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# taz.de -- Missbrauch im Erzbistum Freiburg: Zollitsch und das Schweigen
> Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens zum Erzbistum
> Freiburg ist das Entsetzen groß. Altbischof Zollitsch hat dennoch wenig
> zu befürchten.
Bild: Aus „Rücksicht“ vor Betroffenen und der Aufarbeitung schweigt Zollit…
Berlin taz | Die Worte von Bischof Norbert Trelle triefen vor Zynismus –
aus heutiger Sicht. Damals, im März 2014, sparte Trelle bei der
Verabschiedung von Bischof Robert Zollitsch als Vorsitzender der Deutschen
Bischofskonferenz nicht mit Lob: „Als langjähriger Personalverantwortlicher
des Erzbistums kam die Sorge um die anderen geistlichen Berufe hinzu, aber
auch die Aufgabe, eine gute und präzise Verwaltungsarbeit zu leisten.“ Neun
Jahre später wird deutlich, wie präzise Bischof Zollitsch im Erzbistum
Freiburg Informationen deckelte.
Am 18. April 2023 stellte die Arbeitsgruppe „Machtstrukturen und
Aktenanalyse“ [1][den Abschlussbericht] zum sexuellen Missbrauch vor. Darin
wird deutlich: Zollitsch, der von 2003 bis 2013 Freiburger Erzbischof,
zuvor 20 Jahre Personalverantwortlicher des Bistums und von 2008 bis 2014
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war, hat maßgeblich dazu
beigetragen, dass jahrelang sexuelle Gewalt von Priestern an Minderjährigen
vertuscht wurde.
„Und das in einem Ausmaß, das über die bisherigen Gutachten in anderen
deutschen Bistümern hinausgeht“, sagt Magnus Striet, Theologieprofessor und
Vorsitzender der GE-Kommission, einem Gremium zur Aufarbeitung sexuellen
Missbrauchs in der Erzdiözese Freiburg, die sich am 18. Oktober 2021
konstituierte.
Die Abkürzung „GE“ steht für „Gemeinsame Erklärung“ und bezieht sich…
die Übereinkunft des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen
Kindesmissbrauchs und der Deutschen Bischofskonferenz über Kriterien und
Standards für eine unabhängige Aufarbeitung in der katholischen Kirche.
„Bis zum Wechsel im Bischofsamt 2014 ist im Erzbistum Freiburg nichts
gemacht worden“, sagt Striet.
## 250 nachweislich beschuldigte Priester
Dabei hatte Zollitsch 2010 versprochen, die Kirche werde alles tun, um
„lückenlose Aufklärung und vollständige Transparenz“ zu garantieren. „…
Erschütternde ist, dass Aufklärungswille bekundet, aber nicht gehandelt
wurde“, sagt Striet. Im Bericht ist die Rede von mindestens 540 Betroffenen
und 250 nachweislich beschuldigten Priestern. Für viele Jahre im
untersuchten Zeitraum von 1978 bis 2014 gibt es keine oder nur
unvollständige Akten.
Zollitschs Gebaren ist bitter für Julia Sander. Die 42-jährige Pädagogin
erlebte als Kind sexuellen Missbrauch durch einen Priester. Heute ist sie
Teil des vierköpfigen Betroffenenbeirats des Erzbistums Freiburg und ist
froh, dass das Gutachten endlich veröffentlicht wurde. „Der Bericht
unterstreicht deutlich, dass Betroffene nicht gehört wurden und die
erforderliche und gebotene Hilfe nicht erhielten. Dokumente, Personalakten
und Protokolle, die Betroffene auch heute noch dabei unterstützen könnten,
zu ihrem Recht zu kommen, wurden vernichtet oder gar nicht erst
angefertigt.“
Bereits im Oktober 2022 veröffentlichte Zollitsch ein Video, in dem er
seinen persönlichen Anteil an der Vertuschung des sexuellen Missbrauchs
anerkennt. Es sei „furchtbar“ gewesen, das Video zu sehen, sagt Sander. Und
eine reine Machtdemonstration. Sie erwartete Ähnliches nach der
Veröffentlichung des Berichts der Arbeitsgruppe.
