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# taz.de -- Pfarrerin im Internet: Kirche im Pippi-Langstrumpf-Style
> Maike Schöfer ist Pfarrerin in Berlin-Adlershof und hat noch eine zweite
> Gemeinde: im Internet. Wie prägen Sinnfluencer*innen die digitale
> Kirche?
Bild: Will die Menschen zum Glauben verführen: Pfarrerin Maike Schöfer
Berlin taz | Wenn Maike Schöfer spricht, dauert es nicht lange, bis der
erste Anglizismus fällt. „Thank God“, sagt sie gerne oder „inner-churchy…
Die 34-Jähriger Berliner Pfarrerin ist eine der sogenannten christlichen
Sinnfluencerinnen, auch wenn sie das Wort eher ablehnt. Ihrem
Instagram-Account „ja.und.amen“ folgen über 25.000 Menschen. In der Welt
der Influencer*innen mag das nach nicht so viel klingen. Unter den
deutschen christlichen Accounts ist ihrer einer der größeren. Ihre Postings
zu [1][Menstruation] und [2][queerer Kirche] kommen gut an. Ihr lockerer,
rockiger Look und ihre Vorliebe für Fashion funktionieren auf der
Plattform.
Der Account von Maike Schöfer ist ein Beispiel dafür, wie Kirche auch im
digitalen Raum stattfinden kann. In ihrem Fall die evangelische Kirche. Aus
dieser sind im vergangenen Jahr 380.000 Mitglieder ausgetreten, die
katholische Kirche verlor 2022 gar eine halbe Million Menschen. Die analoge
Kirche befindet sich hinsichtlich der Mitgliederzahlen seit Jahren im
Sinkflug. Sind hohe Follower*innen-Zahlen die Zukunft?
In der Coronapandemie wurde die digitale Kirche schlagartig wichtiger:
Zoom-Gottesdienste fanden statt und Internetpräsenzen wurden ausgebaut, um
trotz Kontaktbeschränkungen ein Gemeindeleben zu haben. Auch nach Abflauen
der Pandemie versucht die digitale Kirche, Barrieren abzubauen und Menschen
einzubinden, die vor Ort nicht teilnehmen können oder wollen.
Dass soziale Netzwerke wichtiger werden, hat die Evangelischen Kirche
erkannt. In vielen Gemeinden gibt es Versuche, sie professioneller zu
bespielen. Beim Kirchentag 2023 in Nürnberg wurde viel über Digitalität
gesprochen, zahlreiche Events fanden mit Livestream und digitaler
Publikumsbeteiligung statt.
## „I kissed a girl and god liked it.“
Um auf Social Media positiv durchzudringen, engagiert die Evangelische
Kirche in Deutschland (EKD) auch das Gemeinschaftswerk der Evangelischen
Publizistik (GEP). Das Medienunternehmen der evangelischen Kirche gründete
2020 unter anderem das Contentnetzwerk „yeet“.
Es soll größeren christlichen Influencer*innen-Accounts helfen, „dass
die christliche Botschaft in einer passenden Sprache vermittelt wird und
den Austausch von christlichen Contentcreators und die Sichtbarkeit ihrer
Inhalte fördern“, so die Eigenbeschreibung. Will die evangelische Kirche
mithilfe solch eines Netzwerks die Zügel in der Hand behalten und so
steuern, welche Inhalte im Zentrum der digitalen Kirche stehen?
Pfarrerin Maike Schöfer betont: „Ich mache Pippi-Langstrumpf-Style im
digitalen Raum. Ich schreibe nur darüber, worauf ich Bock habe und wann ich
Bock habe.“ Das kann zum Beispiel ein Post mit zwei sich küssenden Personen
und der Aufschrift sein: „I kissed a girl and god liked it.“ Das
yeet-Netzwerk reagiert mit Herz. Unter dem Post sammelt sich aber auch
Empörung von fundamentalistischen Christ*innen.
Schöfer sieht ihre Instagram-Präsenz als einen Teil ihres
Verkündigungsdienstes als Pfarrerin: „Wenn ich meine Berufsbeschreibung
ernst nehme, also dorthin zu gehen, wo die Menschen sind, dann ist es auch
der digitale Raum“, sagt Schöfer.
## Demokratisierung der Kirche?
Das sieht auch Nathalie Eleyth so. Die Theologin forscht an der Ruhruni
Bochum zu Sexualethik und rassismuskritischer Theologie: „Im digitalen Raum
bewegen sich Millionen von Menschen in Deutschland. Wenn die Kirche sich
immer mehr Gedanken über den eigenen Bedeutungsverlust machen muss, aber
den Anspruch hat, zu zeigen, dass sie eine wichtige Perspektive auf
Gesellschaft hat, dann muss sie die Menschen dort abholen, wo sie sind.“
Viele christliche Sinnfluencer-Accounts leisten eigeninitiativ und
aktivistisch Bildungsarbeit zu Rassismen, Inklusionssensibilisierung oder
wie in Schöfers Fall das Mitnehmen auf die eigene persönliche Reise als
queere Neu-Pfarrerin.
