# taz.de -- Wiederansiedlung ausgestorbener Tiere: Ob der Luchs bleibt, ist noc… | |
> Die Wiederansiedlung des Luchses im Harz ist eine Erfolgsgeschichte, | |
> deren glücklicher Ausgang noch nicht feststeht. Inzucht bedroht die | |
> Population. | |
Bild: Sieht süß und gemütlich aus, ist aber ein Raubtier: Luchs | |
GÖTTINGEN taz | Am 17. März 1818 erlegte der königlich-hannöversche Förster | |
Johann Friedrich Wilhelm Spellerberg nach einer zweiwöchigen Hatz den | |
letzten wilden Luchs im Harz. An die 200 Jäger und Treiber waren damals im | |
Einsatz, um das Tier ausfindig zu machen und zur Strecke zu bringen. Am | |
Teufelsberg bei Lautenthal erwischte der Forstmann schließlich den Luchs. | |
Noch heute erinnert dort der sogenannte Luchsstein an den Abschuss. | |
Fast 200 Jahre später, im Jahr 2000, begann im niedersächsischen Teil des | |
Harzes unter Regie der Nationalparkverwaltung die [1][Wiederansiedlung] von | |
Luchsen. Nach mehrwöchiger Eingewöhnungsphase in einem versteckt gelegenen | |
Auswilderungsgehege mitten im Nationalpark wurden bis zum Jahr 2006 | |
insgesamt 24 Luchse – neun Männchen und 15 Weibchen – in die Freiheit | |
entlassen. | |
Nicht nur aus Sicht von Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer | |
(Grüne) ist das Auswilderungsprogramm auf einem sehr guten Weg. Die Harzer | |
Luchspopulation gelte als eine der vitalsten in Europa, sagte Meyer | |
vergangenen Woche bei einer internationalen Luchstagung in Goslar. Allein | |
durch dieses Mittelgebirge streiften mittlerweile etwa 90 Tiere. Insgesamt | |
mache die aus dem Projekt entstandene Population mit rund 110 Tieren heute | |
mehr als die Hälfte des gesamtdeutschen Luchsvorkommens aus. | |
Doch trotz dieser erfreulichen Entwicklung sehen viele Experten das | |
Überleben der Raubkatzen in freier Wildbahn gefährdet – wegen Inzucht. Um | |
die genetische Diversität der kleinen mitteleuropäischen Luchsvorkommen sei | |
es schlecht bestellt, warnt der Leiter des [2][Nationalparks Harz], Roland | |
Pietsch. „Ein [3][genetischer Austausch zwischen den Populationen ist | |
dringend erforderlich], wenn das erneute Aussterben des Luchses verhindert | |
werden soll“, warnt er. | |
## Ausreichend Beute | |
Der Schweizer Raubtierökologe Urs Breitenmoser betonte auf der Tagung, | |
lokal seien die Bedingungen für wild lebende Luchse heute zwar | |
vorteilhafter als zur Zeit ihres großflächigen Verschwindens im 18. und 19. | |
Jahrhundert: „Unsere Wälder sind in besserem Zustand und Beutetiere – vor | |
allem Rehe – sind ausreichend vorhanden.“ | |
Doch große Städte, die durch breite Verkehrsachsen verbundenen seien, | |
verhinderten die Ausbreitung des Luchses. Ein Austausch von Tieren zwischen | |
den Vorkommen im Harz, im Bayerischen Wald und im Pfälzerwald fände derzeit | |
nicht statt. | |
Andererseits seien weite Wanderungen von Luchsen aber unbedingt nötig, um | |
einen genetischen Austausch zwischen den Luchsvorkommen in Deutschland und | |
Mitteleuropa zu erreichen. Einige Populationen litten bereits unter | |
Inzuchterscheinungen. | |
Insbesondere die weiblichen Tiere schreckten oft davor zurück, den | |
schützenden Mittelgebirgswald zu verlassen, sagt der Luchsexperte im | |
Nationalpark Harz, Ole Anders. Sie wagten keine Wanderungen über weite | |
offene Agrarflächen, um in das nächste größere Waldgebiet zu gelangen. | |
Als weiterer Hinderungsgrund für eine Ausbreitung der Luchse gilt der | |
Straßenverkehr. Mehr als ein Drittel aller in Niedersachsen und | |
Sachsen-Anhalt tot aufgefundenen Luchse wurde überfahren. Untersuchungen | |
mit sendermarkierten Luchsen zeigten zudem, dass viele Tiere bei ihren | |
Wanderungen vor dem Überqueren von Schnellstraßen abdrehen. Auch die etwas | |
mutigeren Luchse brauchen mitunter sehr lange, um solche Straßen zu | |
überwinden. | |
Da die einzelnen Populationen zu klein seien, um ihre genetische | |
Lebensfähigkeit langfristig zu gewährleisten, müsse die Rückkehr der Tiere | |
durch weitere Wiederansiedlungen und Umsiedlungen gefördert werden – darin | |
waren sich die Teilnehmer der Konferenz einig. Einige Vorhaben sind denn | |
auch schon in Planung oder bereits angelaufen. | |
Um geeignete Luchse mit „frischem Blut“ zu bekommen, startete ein | |
Zuchtprogramm für den Karpatenluchs. Außerdem laufen genetische | |
Untersuchungen von Gehege-Luchsen, um geeignete Zuchtpaare zu finden. Eine | |
Luchs-Bestandsaufstockung in Slowenien, Kroatien und Italien steht kurz vor | |
dem erfolgreichen Abschluss. | |
Tagungsteilnehmern zufolge werden zurzeit auch in den Bundesländern | |
Baden-Württemberg, Thüringen und Sachsen Luchs-Ansiedlungsprojekte geplant, | |
um vorhandene Kleinvorkommen zu unterstützen oder Verbreitungslücken | |
zwischen benachbarten Populationen zu schließen. | |
Innerhalb Deutschlands sei der rund 2.200 Quadratkilometer große Thüringer | |
Wald von herausragender Bedeutung, da eine stabile Luchspopulation dort das | |
bisher fehlende Bindeglied zwischen den Populationen im Harz und im | |
Bayerischen Wald bilden könne, sagt Markus Port vom BUND Thüringen. Im | |
Rahmen des Projektes „[4][Luchs Thüringen – Europas Luchse vernetzen]“ | |
sollen zwischen 2024 und 2027 zwölf bis 20 Luchse im Thüringer Wald | |
ausgesetzt werden. | |
15 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Jahresbilanz-des-WWF/!5897429 | |
[2] /Waldschaeden-im-Harz/!5907333 | |
[3] /Artenschutz-braucht-Wandermoeglichkeiten/!5820574 | |
[4] https://www.wwf.de/themen-projekte/bedrohte-tier-und-pflanzenarten/luchs/lu… | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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