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# taz.de -- Prozess gegen Alexei Nawalny: Der Preis für Veränderung
> Dem Kremlkritiker drohen weitere 30 Jahre Lagerhaft. Wer in Russland für
> Freiheit kämpft, ist bereit, selbst in Unfreiheit zu leben.
Bild: Eine Nachbildung der Zelle von Alexei Nawalny. Zu sehen nahe dem Museum L…
Er hätte so gern mit seiner Familie an einem Tisch gesessen, hätte gern die
Geschenke aufgemacht, ein Küsschen auf die Wange von seinen Lieben
bekommen. Ein Geburtstag eben, wie ihn viele feiern. Wie ihn auch Alexei
Nawalny gefeiert hätte, müsste er nicht in der [1][Isolationszelle der
Besserungskolonie Nummer 6] im Dorf Melechowo ausharren, auf 6
Quadratmetern Fläche knapp 260 Kilometer nordöstlich von Moskau.
Doch nur zwei Tage nach seinem 47. Geburtstag am vergangenen Sonntag hat
die russische Justiz ein anderes „Geschenk“ für ihn: die Voranhörung zu
seinem neuen Prozess – direkt in der Strafkolonie (obwohl ein solches
Verfahren in der russischen Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist) und
unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Nawalny soll eine extremistische Organisation gegründet, sie finanziert und
sich an ihr beteiligt haben, er soll Minderjährige zu gefährlichen Taten
angestiftet und den Nationalsozialismus rehabilitiert haben. Bis zu 30
weitere Jahre Haft drohen. All den Schikanen und Absurditäten zum Trotz,
die längst auch seine Gesundheit angegriffen haben, behält Nawalny seinen
ihm eigenen Optimismus.
„Bin ich wirklich gut gelaunt oder tue ich nur so?“, hieß es in einem in
seinem Namen [2][veröffentlichten Tweet zu seinem Geburtstag]. „Ich bin es
wirklich“, folgte als Antwort an dem Tag, an dem weltweit Hunderte von
Menschen für seine Freilassung auf die Straße gingen, auch in Russland.
Vereinzelt stellten sich Männer wie Frauen in mehreren russischen Städten,
einmal mit Plakat, einmal mit einem Luftballon, hin, um den 47-Jährigen so
an seinem Ehrentag zu grüßen. Es dauerte nur Sekunden, weil Russlands
Spezialpolizei die Menschen sofort abführte, mehr als 100 in 23 russischen
Städten zählte die Bürgerrechtsorganisation OWD-Info.
## Kein Kampf aus dem Exil heraus
„Das Leben ist so gestaltet“, heißt es in Nawalnys Tweet, „dass
gesellschaftlicher Fortschritt und eine bessere Zukunft nur dann erreicht
werden können, wenn eine bestimmte Anzahl von Menschen bereit ist, für ihr
Recht auf gewisse Überzeugungen zu zahlen“. Er selbst zahlt einen sehr
hohen Preis dafür, bewusst. In seiner Situation sehe er „einen unangenehmen
Teil meiner geliebten Arbeit“.
Dem System Putin zu widerstehen, ist ein harter Job. Ein Leben in
Unfreiheit nehmen viele russische Oppositionspolitiker*innen für
ihren Freiheitskampf voller Überzeugung in Kauf. Vielen, vor allem im
Westen sozialisierten Menschen, mag dieses Verhalten irrational, ja
unverständlich erscheinen, aus russischer Perspektive – aus der Perspektive
Nawalnys, aber auch [3][Wladimir Kara-Mursas] oder Ilja Jaschins, die alle
jahrelange Strafen absitzen müsse – ist diese Perspektive genau das
Richtige.
Sie wollen reinen Gewissens sein, auf diese Weise zeigen, dass sie auf der
Seite der Menschen in ihrem Land stehen, dass sie aus ihrem Land heraus für
die Freiheit kämpfen, die ihnen bislang verwehrt wird. Aus dem Exil heraus,
so ihre Erklärung, könnten sie ihrem politischen Anspruch nicht gerecht
werden.
## Eine glaubwürdige Identifikationsfigur
Nawalny bleibt für viele, die in Russland für die Ziele kämpfen, für die
der 47-Jährige letztlich einsitzt, eine glaubwürdige Identifikationsfigur.
Die sowjetische Geschichte lehrt ihn und die anderen politischen
Gefangenen, dass das Straflager ein Preis dafür ist, für Veränderungen im
Land einzustehen, auch wenn für oppositionelle Tätigkeit im Russland dieser
Tage keine Spielräume mehr existieren.
Nawalny pflegt die Zuversicht und lässt in seinem Tweet wissen: „Der Tag
wird kommen, an dem es in Russland Alltag sein wird, die Wahrheit zu sagen
und für die Gerechtigkeit zu kämpfen.“
6 Jun 2023
## LINKS
[1] /Inhaftierter-Kreml-Kritiker-Nawalny/!5924690
[2] https://twitter.com/navalny/status/1665269146857160706
[3] /Opposition-in-Russland/!5928152
## AUTOREN
Inna Hartwich
## TAGS
Russland
Repression
GNS
Russland
Kolumne Krieg und Frieden
Russland
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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