# taz.de -- Korruption in Österreich: Der Selbstbedienungsladen | |
> Ein Prozess um zwei Demoskopinnen verdeutlicht die Korruption und | |
> Manipulation in Österreich. Sie liefern Einblicke in den Filz des | |
> Ex-Kanzlers. | |
Bild: Die frühere Familienministerin Sophie Karmasin beim Prozessauftakt im Ap… | |
WIEN taz | Eine Ex-Ministerin vor dem Richter, eine Politintrige im | |
Hintergrund und eine Prominente im Zeugenstand: Diese Mischung sorgte am | |
Dienstag für größere Aufmerksamkeit, als Korruptionsprozesse dieser | |
Größenordnung in Österreich normalerweise genießen. | |
Die prominente Zeugin wider Willen heißt Sabine Beinschab. Die Demoskopin | |
hat indirekt den politischen Niedergang von Sebastian Kurz als | |
Bundeskanzler und ÖVP-Chef eingeleitet. Denn 2021 wurde bekannt, dass sie | |
im Auftrag des Kurz-Intimus Thomas Schmid, zur Tatzeit 2017 als | |
Generalsekretär der starke Mann im Finanzministerium, geschönte Umfragen | |
produziert hatte. Die wurden dann in der Gratiszeitung Österreich | |
publiziert. | |
Im Jargon der [1][ÖVP-Verschwörer, die den Aufstieg des damaligen | |
Außenministers Kurz an die Regierungsspitze planten], war vom | |
„Österreich-Beinschab-Tool“ die Rede. Herausgeber Wolfgang Fellner wurde | |
für diesen publizistischen Fehltritt mit fetten Anzeigen aus den | |
ÖVP-geführten Ministerien belohnt. | |
Darum ging es aber am Dienstag vor einem Wiener Schöffengericht noch nicht. | |
Vor dem Richter stand Sophie Karmasin, ebenfalls Demoskopin und mehrere | |
Jahre Familienministerin im Kabinett von zwei Regierungen. Vorgeworfen wird | |
ihr die Liebe zum schnöden Mammon auf Kosten der Steuerzahler. | |
## Selbstbedienungsmentalität in früherer ÖVP/FPÖ-Koalition | |
Dieser Vorwurf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) | |
wurde jetzt durch die Aussagen Beinschabs erhärtet. Denn sie hatte vor der | |
Staatsanwaltschaft ausgepackt und so den Status als Kronzeugin erwirkt, um | |
selbst straffrei davonzukommen. | |
Dass Beinschabs Aussagen jetzt Karmasin belasten würden, war also nicht | |
überraschend. Letztere hatte nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung im | |
Jahr 2017 die ihr zustehende sechsmonatige Entgeltfortzahlung in Anspruch | |
genommen. Doch durfte sie, solange sie sich ihr Ministerinnengehalt | |
auszahlen ließ, keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nachgehen. | |
Sie wusste das, was durch Chatprotokolle belegt ist, und hat selbst für | |
kleine Vortragshonorare Rechnungen mit späterem Datum gestellt. Dass sie | |
das gesamte Post-Ministerinnengehalt später zurückzahlte, ist für ihren | |
Anwalt Norbert Wess ein Fall tätiger Reue, der strafbefreiend wirken müsse. | |
Das gilt aber nur, wenn die Reue eintritt, bevor die Behörden vom | |
Fehlverhalten Kenntnis erlangen. Die wussten aber spätestens seit den | |
Recherchen eines ORF-Journalisten, dass Karmasin längst wieder Geld | |
verdiente. | |
Für die Staatsanwaltschaft ist Karmasin eine Wiederholungstäterin. Denn als | |
sie 2013 in die Regierung geholt wurde, versprach sie ihrer ehemaligen | |
Assistentin Beinschab, ihr Aufträge zuzuschanzen, verlangte aber eine | |
Beteiligung von 20 Prozent am Honorar. Da sie als Ministerin nichts | |
dazuverdienen durfte, wurden die Gelder über die Firma ihres Mannes | |
verbucht. | |
Ein weiterer Anklagepunkt wirft nicht nur ein bezeichnendes Bild auf das | |
Moralverständnis Karmasins, sondern auch auf die | |
Selbstbedienungsmentalität, die während der ÖVP-FPÖ-Regierung geherrscht | |
haben dürfte. Das damals vom Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian | |
Strache geführte Sportministerium vergab freihändig Aufträge an die | |
Ex-Ministerin. | |
## Scheinangebote bei Ausschreibungen | |
Um vorzutäuschen, dass sie das beste Angebot in einem fairen | |
Vergabeverfahren gemacht hatte, soll sie ihre Vertraute beauftragt haben, | |
Scheinangebote zu machen. „Das hätte man nicht machen sollen“, zeigte sich | |
Beinschab vor Gericht reuig. Sie sei „ein Trottel“ gewesen, Karmasin sei | |
ihr Vorbild gewesen, für das sie „alles gemacht“ hätte. Und, so die | |
geläuterte Kronzeugin, Karmasin habe wohl auch gedacht, mit ihr alles | |
machen zu können. | |
Die Argumentation von Anwalt Wess, dass das wohl kartellrechtlich | |
unbedenklich gewesen sei, hielt nicht lange. Beinschab enthüllte, sie sei | |
in dieser Angelegenheit vor Kurzem vom Kartellgericht zu einer Strafe von | |
6.000 Euro verurteilt worden. | |
Das Urteil soll am kommenden Dienstag ergehen. Weitere Strafprozesse gegen | |
ehemalige und aktive ÖVP-Funktionäre, darunter auch Sebastian Kurz, sind in | |
Vorbereitung. | |
17 May 2023 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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