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# taz.de -- Bayerisches Polizeiaufgabengesetz: Urteil mit Zwischentönen
> Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat eine Klage gegen das
> umstrittene Polizeiaufgabengesetz abgeräumt – dessen Gegner sind dennoch
> erleichtert.
Bild: Schon im November 2022 wurde gegen die Präventivhaft und das PAG in Mün…
München taz | Hans-Joachim Heßler beginnt mit einer langen Aufzählung von
Artikeln: Artikel 11 a, Artikel 13 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b und Absatz
2 Satz 3, Artikel 14 Absatz 1 Nummer 4 und, und, und … Es geht rauf bis
Artikel 98. Es sind alles Artikel des umstrittenen bayerischen
Polizeiaufgabengesetzes (PAG), gegen die der Bund für Geistesfreiheit in
einer Popularklage vor dem Verfassungsgerichtshof des Freistaats geklagt
hatte. Eine Klage, die das neunköpfige Gericht am Mittwochvormittag ohne
Wenn und Aber vom Tisch fegte.
Die meisten Punkte seien unzulässig, da sie sich entweder auf
Vorläuferregelungen des aktuell geltenden Gesetzes bezögen oder nicht
ausreichend dargelegt worden seien, erklärt Gerichtspräsident Heßler im
Saal 270 II des Münchner Justizpalastes. In der Sache beschäftigte sich das
oberste bayerische Gericht lediglich mit der Frage, inwieweit die
umstrittene Präventivhaft und deren Dauer mit der bayerischen Verfassung
vereinbar sei – und wies die Klage diesbezüglich ab.
Draußen stehen Fragen an der Wand: „Was ist Recht? Was ist Unrecht? Was ist
Gesetz?“ Es ist ein historischer, unrühmlicher Ort, an dem Heßler das
Urteil verkündet. Im selben Saal hat am 22. Februar 1943 der berüchtigte
NS-Unrichter Roland Freisler die Geschwister Hans und Sophie Scholl und
deren Freund Christoph Probst zum Tode verurteilt. Dass man nach dem Ende
der Nazidiktatur in der Bundesrepublik ganz besonders sensibel auf Themen
wie überbordende polizeiliche Befugnisse reagiert, hat seinen Grund.
## Menschen in Bayern können für 60 Tage in Präventivhaft
So war denn auch der Protest gegen die Novellierung des PAG von Anfang an
sehr groß. Während schon seit Jahren mehrere Klagen dagegen anhängig sind,
bekam das Gesetz zuletzt durch den [1][klebrigen Protest der
Klimaaktivisten] erneut besondere Aufmerksamkeit. Als sich Angehörige der
Bewegung Letzte Generation an verschiedenen Stellen in Bayern auf
vielbefahrenen Straßen festgeklebt hatten, wurden sie von der Polizei aus
dem Verkehr gezogen – und das durchaus nachhaltig: [2][Zum Teil landeten
sie für mehrere Wochen im Gefängnis.] Möglich machte es der im Gesetz
vorgesehene Präventivgewahrsam.
Denn anders als im übrigen Deutschland können Menschen in Bayern ohne
Verfahren für 30 Tage weggesperrt werden. Dazu genügt die Vermutung der
Polizei, die betroffenen Personen wollten Straftaten oder schwere
Ordnungswidrigkeiten begehen. Die Haft kann dann noch mal um weitere 30
Tage verlängert werden. Eine ursprünglich von der Staatsregierung
vorgesehen „Unendlichkeitshaft“ war im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens
wieder zurückgenommen worden.
Zunächst ging es am Mittwoch nur um die Klage des Bundes für
Geistesfreiheit, einer humanistisch ausgerichteten Organisation, die sich
vor allem für die Interessen konfessionsloser Menschen in Bayern einsetzt.
