# taz.de -- Wohin führt Ratzinger die katholische Kirche?: Ogott, ogottogott! | |
> Der Papst rehabilitiert vier erzreaktionäre Bischöfe, darunter einem | |
> Holocaust-Leugner - und sorgt damit für Entsetzen. Betriebsunfall oder | |
> Ausdruck eines Durchmarschs der Reaktion? | |
Bild: Als Popstar "Benedetto" wird Papst Benedikt XVI. längst schon nicht mehr… | |
Gemurmel. Nichts als Gemurmel hört man von da vorne, wo der Priester in | |
Richtung Altar betet. Die meiste Zeit sieht man seinen Rücken, nur ab und | |
zu dreht sich der in einem beigen Messgewand gekleidete Geistliche um, | |
breitet kurz die Arme aus und betet: "Dominus vobiscum", also: "Der Herr | |
sei mit euch!" | |
Über dem üppig-goldenen Altar zeigt ein Wandbild das Lamm Gottes vor einem | |
Sternenhimmel. Vor ihm sitzen links und rechts Heilige: Paulus und Petrus, | |
Elisabeth und Bonifatius. Und Papst Pius X. Das ist ungewöhnlich. Denn | |
dieser große Feind des modernen Denkens, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts | |
amtierte, wird selten verehrt. Aber er wurde heiliggesprochen, als einziger | |
Papst der vergangenen 500 Jahre. Genau deshalb ist er hier zu sehen. | |
Die kleine Kirche in Berlin-Wilmersdorf nennt sich Priorat St. Petrus | |
Berlin. Es ist das Zentrum der katholischen Traditionalisten in der | |
Hauptstadt. Die Priester, die hier die "lateinische", tridentinische Messe | |
feiern, gehören der "Priesterbruderschaft St. Pius X." an. Sie wurde 1970 | |
vom französischen Erzbischof Marcel Lefebvre (1905-1991) gegründet. | |
Der Antisemit Richard Williamson ist ein Bischof dieser Vereinigung. Er | |
hatte den Holocaust geleugnet und sich am Freitagabend beim Papst für das | |
"Leid" und die darauf entstandenen "Probleme" entschuldigt. In der Sache | |
zog er nichts zurück. | |
Mit drei anderen durch Lefebvre geweihten Bischöfen wurde Williamson 1988 | |
aus der katholischen Kirche exkommuniziert, weil sie die Reformen des | |
Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnten. Auf diesem Konzil hatte sich die | |
katholische Kirche Mitte der Sechzigerjahre zur Religionsfreiheit bekannt, | |
die Messe in den Landessprachen etabliert, den Nichtpriestern größere | |
Mitwirkung eingeräumt und ihre jahrhundertealte Judenfeindschaft beendet. | |
Doch vergangene Woche nahm Papst Benedikt XVI., der Deutsche Joseph | |
Ratzinger, die ausgestoßenen Lefebvre-Fans wieder auf. Ein großer Sieg für | |
die Schismatiker, die Spalter. Ein Debakel für die Kirche. | |
Herrscht nun Jubel bei den Pius-Priestern? In der kleinen, mit Holz | |
vertäfelten Sakristei ist der Priester gerade dabei, sein Messgewand | |
auszuziehen, liebevoll legt er es auf einen kleinen Tisch, ordnet die | |
Bänder, mit denen er seinen weißen Unterrock gegürtet hatte. "Sind Sie | |
Mitglied der Pius-Priesterbruderschaft?" "Ja." "Sind Sie froh, dass die | |
Exkommunikation Ihrer Bischöfe jetzt aufgehoben wurde?" "Meine Meinung dazu | |
steht auf unserer Homepage", sagt der Priester mit holländischem Akzent. | |
Weitere Fragen bringen nichts. Mehr als der Verweis auf die Homepage der | |
Bruderschaft ist von dem Priester nicht zu erfahren. | |
Dabei sind fast alle Fragen offen. Und außer wortreichen Bekundungen der | |
Freude über das Ende der Exkommunikation steht nichts auf der | |
Pius-Homepage, erst recht nicht über Williamson. | |
Das ist fast frech, denn die Rehabilitierung der vier und Williamsons | |
