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# taz.de -- Podcast über NS-Verbrechen: Die Täter sterben aus
> Eine Podcastserie von Audible widmet sich dem Kampf für eine
> Strafverfolgung von alten Nazis. Inhaltlich ist sie positiv überraschend.
Bild: Thomas Walther will die letzten lebenden Täter vor Gericht bringen, doch…
Es fängt nicht gut an. Im Trailer spricht plötzlich ein Mann, dessen Name
nicht erwähnt wird. Dann redet noch ein zweiter, dieses Mal auf Englisch,
schließlich noch eine Frau. Was sie qualifiziert, das Wort zu ergreifen,
bleibt unklar. Es geht in diesem Podcast um die [1][juristische Verfolgung
von alten Nazis], so viel wird deutlich. Die letzten Prozesse also. „Schuld
oder: Die letzten Nazis“ heißt der Podcast, produziert von Audible. Ein
durchaus ehrenwertes Unterfangen also und noch dazu ohne die üblichen
Kosten hörbar.
Lässt man sich aber von der dreiminütigen Einführung nicht abschrecken und
steuert die insgesamt sechs Hauptteile an, folgt die positive Überraschung.
Die Stücke sind im besten Sinne aufklärerisch. Und zugleich spannend
gemacht. Und wer hinter den Stimmen im Trailer steckt, erfährt man auch
bald.
Dazu muss man Zeit mitbringen – mehr als vier Stunden. Beschrieben wird der
Kampf – ja, dieses Wort ist mit Bedacht gewählt – weniger einzelner
Menschen für Gerechtigkeit. Da ist Thomas Walther, ein früherer Richter,
der nicht einsehen will, dass die bundesdeutsche Justiz sich nicht dazu in
der Lage sieht, Männer und Frauen, die in Konzentrationslagern Dienst getan
haben, einer Strafe zuzuführen.
Angeblich, weil die Rechtslage nun einmal so ist, wie sie ist. Walther,
kurz vor der Rente stehend, geht vor rund 20 Jahren zur Zentralen Stelle
zur Ermittlung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg. Er will die letzten
lebenden Täter vor Gericht bringen, doch er kommt damit nicht voran.
## Aufarbeitung verhindert
Es waren und sind nur einige wenige Menschen, die dafür gesorgt haben, dass
die juristische [2][Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen] zumindest
nicht ganz unter den Teppich geschoben werden konnte. Man erfährt in diesem
Podcast aber auch, welche Methoden der Staat und seine Träger anwendeten,
um eine wirkliche Aufarbeitung der Taten zu verhindern.
Über Jahrzehnte konnte in der Bundesrepublik nur bestraft werden, wem ein
individuelles Verbrechen nachgewiesen werden konnte. Der Beschuldigte
mochte über Jahre in einem KZ dazu beigetragen haben, dass dort Menschen
erniedrigt, gequält und ermordet wurden – dies alleine reichte für einen
Schuldspruch nicht aus. Welcher Zeuge aber sollte 70, 80 Jahre später noch
Zeugnis über einen individuellen Mord ablegen sollen? Verfahren gegen
NS-Straftäter waren deshalb seltener als Goldfunde im Sand der Spree.
Walther und wenigen anderen beharrlichen Menschen gebührt das Verdienst,
das geändert zu haben, und deshalb kann das Denkmal, das man diesen
Menschen setzt, gar nicht hoch genug sein. Walther wagte die Probe aufs
Exempel und brachte einen Mann vor Gericht, der in Sobibor eingesetzt
worden war: [3][John Demjanjuk]. In einem Vernichtungslager wohlgemerkt,
dessen einziger Zweck es war, sämtliche Jüdinnen und Juden, die dorthin
deportiert wurden, umzubringen. Dort trügen alle Schuld, die dort die
Mordmaschinerie in Gang hielten, lautete sein Argument.
2011 wurde John Demjanuk wegen Beihilfe zum Mord in 28.060 Fälle
verurteilt. Das Eis war gebrochen. Seitdem hat sich die Rechtsauffassung
durchgesetzt, dass schon die Anwesenheit in einem Lager, in dem bewusst und
planmäßig Menschen ermordet werden, zu einer Verurteilung ausreichen kann.
Kann wohlgemerkt, nicht muss. Denn weiterhin muss in jedem einzelnen Fall
nachgewiesen werden, dass der Beschuldigte zur Tatzeit im Lager war, welche
Funktion er dort einnahm und dass er von den Verbrechen wusste.
## Kampf für Gerechtigkeit
Der Podcast verweist auf [4][das jüngste Verfahren gegen den 101-jährigen
SS-Mann Josef Schütz] in Brandenburg, erinnert an andere Prozesse in
jüngster Zeit, die mit Verurteilungen endeten. Er vergisst auch nicht
diejenigen Menschen, die als Überlebende den Mut aufbringen, in einem
deutschen Gerichtssaal als Nebenkläger aufzutreten.
Allerdings ist es nicht so, dass sich nun seit 2011 reihenweise SS-Männer
vor Gericht für ihre Taten verantworten mussten. Es waren einzelne Fälle.
Die meisten mutmaßlichen Täter waren zu gebrechlich und zu krank, um als
verhandlungsfähig zu gelten.
Im Trailer wird suggeriert, dass der juristische Kampf gegen diese Altnazis
immer weitergehe. Später wird das glücklicherweise korrigiert. „Es ist fast
vorbei“, sagt da der Jerusalemer „Nazi-Jäger“ Efraim Zuroff. Die Täter
sterben aus. Das macht den Kampf für Gerechtigkeit von Thomas Walther
nicht kleiner. Dem Autor Sören Musyal ist es gelungen, ein Stück deutsche
Zeitgeschichte vorbildlich zu präsentieren.
16 May 2023
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-ehemalige-KZ-Sekretaerin/!5900749
[2] /NS-Verbrechen/!t5008024
[3] /Strafverfolgung-von-Alt-Nazis/!5085938
[4] /Urteil-gegen-KZ-Wachmann-in-Sachsenhausen/!5861068
## AUTOREN
Klaus Hillenbrand
## TAGS
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Shoa
Podcast
NS-Verbrechen
Kolumne Der rote Faden
TikTok
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
KZ Stutthof
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