Seine Klage richtete sich vor allem gegen zwei höchstumstrittene Aspekte
des Gesetzes: Neben dem Präventivgewahrsam war das der Begriff der
„drohenden Gefahr“. Das PAG, so die Begründung, verletze das
Rechtsstaatsprinzip, den Grundsatz der Gewaltenteilung und mehrere
Grundrechte.
## „Ich sehe das als Erfolg“
Es gibt jedoch noch weitere Popularklagen sowie „Meinungsverschiedenheiten“
gegen das Gesetz, beides spezielle Klageformen in Bayern. So hatten
Parteien wie SPD und Grüne, aber auch eine Gruppe von Jurastudentinnen und
-studenten um die Lehrbeauftragten Isabel Feichtner, Markus Krajewski und
Martin Heidebach schon 2018 geklagt. Zu einer Zeit also, als noch gar nicht
klar war, dass das Instrument der Präventivhaft nun tatsächlich so rigoros
angewandt werden würde. Das hat die Kläger jetzt natürlich in ihrer
Überzeugung von der Unrechtmäßigkeit des PAG noch einmal bestärkt.
Diese Klagen wurden vom Gerichtshof zusammengefasst, ihre Behandlung steht
noch immer aus. Doch nach anfänglichen Befürchtungen, mit dem heutigen
Urteil könnte das Gericht versuchen, de facto auch die weiteren Verfahren
gleich abzuräumen, sind die weiteren Kläger nun wieder zuversichtlich. „Ich
sehe das als Erfolg“, sagt etwa der Jurist Heidebach von der
Ludwig-Maximilians-Universität direkt nach der Verhandlung.
Über die meisten Einwände gegen das PAG sei heute gar nicht entschieden
worden. Er sehe in dem Urteil des Gerichtshofs vor allem das Anliegen, die
Hürden für eine Popularklage etwas höher zu hängen. Die Popularklage des
Bundes für Geistesfreiheit sei tatsächlich nicht allzu fundiert begründet
gewesen. Aber dann habe der Richter auch klargemacht, dass die maximale
Dauer des Gewahrsams nur in Ausnahmefällen als Ultima Ratio in Betracht
komme, sagt Heidebach. „Da müssen jetzt die Amtsrichter zuhören.“ Es sei …
schon skandalös, dass da Menschen wegen geringfügiger Straftaten für einen
Monat in Präventivhaft kämen.
## Betroffene sollten den Rechtsweg beschreiten
Auch Horst Arnold, Rechtsexperte der SPD-Landtagsfraktion, gibt sich
„beruhigt“. Er habe befürchtet, das Gericht würde schon eine Entscheidung
zu dem schwammigen Begriff der „drohenden Gefahr“ vorwegnehmen, und sei nun
froh, dass dies nicht geschehen sei.
Auf der anderen Seite fühlt sich auch die CSU, die das Gesetz
vorangetrieben hatte, bestätigt. Man habe angesichts der Klimaproteste
gesehen, wie notwendig das Instrument der Präventivhaft sei, so der
Landtagsabgeordnete Josef Schmid. Das Gericht habe bestätigt: „Man kann
präventiv handeln.“
Eines aber finden sowohl Wissenschaftler Heidebach als auch die beiden
Politiker besonders interessant: eine „persönliche Bemerkung“ des
Gerichtspräsidenten, die der sich in seiner Urteilsbegründung erlaubt
hatte. Der Gerichtshof befinde lediglich darüber, ob die Präventivhaft
grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar sei, nicht aber über die
Verhältnismäßigkeit ihrer Anwendung. Um dies festzustellen, müssten
Betroffene den Rechtsweg beschreiten.
„Es ist sicher nicht das letzte Mal, dass wir uns hier zur Problematik des
Polizeiaufgabengesetzes sehen“, sagt Heßler noch, bevor die fünf Richter
und vier Richterinnen den Saal verlassen. Das nächste Mal, vermutet
SPD-Mann Arnold, werde aber sicher nicht mehr vor der Landtagswahl im
Oktober sein.
14 Jun 2023
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## AUTOREN
Dominik Baur
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