Ergüsse sind daran schuld, dass seit etwa zehn Tagen ein Erdbeben die | |
katholische Kirche und, um es theologisch zu sagen, ihr Verhältnis zur | |
"Welt" erschüttert. Fromme Bischöfe schimpfen mehr oder weniger öffentlich | |
über den Vatikan. Treue Theologen protestieren gegen Rom und befürchten | |
einen "Wendepunkt in der nachkonziliaren Kirchengeschichte". Am Sonntag | |
erklärte der international renommierte niederländische Theologe Jean-Pierre | |
Wils seinen Austritt aus der katholischen Kirche. Die jüdischen | |
Gemeinschaften weltweit sind entsetzt und verweigern jegliche weitere | |
Kommunikation mit der Kirche. Britische Parlamentarier diskutieren die | |
Entscheidung des Vatikans. Israels Regierung erwog am Wochenende den | |
Abbruch der Beziehungen zum Heiligen Stuhl. Papst Benedikt XVI. hat einen | |
veritablen Bock geschossen, als er die Pius-Bischöfe wieder in die Kirche | |
aufnahm. | |
Aber wie kam es dazu? Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke, der | |
einst bei Ratzinger promovierte, vermutet "einen Betriebsunfall" bei der | |
Entscheidung des Papstes und spricht von "kirchlicher Schlamperei". Aber, | |
so gibt er zu bedenken, "nicht jede Torheit, die ein schismatischer Bischof | |
äußert, wird auch schon in Rom registriert". | |
Ganz anders sieht dies der bekannte katholische Theologe Hans Küng, den | |
Joseph Ratzinger schon als Chef der Glaubenskongregation bekämpft hat. | |
Benedikt XVI. habe keine kritischen Leute um sich, "insofern kann er | |
offenkundig nicht kalkulieren, was das bewirkt, wenn er einen | |
Holocaust-Leugner aufnimmt und drei andere dazu, die nicht viel besser | |
sind". Der Papst versuche fast vier Jahre nach seiner Wahl "die | |
konservative Linie durchzusetzen". | |
Ein Vatikan-Kenner im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) erzählt | |
es so: Das Papier zur Wiederaufnahme der exkommunizierten Pius-Bischöfe | |
habe seit Jahren auf dem Schreibtisch des Papstes gelegen. Johannes Paul | |
II., der Vorgänger Ratzingers, aber habe sich geweigert, es zu | |
unterschreiben. "Der war ein Kerl. Ratzinger aber ist ein deutscher | |
Professor." | |
Das Entsetzen über die Entscheidung des Papstes ist so groß, dass selbst | |
seine Bischöfe größte Mühe haben, keine allzu deutliche Kritik zu | |
formulieren. "Wer die Schoah leugnet, kann nicht in seinem kirchlichen Amt | |
rehabilitiert werden", sagt der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph | |
Schönborn. Hier hätten "vatikanische Mitarbeiter nicht genügend | |
hingeschaut" und sich offensichtlich nicht genügend über Williamson | |
informiert. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert | |
Zollitsch, kritisiert Benedikt XVI. indirekt, aber deutlich: "Ich kann | |
verstehen, dass unsere jüdischen Brüder betroffen sind." Das alles sei | |
"bedauerlich, nein: tragisch". Hinter vorgehaltener Hand befürchten die | |
wenigen liberalen Bischöfe der Kirche und kenntnisreiche Laien tatsächlich | |
einen Durchmarsch der Reaktionäre in Rom. | |
Denn wer genau hingehört hat, dem musste auffallen: Erst als der | |
Proteststurm über den Holocaust-Leugner international richtig losgegangen | |
war, verlangte der Papst von den Lefebvre-Bischöfen eine Anerkennung des | |
Konzils als Bedingung zur Aufnahme. Vorher war das nicht passiert. Dafür | |
war der Vatikan auf zwei Bedingungen der Pius-Bruderschaft eingegangen, die | |
