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# taz.de -- Pilnacek-Skandal in Österreich: Heimliche Aufnahme
> In Österreich übten offenbar Vertreter der regierenden ÖVP Druck auf die
> Justiz aus. Schwer belastet wird der Nationalratspräsident Wolfgang
> Sobotka.
Bild: Der eine Prozess läuft noch und schon beschäftigt ein neuer Skandal die…
Wien taz | Eigentlich ist Österreich ja noch damit beschäftigt, [1][die
Wunden aus der Regierungszeit von Sebastian Kurz zu lecken]. Der steht
dieser Tage ja wegen mutmaßlicher Falschaussage im
Ibiza-Untersuchungsausschuss vor Gericht. Unter Kurz hat sich Österreich
bis ins Jahr 2040 an russisches Gas gebunden. Und die von seiner Regierung
üppig ausgeschütteten Coronaförderungen sorgen für ein Rekorddefizit, das
dieser Tage auch die Budgetdebatte im Parlament dominiert.
Mitten ins wie immer mit sich selbst beschäftigte Österreich platzte am
Dienstag eine kleine politische Bombe. Eine Tonaufnahme kam ans Licht, in
der Christian Pilnacek, früherer Spitzenbeamter im Justizministerium, von
Interventionsversuchen der ÖVP berichtet. Konkret hätte er strafrechtliche
Ermittlungen gegen die ÖVP „abdrehen“ sollen, verweigerte sich aber, wie er
darin sagt.
Die Aufnahme entstand am 28. Juli bei einem Nobelitaliener in der Wiener
Innenstadt. Pilnacek saß mit zwei Bekannten am Tisch, von denen einer
offenbar eine Handyaufnahme mitlaufen ließ. Nun hat er diese an Medien
weitergespielt. Der ORF ließ zwei Stimmgutachten einholen, die die Echtheit
der Aufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit bestätigen.
## Pinacek wurde im Oktober tot aufgefunden
Besondere Brisanz erlangt die Causa, weil Pilnacek kürzlich überraschend
verstarb. Mitte Oktober wurde er auf einer niederösterreichischen Autobahn
als alkoholisierter Geisterfahrer von der Polizei gestoppt. Er musste
abgeholt werden, wurde jedoch Stunden später tot aufgefunden. Viele Medien
schrieben von einem Suizid, ein Ergebnis der Obduktion wurde aber noch
nicht bekannt gegeben.
Pilnacek galt lange Jahre als mächtigster Beamter im Justizministerium. Ab
2010 hatte er die Leitung einer „Supersektion“ bestehend aus den Bereichen
Legistik und Einzelstrafsachen inne. Zu seinen Aufgaben gehörte die
Kontrolle sämtlicher Staatsanwaltschaften, unter anderem auch der
Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, auf die sich die ÖVP unter
Kurz eingeschossen hat.
In Misskredit geraten war Pilnacek 2019, als er bei einer Dienstbesprechung
die Anweisung gab, die Anklagevertreter sollen mehrere Stränge des
Eurofighter-Korruptionsverfahrens „derschlagen“, sprich: einstellen. Ein
Aufnahmegerät lief bei der Besprechung mit, seine Aussagen fielen Pilnacek
auf den Kopf. Seine „Supersektion“ wurde zweigeteilt, Pilnacek wurde 2021
suspendiert.
Nun also könnte, keine vier Jahre nach dem verhängnisvollen Ibiza-Skandal,
wieder eine heimlich durchgeführte Tonaufnahme für Wirbel sorgen.
Gefährlich werden könnte sie vor allem für Nationalratspräsident Wolfgang
Sobotka, den Pilnacek als einzigen der ÖVP-Bittsteller namentlich nennt.
Die Opposition fordert schon lange Sobotkas Rücktritt. 2020 räumte er im
Krawallsender Ö24 offen ein, dass es Gegengeschäfte zwischen Politik und
Medien gibt. Auch hatte Sobotka das umstrittene Alois-Mock-Institut der ÖVP
geleitet – der „Thinktank“ diente Experten zufolge als
Umgehungskonstruktion für Parteispenden.
Kritiker werfen Sobotka außerdem eine parteiische und ÖVP-freundliche
Führung des parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschusses vor, dem er
vorsaß. Allzu kritische Fragen hatte Sobotka da gern abmoderiert.
Beim Ibiza-Ausschuss (2020-21) sagte Pilnacek als Zeuge unter
Wahrheitspflicht aus, ebenso wie im ÖVP-Korruptions-Ausschuss (2021-23).
Bei beiden wurde er mehrmals gefragt, ob er in konkreten Verfahren Einfluss
genommen habe – was Pilnacek verneinte.
Diese Aussagen wiegen schwerer als die heimlich angefertigte Aufnahme,
argumentiert nun die ÖVP. Plausibel scheint jedoch, dass Pilnacek im Sommer
über andere Interventionsversuche gesprochen hat. Dass er niemals zu
Interventionen aufgefordert worden wäre, gab er bei den U-Ausschüssen
nämlich nicht zu Protokoll.
## Kein Rücktritt von Sobotka in Sicht
Die ÖVP ortet eine Schmutzkübelkampagne. Von „KGB-Methoden“ sprach der
ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker gar. Nationalratspräsident Sobotka
ließ ausrichten, es sei „pietätlos, wenn ein erst kürzlich verstorbener
Mensch in die Öffentlichkeit gezerrt werden soll, um politisches Kleingeld
zu wechseln.“ Sobotka halte fest, niemals mit Pilnacek zu laufenden
Verfahren, Ermittlungen oder Sicherstellungsanordnungen gesprochen zu
haben.
Dennoch: Es ist kein Grund erkennbar, warum Pilnacek authentisch über
Interventionsaufforderungen klagte, wenn es die nie gegeben haben soll.
Wird der Nationalratspräsident zurücktreten, jedenfalls, bis die Sache
aufgeklärt ist? Anderswo gut möglich, nicht aber im diesbezüglich
abgestumpften Österreich. Die ÖVP hat den Rücktrittsforderungen der
Opposition bereits eine Absage erteilt.
22 Nov 2023
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[1] /Oesterreichs-Ex-Kanzler-vor-Gericht/!5967786
## AUTOREN
Florian Bayer
## TAGS
Skandal
Österreich
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Ibiza-Affäre
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Schwerpunkt Korruption
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