# taz.de -- Graichen-Aus entfacht Heizungsstreit neu: Hundert Fragen an Habeck | |
> Nach der Entlassung seines Staatssekretärs steht auch das Heizungsgesetz | |
> auf der Kippe. Die FDP bremst - auch die SPD ist noch nicht zufrieden. | |
Bild: Die Debatte um sein Heizungsgesetz ist neu aufgeflammt: Wirtschaftsminist… | |
BERLIN taz | Kaum hat Robert Habeck seinen Wirtschaftsstaatssekretär | |
Patrick Graichen in den Ruhestand versetzt, flammt die Debatte um sein | |
Heizungsgesetz wieder richtig auf. So stellt die mitregierende FDP den | |
geplanten Start zum 1. Januar 2024 infrage. Er halte eine Verabschiedung | |
des Gesetzes vor der Sommerpause für ausgeschlossen, sagte | |
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Bild-Zeitung. Und gab dem grünen | |
Wirtschaftsminister zudem Hausaufgaben auf: „Die FDP-Fraktion hat noch 100 | |
Fragen an Robert Habeck.“ Solange diese nicht beantwortet seien, so der | |
Liberale, könnten die Beratungen über das Gesetz nicht beginnen. | |
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hält dagegen. „Wir sind gegen einen | |
späteren Start des Gesetzes, das löst nämlich keines der aktuellen | |
Probleme“, sagte er der taz. Greife das Gesetz erst später, verkürze das | |
nur den Zeitraum, in dem die gesetzlich festgelegten Klimaziele erreicht | |
werden müssten. Umso drastischer fielen die klimapolitischen Eingriffe dann | |
aus. „Die Alternative wäre, dass wir unsere Klimaziele reißen“, sagte | |
Kühnert. Beides sei für die SPD nicht akzeptabel. | |
Das Klimaschutzgesetz schreibt vor, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral | |
sein muss, ab dann also kein Gramm CO2 zusätzlich in die Atmosphäre blasen | |
darf. Ein Schlüssel dafür ist der Austausch klimaschädlicher Heizungen. | |
Aktuell wird jede zweite Wohnung mit Erdgas und jede vierte mit Öl beheizt. | |
Ab Januar sollen neu eingebaute Heizungen zu mindestens 65 Prozent aus | |
erneuerbaren Quellen betrieben werden, bis 2045 sogar alle Heizungen. | |
Kurzum: ein schrittweises Aus für reine Öl- und Gasheizungen. Entsprechend | |
heftig umstritten ist das Vorhaben. | |
Mit Graichen musste Habeck am Mittwoch den Kopf hinter dem Heizungsgesetz | |
entlassen. Was aber nicht am Gesetz lag, sondern daran, dass Graichen | |
private und dienstliche Interessen nicht sauber trennte. Im April kam | |
heraus, dass der Staatssekretär daran beteiligt war, seinen Trauzeugen in | |
die einflussreiche und gut bezahlte Position des Geschäftsführers der | |
Deutschen Energieagentur zu bugsieren. Nachdem Graichen seinem Chef die | |
Verbindung gebeichtet hatte, stellte sich Habeck zunächst vor seinen | |
wichtigsten Mann für Klimaschutz. | |
Intern ließ er aber alle Vorgänge und Besetzungen durchleuchten, an denen | |
Graichen beteiligt war. Und voilà, es gab noch mehr Verquickungen. Etwa die | |
Bewilligung von 600.000 Euro an den Berliner Landesverband des BUND, den | |
Graichens Schwester bis Mai 2022 leitete. „Es war der eine Fehler zu viel“, | |
sagte der grüne Vizekanzler zerknirscht, als er Graichen am Mittwoch in den | |
einstweiligen Ruhestand schickte. | |
Nun, da Graichen aus dem Weg ist und Habeck angeschlagen ist, blasen die | |
Gegner des Gesetzes zum Sturm. „Das Heizungstauschgesetz muss zurück in die | |
Werkstatt“, tönt etwa Sebastian Brehm, Vorsitzender der | |
CSU-Mittelstandsvereinigung, und fordert einen ganz neuen Gesetzentwurf. | |
Die FDP, die mit der Union um die gleichen Wähler:innen konkurriert, | |
versucht sich ebenfalls zu profilieren. „Die Versetzung von Herrn Graichen | |
in den einstweiligen Ruhestand bietet Robert Habeck die Chance, das | |
Gebäudeenergiegesetz unter neuen Vorzeichen gründlich zu überarbeiten“, so | |
der energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion Michael Kruse zur taz. „Ein | |