„Christliche Influencer*innen können zur Demokratisierung von Kirche
beitragen“, sagt Eleyth. Denn im digitalen Raum wird die Machtfrage in der
Kirche neu verhandelt: Wer spricht wann über was? Und wer erreicht damit
viele Menschen? Deutlich wird, dass persönliche Accounts besonders gut
funktionieren, dabei insbesondere die von jüngeren Pfarrpersonen. Die
Seiten der offiziellen Institutionen haben es schwerer, Menschen zur
Interaktion zu bewegen. Ihre Postings sind langweiliger, erwartbarer,
braver.
Schöfer beschreibt, dass sie versucht, auf Instagram komplexe theologische
Inhalte herunterzubrechen. Das sehen in der Kirche nicht alle gerne: „Ich
höre schon auch die Kritik, dass ein Instagram-Post nicht ausreichen
sollte, die theologischen Diskurse in der Tiefe wiederzugeben.“
## Auch Fundamentalist*innen expandieren ins Netz
In dieser Positionierung sieht Maike Schöfer einen Ausschluss von vielen
Menschen: „Nicht nur Akademiker*innen glauben an Gott.“ Sie selbst
komme aus einer nichtakademischen Familie und habe lange mit der
ritualisierten Sprache in Gottesdiensten gehadert. Im digitalen Raum habe
sie die Freiheit, christliche Inhalte in ihren Worten wiederzugeben.
Doch die Verkürzung von Inhalten auf Social Media machen sich auch
christliche Fundamentalist*innen zunutze. „Viele reichweitenstarke
evangelikale, biblizistische Accounts posten auf Social Media
polarisierende Inhalte. Sie transportieren auf kurzen Slides knappe
Botschaften, reißen Bibelzitate aus Kontexten und verkürzen damit
natürlich“, sagt Eleyth.
Diese Inhalte seien häufig antifeministisch und queerfeindlich und in
Eleyths Augen hochproblematisch. Ihr zufolge hätte die Evangelische Kirche
hier die Aufgabe, stärkere Gegenpositionen zu bringen, sich eine gute
Medienexpertise anzueignen und so digital präsenter zu sein.
## EKD denkt kaum an Gestaltungsmöglichkeiten
Doch in dieser Hinsicht passiere bislang wenig. Auf der offiziellen
Instagram-Präsenz der EKD werden vor allem erbauliche Bibelzitate gepostet.
Die Interaktion ist übersichtlich. „Was die eigenen
Gestaltungsmöglichkeiten im digitalen Raum angeht, hat sich die EKD fast
noch keine Gedanken gemacht“, sagt Eleyth.
Auch Sinnfluencerin Maike Schöfer agierte auf Social Media in den
vergangenen Jahren privat und aus eigenem Antrieb. Entlohnt wurde die
Berliner Pfarrerin dafür bisher nicht. Ihre Präsenz auf Instagram bedeute
für sie eine zusätzliche Arbeit, die ihr zwar Spaß mache, aber sie auch
manchmal überfordere.
Neben ihrem Pfarramt und Mutter-Dasein hat die Wahl-Berlinerin [3][ein
feministisches Andachtskollektiv] gegründet, macht bei einem
interreligiösen Podcast des „House of One“ in Berlin mit und schreibt
Kolumnen.
## Kirchenleitung weiß nicht, wie wichtig digitale Arbeit ist
Immer wieder spricht Schöfer deshalb mit ihrer Landeskirche, dass sie
insbesondere für die Seelsorge von Menschen im digitalen Raum Ressourcen
brauche. Ab September 2023 soll sie diese bekommen: Ihre Arbeit im
digitalen Raum wird von ihrem Kirchenkreis Berlin Süd-Ost mit 25 Prozent
Dienstumfang honoriert: „Das habe ich mir seit Jahren sehr gewünscht“, sagt
Schöfer. Besonders froh sei sie, dass sie inhaltlich „genauso weitermachen
darf wie bisher.“
Die Berliner Pfarrerin hofft, dass sich die Evangelische Kirche in den
nächsten Jahren hier weiterbewegt und einen rechtlichen Rahmen sowie ein
Konzept für Pfarrpersonen im digitalen Raum entwickelt: „Auf
Kirchenleitungsseite ist es immer noch nicht ganz durchgedrungen, wie
wichtig die Arbeit im digitalen Raum ist.“
Der Ausblick auf ein süßes Leben im Luxus, finanziert durch viel Werbung
auf Instagram, fällt bei Schöfer und ihrem Account weg. Geld verdienen darf
sie damit nicht: „Durch das Pfarramt bin ich davor gewahrt, irgendwann auch
bezahlte Werbung zu machen“, so Schöfer: „Ich werde also nie mit ’nem
fetten BMW beim Gottesdienst vorfahren“, sagt sie und lacht.
21 Aug 2023
## LINKS
[1] /Tag-der-Menstruationshygiene/!5934440
[2] /Lesbische-Theologin-zum-Kirchentag/!5937220
[3] /Evangelischer-Kirchentag-in-Nuernberg/!5939473
## AUTOREN
Linda Gerner
## TAGS
Evangelische Kirche
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