# taz.de -- Freispruch für Bremer Polizisten: „Schocktritt“ ist rechtmäß… | |
> Das Amtsgericht Bremen spricht zwei Bundespolizisten frei. Vor fünf | |
> Jahren haben sie im Hauptbahnhof einen Menschen ohne Fahrschein zu Boden | |
> gebracht. | |
Bild: Wird auch im Bremer Hauptbahnhof hinzugezogen, wenn das Zugpersonal nicht… | |
BREMEN taz | Obdachlose, Schwarze Menschen, Menschen ohne Deutschkenntnisse | |
oder mit psychischer Erkrankung – wenn marginalisierte Personen auf die | |
Polizei treffen, kann es vor allem für erstere brenzlig werden. Bei der | |
[1][Diskussion um Polizeigewalt] kommt immer wieder die Frage auf: Was darf | |
die Polizei eigentlich? In Bremen standen am Dienstag zwei Polizisten vor | |
Gericht, die eine Person, die ohne Fahrschein fuhr, fixiert hatten. Das | |
Verhalten der Beamten war nicht rechtswidrig, fand das Gericht, und sprach | |
sie frei. Einige Widersprüche bleiben. | |
Körperverletzung im Amt, gefährliche Körperverletzung und Verfolgung | |
Unschuldiger: Diesen schwerwiegenden Vorwürfen sahen sich die angeklagten | |
Bundespolizisten Matthias B., 58 Jahre alt, und Christian R., 36, am | |
Dienstag vor dem Amtsgericht ausgesetzt. Der Vorfall, auf den sich die | |
Anklage bezog, liegt bereits fünf Jahre zurück. Im September 2018 wurden | |
die beiden auf Gleis eins des Bremer Hauptbahnhofs gerufen, weil sie dort | |
einen Menschen ohne Ticket aus einem Fernverkehrszug der Bahn holen | |
sollten. | |
Laut Anklage sollen sie ihn dann gegen eine Glasfront geschlagen, mit dem | |
Schlagstock auf den Oberschenkel geschlagen und zwischen die Beine getreten | |
haben. Das alles ist auf den beiden Videos von Überwachungskameras, die | |
sich das Gericht angesehen hat, aber gar nicht so zu erkennen. | |
„Das ist das Ende eines unsäglichen Verfahrens“, sagte R.s Anwalt Thomas | |
Holle nach dem Plädoyer der Staatsanwältin. Auch sie hatte Freispruch | |
gefordert. „Die Videoaufnahmen haben gezeigt, dass es eine Rangelei gab, | |
jedoch zwischen allen“, sagte sie. Die Körperverletzung lasse sich nicht | |
nachweisen, und die beiden Bahnmitarbeiterinnen, die als Zeuginnen gehört | |
wurden, hätten keine strafbaren Handlungen genannt. „Wenn so etwas | |
vorgefallen wäre, gehe ich davon aus, dass die Zeuginnen das nach fünf | |
Jahre auch noch hätten schildern können“, sagte die Staatsanwältin. | |
## Interner Bericht deckt sich nicht mit Videos | |
Doch warum war es überhaupt zum Verfahren gekommen? Das sei „nicht | |
dokumentiert“, sagte am Ende der Verhandlung die Vorsitzende Richterin | |
Wolter. Vielleicht aufgrund der Widersprüche, die es nach wie vor gebe, | |
sagte sie und erklärte: Die Angeklagten hätten in einem internen Bericht | |
geschrieben, dass sie [2][den Schwarzfahrer] auf dem Bahnsteig über seine | |
Rechte belehrt und nach seinem Ausweis gefragt hätten – auf den Videos ist | |
allerdings zu sehen, wie sie ihn aus dem Zug führen und die | |
Auseinandersetzung nur wenige Sekunden später beginnt. | |
Dennoch: „Wir müssen von einem rechtmäßigen Polizeiverhalten ausgehen“, | |
befand die Richterin. Auf den Videos sei zu sehen, wie der Mann sich | |
„heftig wehrt“. | |
Die zwei Videos, die nur sehr klein im Gerichtssaal gezeigt wurden, geben | |