Gesetz, das derartig tief in die Entscheidungsfreiheit der Menschen | |
eingreift, kann nicht im Schweinsgalopp beraten werden.“ | |
## Start im Jahr 2024 wegen der FDP | |
Kurioserweise ist es den Liberalen zu verdanken, dass das | |
Gebäudeenergiegesetz, welches laut Koalitionsvertrag erst für 2025 geplant | |
war, um ein Jahr vorgezogen wurde. Als die Spitzen der Ampelkoalition im | |
März 2022, Russland hatte gerade die Ukraine überfallen und die | |
Energiekrise nahm Fahrt auf, darüber stritten, wie diese abgefedert werden | |
könnte, bekam die FDP den Tankrabatt. | |
Im Gegenzug gestanden die Liberalen den Grünen zu, dass der Austausch | |
fossiler Heizungen bereits im Jahr 2024 startet. Ein Jahr später | |
wiederholte der Koalitionsausschuss den Deal: FDP und SPD setzten den | |
beschleunigten Ausbau von 140 Autobahnabschnitten durch – im Gegenzug | |
versicherte man den Grünen, dass [1][das Heizungsgesetz] 2024 startet. Aber | |
wirklich. | |
Doch als Habecks Ministerium im vergangenen Monat einen Gesetzentwurf | |
vorlegte, bröckelte die Einigung bereits. Bundesfinanzminister und FDP-Chef | |
Christian Lindner wies sofort darauf hin, dass er dem Entwurf so nicht | |
zugestimmt habe. Zugleich verlangte er Änderungen. | |
Doch nicht nur aus FDP und Union kommen Bedenken, sondern auch aus den | |
Bundesländern. So wie das Gesetz derzeit konzipiert sei, dürfe es nicht in | |
Kraft treten, so ein Ministerpräsident aus der sogenannten A-Runde, | |
also den von der SPD regierten beziehungsweise mitregierten Ländern. Die | |
Ländervertreter:innen stört zum einen die Fokussierung auf die | |
Wärmepumpe. Das nach dem Kalt-macht-warm-Prinzip und mit Strom betriebene | |
Gerät ist das Herzstück des Gesetzes. | |
## Verabschiedung bis zur Sommerpause? Unklar | |
Sinnvoller wäre doch, Fernwärmebetreiber, die viele Haushalte versorgen, zu | |
ertüchtigen, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Besser jedenfalls, als | |
jedem Haushalt die Aufstellung einer Wärmepumpe im Vorgarten zu | |
subventionieren, so der Einwand von Länderseite. Ein zweiter lautet, dass | |
bislang eine sozial gestaffelte Förderung fehle. Die Länderkammer beschloss | |
vergangene Woche einen Antrag mit Änderungswünschen. Gründlichkeit vor | |
Schnelligkeit, heißt es hinter vorgehaltener Hand. | |
Das Gießkannenprinzip der Förderung stößt aber auch in der | |
SPD-Bundestagsfraktion auf Kritik. Laut Gesetzentwurf sollen | |
Wohnungseigentümer:innen und Kleinvermieter:innen einen | |
Grundzuschuss von 30 Prozent erhalten. „Es gibt Menschen, die diesen | |
Zuschuss nicht brauchen. Wir sollten uns jetzt die Zeit nehmen, | |
Gerechtigkeitselemente in das Gesetz einzubauen“, sagte Fraktionsvize | |
Matthias Miersch [2][jüngst im Interview mit der taz]. | |
Der Bundestag will eigentlich in der kommenden Sitzungswoche über das | |
Gesetz beraten. Die erste Lesung ist für den 25. Mai geplant. Ab Mitte Juni | |
sollen die Anhörungen stattfinden. Pünktlich zum Beginn der Sommerpause am | |
7. Juli soll das Gesetz dann verabschiedet und vom Bundesrat gebilligt | |
werden. Ablehnen können es die Länder zwar nicht, aber sie können zumindest | |
den Vermittlungsausschuss anrufen und so den straffen Zeitplan sprengen. | |
Doch noch steht das Gesetz nicht auf der veröffentlichten Tagesordnung des | |
Bundestages. Ob es aufgesetzt wird, entscheidet die Runde der | |
Parlamentarischen Geschäftsführer:innen am kommenden Dienstag. Die | |
Debatte um den Start von Robert Habecks Heizungsgesetz dürfte sich bis wohl | |
kaum abkühlen. | |
18 May 2023 | |
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[1] /Debatte-ueber-Heizungsgesetz/!5928806 | |
[2] /SPD-Politiker-zum-Heizungsgesetz/!5931728 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Jasmin Kalarickal | |
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