sinn eines bedingungslosen Grundeinkommens für | |
alle Bundesbürger:innen bereichern. Die taz fragt bei einigen | |
Teilnehmer:innen regelmäßig nach, welche Wirkung der Zuschuss bei ihnen | |
auslöst. | |
Nahezu täglich fährt Ragusa nun in die Stadt. Sie wohnt im | |
baden-württembergischen Ort Teningen, ein paar Kilometer nördlich von | |
Freiburg. Bis vor Kurzem hat die 28-Jährige als Industriekauffrau in einer | |
Druckerei gearbeitet, die Etiketten zum Beispiel für Weinflaschen | |
herstellt. Diese Tätigkeit war nicht schlecht, brachte auch ein leidliches | |
Gehalt, und doch fühlte sie sich nicht ganz richtig an. „Das soll ich jetzt | |
noch 30 Jahre machen?“, fragte sie sich. | |
Schon nach dem Abitur vor zehn Jahren hat Ragusa daran gedacht, zu | |
studieren. Aber bei der Berufsberatung sei sie „abgespeist“ worden. Und mit | |
finanzieller Unterstützung der Eltern fürs Studium konnte sie damals nicht | |
rechnen. So wählte sie die sichere Variante der Lehre zur | |
Industriekauffrau. | |
## Ihre Freunde waren erstaunt | |
Und ohne das Grundeinkommen hätte sie den Wechsel auch jetzt nicht gewagt, | |
sagt Ragusa. Erst die sicheren 1.200 Euro gaben ihr den Anstoß. Zusätzlich | |
erhält sie gut 1.000 Euro Bafög und verdient 520 Euro mit einem Minijob. | |
Obwohl sie die Hälfte des Grundeinkommens und des Bafögs zurückgelegt, | |
bleiben ihr monatlich 1.600 Euro zum Leben, womit sie über die Runden | |
kommt. Ihr Ziel ist es, auf diese Art auch nach dem Ende des Pilotprojekts | |
finanziell noch ein paar Jahre durchzuhalten und das Studium möglichst | |
schnell abzuschließen. | |
„Meine Freunde waren erstaunt, dass ich komplett neu starte“, sagt die | |
Studentin. „Und mich haben all die Eindrücke umgehauen“ – die neuen Leut… | |
die ständige Kopfarbeit, die Vorlesungen und Seminare. „Ich habe keine | |
Ahnung von Physik“, gibt sie zu. Biologie und Chemie sind ebenfalls nicht | |
einfach. „Aber ich liebe es, Neues zu lernen.“ | |
Das ist eines der Argumente, die zugunsten des bedingungslosen | |
Grundeinkommens als Alternative zum bisherigen Sozialsystems immer wieder | |
genannt werden. Die Bürgerinnen und Bürger bekämen dann die Möglichkeit, | |
sich frei von materiellen Sorgen weiterzuentwickeln und weiterzubilden, was | |
nicht nur der persönlichen Lebenszufriedenheit, sondern der Gesellschaft | |
insgesamt diene. Zufriedene Beschäftigte seien produktiver. Außerdem könne | |
man davon ausgehen, dass sie eher bereit seien, auch in höherem Alter noch | |
zu arbeiten – ein Vorteil in Zeiten des Arbeitskräftemangels. | |
Solche Gesichtspunkte mögen eine Rolle spielen für die überwiegende, | |
grundsätzliche Zustimmung zum Grundeinkommen. [2][Erst kürzlich haben das | |
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und die | |
Universität Konstanz neue Umfrageergebnisse veröffentlicht.] Demnach | |
unterstützen 53 Prozent der wahlberechtigten Bürger:innen die Idee, | |
während 36 Prozent sie ablehnen. Ähnliche Ergebnisse wurden schon vor | |
Jahren ermittelt. Nicht überraschend waren in der Umfrage eher diejenigen | |
dafür, die sich zum Beispiel wegen geringer Einkommen ausrechnen können, | |
von einem Grundeinkommen zu profitieren. Leute mit höheren Einkommen, die | |
das alles in Form steigender Steuern bezahlen müssten, sehen diese | |
Sozialreform dagegen überwiegend kritisch. | |
## Existenzsorgen kann sie sich sparen | |
Über die glückliche Fügung zusätzlichen Geldes ist auch [3][Sarah Bäcker, | |
eine weitere Teilnehmerin des Pilotprojektes,] voll des Lobes. Zusammen mit | |
ihrer 13 Monate alten Tochter Alva testet sie gerade einen ihnen bisher | |
unbekannten Spielplatz in Berlin-Kreuzberg. Kürzlich sind sie in der Nähe | |
mit Alvas Vater in einer Wohnung zusammengezogen. | |
Neben den 1.200 Euro des Forschungsprojektes erhält Bäcker 620 Euro Eltern- | |
und 250 Euro Kindergeld. Mit der Summe lässt es sich leben. „Das | |
Grundeinkommen hat mir in dieser Zeit die Existenzsorgen erspart“, sagt | |
Bäcker. Unter normalen Umständen hätte sie jetzt wohl aufstockendes | |
Bürgergeld und Wohngeld beantragen müssen. | |
Nach anderthalb Jahren Elternzeit will die Architektin im kommenden | |
September wieder anfangen zu arbeiten – zunächst mit 24 Stunden wöchentlich | |
bei ihrem alten Arbeitgeber. Auch dabei verschafft ihr das Grundeinkommen, | |
das noch bis Mitte 2024 läuft, finanziellen Spielraum und Möglichkeiten für | |
mehr Selbstbestimmung. | |
28 Jun 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Bedingungsloses-Grundeinkommen/!5794276 | |
[2] https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meld… | |
[3] /Pilotprojekt-Grundeinkommen/!5831138 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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