ansonsten nicht viel her. Eine Kamera hat dokumentiert, wie die beiden | |
Polizisten den Mann aus dem Zug führen: Einer führt ihn von hinten an | |
seinen Armen. Alle sehen recht ruhig aus. Eine andere Aufnahme zeigt, wie | |
die drei dunklen Gestalten nahe einer Glastür und eines Snackautomaten zum | |
Stehen kommen. Wer die Auseinandersetzung beginnt, ist nicht erkennbar. | |
Mehrere der Beteiligten schlagen und treten. | |
Nur der Tritt eines Polizisten in den Unterleib des Mannes ist deutlich | |
erkennbar – diesen hatten die Beamten aber in ihren Berichten auch | |
angegeben. „Schocktritt“ und „gezielten Knieschlag in den Bauchbereich“ | |
nennen sie das. Ein Fluchtversuch habe nicht ausgeschlossen werden können, | |
erst nach dem Tritt habe man den Schwarzfahrer fixieren können, las die | |
Richterin aus den Berichten von B. und R. vor. | |
Außerdem habe R. „ein Klickgeräusch“ wahrgenommen – man habe nicht | |
ausschließen können, dass der Mann eine Waffe dabei hatte. Gefunden wurde | |
im Nachhinein jedoch nichts. „Es ist ein Verhalten, das man als | |
Polizeibeamter an den Tag legen muss“, sagte B.s Verteidiger Jörg Hübel vor | |
Gericht. | |
Die Polizistin, die die [3][Ermittlungen gegen ihre Kollegen] geführt | |
hatte, sagte am Dienstag ebenfalls aus – und wurde von Hübel teils sehr | |
hitzig befragt. Wie sie denn den Fall habe bewerten können, fragte er. | |
Offenbar habe sie sich weder mit der Geschichte des Mannes | |
auseinandergesetzt, noch damit, wie lange die Beamten schon im Dienst | |
seien, ohne auffällig geworden zu sein. „Es ist unerheblich für mich, wie | |
lange jemand schon im Einsatz ist“, erwiderte die Polizistin. | |
## Ticketloser Mann soll psychisch krank gewesen sein | |
Mehrfach brachten die Verteidiger einen großen braunen Umschlag zur | |
Sprache, der im Laufe der Ermittlungen aufgetaucht sein soll, unter anderem | |
mit Hinweisen auf eine psychische Erkrankung und Behandlung des Mannes, | |
sowie auf einen Vorfall wenige Tage nach jenem in Bremen, bei dem er | |
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet haben soll. Warum der | |
Inhalt des Umschlags nicht vollständig in den Akten liege, fragten die | |
Verteidiger die Richterin und die Polizistin mehrfach. | |
Der Freispruch beruht nicht nur auf den Videoaufnahmen, sondern auch auf | |
den Aussagen der beiden Zugbegleiterinnen, die die Polizei informiert | |
hatten. Beide erinnerten sich am Dienstag zwar an nicht mehr viel, eine | |
hatte aber direkt nach dem Vorfall ausgesagt, dass der ticketlose Mann sich | |
gewehrt habe. | |
Vor Gericht sagte sie, dass sie ihn im Zug kontrolliert habe – schon da sei | |
ihr aufgefallen, dass er wohl kein Deutsch spreche, nervös wirke, aufgrund | |
seiner „gekrümmten Haltung“ und den „Händen in den Hosentaschen“. Wei… | |
sich nicht habe ausweisen können und nicht reagiert habe, habe sie | |
schließlich die Polizei gerufen. | |
Der mutmaßlich Geschädigte war nicht als Zeuge geladen worden. Er erinnere | |
sich wegen seiner Krankheit nicht an den Vorfall, sagte die Staatsanwältin. | |
27 Jun 2023 | |
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## AUTOREN | |
Alina Götz | |
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