Zollitsch teilte über seine Webseite mit, dass er sich „aus Rücksicht auf
die Betroffenen von sexualisierter Gewalt und aus Respekt vor einer
notwendigen und vollständigen Aufarbeitung Schweigen auferlegt“ habe.
Sander meint: „Ich finde das so hochgradig zynisch, weil er die letzten 30
Jahre an Stellen geschwiegen hat, an denen er es nicht hätte tun dürfen“,
so Sander. „Jetzt zu sagen, ich schweige weiter zu allem, ist für ihn der
Weg des geringsten Widerstands“.
## Zollitschs Verschleierungstaktik
Nach der Veröffentlichung des Berichts kündigte der Altbischof an, dass er
das Bundesverdienstkreuz, das er 2014 erhalten hat, sowie den
Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg und die Große Staufermedaille
in Gold zurückgeben wird. Außerdem verzichte er auf das Privileg, in der
Bischofsgruft des Freiburger Münsters begraben zu werden.
Sander sieht darin den Wunsch Zollitschs, seine Kollegen „nicht in
Bedrängnis zu bringen“. Sie schrieb noch vor der Rückgabe der Ehrungen eine
Mail an den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried
Kretschmann (Grüne), dass er Zollitsch die Staufermedaille aberkennen und
sie den Betroffenen verleihen solle, die seit zehn Jahren für Aufklärung
kämpfen.
Das Angebot Zollitschs zur Rückgabe seiner Ehrungen hält Sander für eine
Verschleierungstaktik. „Für uns Betroffene ist es wirklich ein Alptraum,
dass so getan wird, als wäre Kirche ein Raum, der abgekapselt ist vom
Staat, und als wären kirchliche Betroffene keine staatlichen Betroffenen“,
sagt sie.
Eine taz-Anfrage für eine Stellungnahme von Zollitsch wird von seinem
Pressesprecher damit beantwortet, dass es „der Alterzbischof nach wie vor
für angemessen hält, sich nicht zum Abschlussbericht zu äußern.“ Er sei
aber mit dem Betroffenenbeirat im Austausch und habe der Staatsanwaltschaft
Freiburg „seine uneingeschränkte Kooperationsbereitschaft angezeigt“.
Mittlerweile seien dort fünf Strafanzeigen gegen ihn mit dem Vorwurf der
Strafvereitelung eingegangen.
## Kaum Veränderungen in der Bischofskonferenz
Auch Bischof Bätzing, derzeitiger Vorsitzender der Deutschen
Bischofskonferenz, ließ über seinen Pressesprecher Matthias Kopp mitteilen,
dass er „zu Erzbischof Zollitsch alles gesagt habe, was er dazu sagen
möchte.“ Und verweist auf seine Distanzierung von Zollitsch in der
Rhein-Neckar-Zeitung: „In seiner Zeit als Vorsitzender der
Bischofskonferenz im Jahr 2010 wurden entscheidende Maßnahmen zur
Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche gesetzt“, sagte Bätzing
dort. „Diese hat er selbst in seinem Bistum offenbar in derselben Zeit
nicht angewandt und übergangen.“ Ihn mache es „ratlos, wie das passieren
konnte“.
Aber: Auf der Webseite der Deutschen Bischofskonferenz findet sich
keinerlei Hinweis auf das Freiburger Gutachten und auch kein Statement. Für
Sander zeigt das erneut, dass sich an den Machtstrukturen innerhalb der
Kirche wenig ändert. Sie übt scharfe Kritik an einer weiteren Personalie:
Dem Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp.
Im Gespräch mit der taz beschreibt sie das Video, in dem sich Zollitsch
2013 Jahre nach Bekanntwerden des Ausmaßes des Missbrauchs im Namen der
deutschen Bischöfe entschuldigt hat. An Zollitschs Seite damals mit im Bild
auch Kopp, der noch heute die Angelegenheiten für die Deutsche
Bischofskonferenz regelt. „Für mich ist seine Personalie einfach ein Symbol
dafür, dass sich an der Organisation der Bischofskonferenz überhaupt nichts
getan hat“, sagt Sander.
