Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politische Gefangene in Russland: Postkarten in den Knast
> Russische Aktivist*innen organisierten auf lokaler Ebene
> Unterstützung für Inhaftierte. Wegen des großen Zuspruchs geht das jetzt
> auch online.
Bild: Für ein Anti-Kriegs-Poster kann man in Russland schon für lange Zeit im…
Die Zahl der politischen Gefangene in Russland steigt seit Ende 2019
rasant. Vor diesem Hintergrund haben Freiwillige und Aktivist*innen
damit begonnen, in autonomen Moskauer Veranstaltungsräumen Treffen zu
organisieren, bei denen man Postkarten und Brief an alle diejenigen
schreiben kann, die aus politischen Gründen inhaftiert sind.
Zu diesen Events kamen so viele Menschen, dass die Organisator*innen
beschlossen, eine Website einzurichten, die auf der [1][von der NGO
Memorial geführten Datenbank] der politischen Gefangenen in Russland
basiert. Mit Hilfe eines Bots werden die Daten von Memorial auf diese Seite
übertragen.
Man kann auf der Seite den Haftgrund auswählen, [2][aus dem die Menschen
ihre Strafe verbüßen], z.B. „aus Glaubensgründen“ oder „aus politischen
Gründen“, die Adresse des Gefängnisses erfahren und eine Postkarte mit
unterstützenden Worten schicken. Mit einem Klick bekommt man auch gleich
Vorschläge, wie man seine Worte so wählt, dass der Brief oder die Karte
durch die staatliche Zensur kommen.
Seit Februar 2022 ist die Zahl der politischen Gefangenen noch einmal
angestiegen. Und auf der Website gibt es jetzt eine neue Kategorie:
[3][„Für den Frieden“]. Mindestens 116 Menschen sind dort jetzt schon
gelistet, die aus diesem Grund verhaftet wurden. Und ihre Zahl wächst. Es
sind ganz gewöhnliche Russ*innen, die für Kommentare auf Social Media
verurteilt wurden. Oder weil sie öffentlich über die vielen Opfer in der
ukrainischen Zivilbevölkerung gesprochen haben. Oder weil sie von jemandem
denunziert wurden.
„Neben der moralischen Unterstützung tragen die zahlreichen Briefe und
Postkarten dazu bei, die Sicherheit der politischen Gefangenen zu
gewährleisten. Die Gefängnisleitungen wollen keine unnötige Aufmerksamkeit.
Wenn jemand viele Briefe bekommt, wird auch schnell bekannt, wenn ihm oder
ihr im Gefängnis etwas zustößt“, sagt Ljoscha Minjailo, ein Polit-Aktivist,
der selbst zwei Monate im Moskauer Untersuchungsgefängnis „Matrosenruhe“
saß und weiß, wie wichtig solche Unterstützung ist. Darum ist er einer der
Mitorganisator*innen dieses Projekts „Svobota“ (nach dem russischen
Wort für Freiheit, „Svoboda“ und dem Wort „Bot“; Anm. der Redaktion) u…
unterstützt das Team bei der technischen Umsetzung.
Darüber, wie wichtig diese Unterstützung in Briefform für Inhaftierte ist,
schreiben die Gefangenen auch häufig selber. Hier einige Aussagen von
Häftlingen, die das Team von „Svobota“ zusammengetragen hat.
„Die Gefangenschaft gibt mir das Gefühl, ein körperloser Geist zu sein, als
ob ich nur sehen, hören und denken kann, aber keinen Einfluss auf die Welt
um mich herum habe. Mit Ausnahme der Briefe ist dies das Wenige, was mir
erlaubt, mich noch wirklich lebendig zu fühlen.“ Das schreibt Wladimir
Sergejew, der am 6. März 2022 auf dem Moskauer Puschkinplatz bei
Antikriegsprotesten festgenommen und zu acht Jahren Haft verurteilt wurde.
„Die Briefe helfen uns, unsere innere Stärke zu bewahren, den Glauben an
die Menschen und das Wichtigste: das Verständnis dafür, dass nicht alles
umsonst ist. Dass wir hier nicht einfach so herumsitzen, sondern dass das
auch einen Sinn hat, dass es Menschen zu sinnvollem Handeln motiviert. Die
Postkarten stehen auf meinem Regal und zaubern mit jedes Mal ein Lächeln
ins Gesicht, wenn ich sie ansehe“, schreibt Maria Ponomarenko. Sie war in
Barnaul zu sechs Jahren Straflager verurteilt worden.
„Je länger ich im Gefängnis sitze, desto kostbarer und wichtiger wird die
Unterstützung, die durch die dicken Mauern, Gitter und Schleusen kommt“,
schreibt der Aktivist und Schriftsteller Pawel Krysetschitsch, der wegen
einer Suizid-Inszenierung auf dem Roten Platz eine fünfjährige Haftstrafe
absitzt. „Diese Postkarten und Briefe sind wie Leuchttürme, die mir zeigen,
dass in ‚Freiheit‘ immer noch gekämpft wird.“
Aus dem Russischen von [4][Gaby Coldewey]
Finanziert wird das Projekt von der [5][taz Panter Stiftung].
Ein Sammelband mit den Tagebüchern ist im [6][Verlag edition.fotoTAPETA]
erschienen.
5 Aug 2023
## LINKS
[1] /Russland-geht-gegen-NGO-vor/!5822050
[2] /Opposition-in-Russland/!5906588
[3] /Repression-gegen-Dissidenten-in-Russland/!5929256
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
[5] /Panter-Stiftung/Projekte/Internationale-Projekte/Osteuropa/!p5113/
[6] https://www.edition-fototapeta.eu/
## AUTOREN
Xenia Babich
## TAGS
Kolumne Krieg und Frieden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Moskau
politische Gefangene
Haftstrafe
Memorial
Alexei Nawalny
Schwerpunkt Pressefreiheit
Russland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Prozess gegen Alexei Nawalny: Der Preis für Veränderung
Dem Kremlkritiker drohen weitere 30 Jahre Lagerhaft. Wer in Russland für
Freiheit kämpft, ist bereit, selbst in Unfreiheit zu leben.
US-Reporter Evan Gershkovich in U-Haft: Politischer Spielball
Evan Gershkovich drohen bis zu 20 Jahre Haft. Ob die Vorwürfe konstruiert
sind, spielt in einem autoritären Staat wie Russland keine Rolle.
Urteil gegen Putin-Gegner Kara-Mursa: Moralisch verrottet
In Russland ist ein Oppositionspolitiker zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt
worden. Präsident Putin ist im Kampf gegen das eigene Volk.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.