Nachfolger von Zollitsch und derzeitiger Erzbischof von Freiburg ist
Stephan Burger. Nach der Vorstellung des Abschlussberichts der
Arbeitsgruppe Aktenanalyse erreichten ihn und die entsprechende
Anlaufstelle im Erzbistum zahlreiche Reaktionen. Viele teilten ihr
Entsetzen, ihre Trauer und ihre Wut über die Ergebnisse, sagte Burger der
taz. „Einig waren sich die Meisten darin, dass es gut ist, dass die volle
Wahrheit auf den Tisch gekommen ist und Konsequenzen folgen werden.“
## Massive Vertuschungsversuche
Burger trifft sich regelmäßig mit dem Betroffenenbeirat, das nächste Mal
Anfang Juni. Und fordert klare Konsequenzen in der Causa Zollitsch. „Ein
angemessener Umgang mit dem Bericht bedeutet für die Erzdiözese Freiburg,
dass die Inhalte nun genau ausgewertet werden und wir zudem die Ableitungen
der Unabhängigen Kommission und des Betroffenenbeirats abwarten“, sagt
Burger. Im Herbst will sich die Bistumsleitung öffentlich äußern.
Wie dramatisch das Ausmaß der Vertuschung ist, daraus machte auch Burger am
Tag der Veröffentlichung des Berichts keinen Hehl. „Insbesondere meine
beiden Vorgänger im Amt haben in der Vergangenheit schon damals geltendes
kirchliches Recht, das ein Eingreifen und Melden von Fällen vorsah,
schlichtweg ignoriert“, teilte er mit. „Beide wussten um die rechtliche
Relevanz der Thematik. Dahinter stand ein nach heutiger Sicht falsch
verstandener Korpsgeist.“
Burger geht sogar noch weiter und wählt Worte wie kaum ein anderer in
seiner Funktion zuvor. Aus seiner Sicht sollte ein „äußerliches
Kirchenbild“ aufrechterhalten werden, „das jegliches Fehlverhalten weit
von sich weist.“
In den Empörungsreigen über Zollitsch und die Erkenntnisse des Berichts
stimmt auch Irme Stetter-Karp ein, Präsidentin des Zentralkomitees der
deutschen Katholiken (ZdK). „Zollitsch hat das kanonische Recht im
Zusammenhang mit Missbrauchsfällen offenbar komplett ignoriert. Die
betroffenen Kinder, Jugendlichen und Eltern haben für ihn gar nicht
existiert“, sagte Stetter-Karp der taz.
## Kirche als Machtsystem
Auch sie ist wütend und erschüttert. „Diese Art und Weise von [2][Kirche
als Machtsystem], in dem Menschen nicht nur zutiefst in ihrer Integrität
verletzt werden, sondern als Betroffene auch marginalisiert und mundtot
gemacht werden, muss ein Ende haben.“ Auch das Resümee von
Theologieprofessor Striet ist niederschmetternd: „Das ganze System ist
dysfunktional.“
Obwohl die Kritik schärfer als je zuvor zu sein scheint, hat Zollitsch kaum
etwas zu befürchten: „Ich vermute, dass man ihm öffentliche Auftritte
untersagen wird und dass man ihm bestimmte bischöfliche Privilegien
entzieht“, prognostiziert Striet.
Sander aus dem Betroffenenrat fordert, dass staatliche und kirchliche
Opferentschädigung mit Unterstützung von der Beauftragten für Fragen des
sexuellen Kindesmissbrauchs angegangen wird, etwa mit einem Runden Tisch.
„Es braucht aktive Aufklärung und Unterstützung, auch von staatlicher
Seite.“
Doch Sander macht sich keine Illusionen. „Man muss sich immer vor Augen
führen, was es für den Betroffenen bedeutet, wenn man noch darüber
nachdenken muss, ob man das Foto eines Vertuschers jetzt abhängt oder
nicht. Ich hänge ja auch nicht in einer Beratungsstelle für
Tsunami-Betroffene Fotos vom Meer und von Stürmen auf.“
4 May 2023
## LINKS
[1] /Missbrauchsgutachten-im-Bistum-Freiburg/!5928882
[2] /Aufklaerung-von-sexualisiertem-Missbrauch/!5920183
## AUTOREN
Linda Gerner
Stefan Hunglinger
Tanja Tricarico
## TAGS
Katholische Kirche
Missbrauch
sexueller Missbrauch
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Sexualisierte Gewalt
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