diese seit 2001 für eine Rückkehr zur Kirche stellte: die Erlaubnis, die | |
alte tridentinische Messe zu feiern, und das Ende der Exkommunikation. Der | |
lutherische Landesbischof Friedrich Weber, ein Ökumene-Experte, urteilt | |
über die Konzessionen des Papstes an die Pius-Brüder spitz: "Der Wille zur | |
Einheit ist offenbar so mächtig, dass der Papst bereit ist, eine | |
menschenverachtende und nach unseren deutschen Maßstäben kriminelle | |
Äußerung eines Bischofs in Kauf zu nehmen, selbst wenn er sich dann gleich | |
wieder von dieser distanzieren muss." | |
Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die Lefebvre-Bischöfe gar nicht | |
daran denken, dem Papst wesentlich entgegenzukommen. Zwar haben sie sich | |
von den Holocaust-Äußerungen ihres Bruders Williamson distanziert. Das | |
Konzil aber wollen die Ultra-Traditionalisten nicht anerkennen. Der | |
deutsche Distriktsobere der Lefebvre-Fans, Pater Franz Schmidberger, | |
kündigte lediglich an, man werde mit dem Vatikan über die volle Rückkehr | |
ihrer Gruppe in die Kirche reden. Dabei müsse aber die Kirche zu ihrer | |
wahren Lehre zurückkehren und Irrtümer des Konzils zurücknehmen. | |
So bleibt der eigentliche Skandal bestehen: Die Kirche nimmt Leute auf, die | |
ihre Prinzipien schlicht ablehnen - und dazu passt auch Williamsons | |
Holocaust-Leugnung: "Zwischen der fortdauernden Ablehnung der Ergebnisse | |
des II. Vatikanischen Konzils durch die Traditionalisten und ihrer tief | |
reaktionären und freiheitsfeindlichen Haltung besteht ein enger | |
Zusammenhang", sagte der Präsident des ZdK, Hans Joachim Meyer, | |
ungewöhnlich deutlich. Kein Wunder, dass am Freitag ein weiterer | |
Lefebvre-Priester in Italien den Holocaust leugnete. Dazu passt auch, dass | |
Benedikt XVI. am Wochenende den ultrakonservativen österreichischen | |
Priester Gerhard Wagner zum neuen Weihbischof der Diözese Linz ernannte | |
(siehe Seite 2). | |
Die katholischen Theologie-Fakultäten von Freiburg, Tübingen und Münster - | |
übrigens die größte staatliche katholische Fakultät der Welt - haben wegen | |
der Angst um den Kurs der Kirche fast geschlossen die Entscheidung zur | |
Rehabilitation der Pius-Bischöfe verurteilt und Protestbriefe an den Papst | |
geschrieben. "Es ist uns unverständlich, dass die Exkommunikation der | |
schismatischen Bischöfe aufgehoben wurde, bevor sie grundlegende | |
Lehraussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils akzeptiert haben", schrieben | |
die Freiburger Theologen. Die Traditionalisten ignorierten oder verneinten | |
wesentliche Beschlüsse des Konzils. "Wir befürchten, dass die Aufhebung der | |
Exkommunikation dieser Bischöfe einen Wendepunkt in der nachkonziliaren | |
Kirchengeschichte markiert", heißt es bei den Tübingern. | |
Und wie geht es jetzt weiter? Jüdische Gemeinschaften in aller Welt fordern | |
de facto eine erneute Exkommunikation von Williamson. Die für den Mai | |
geplante Reise des Papstes nach Israel ist belastet; und ob sie noch | |
stattfinden kann, ist unklar. Bis spätestens dahin muss die Lefebvre-Affäre | |
wenigstens einigermaßen geklärt sein. Doch danach könnte schon der nächste | |
Affront aus Rom kommen: die Seligsprechung von Pius XII., jenem Papst, der | |
zum Holocaust geschwiegen hatte. Die Unterlagen liegen unterschriftsreif | |
auf dem Schreibtisch des Papstes. | |
2 Feb 2009 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
Philipp Gessler | |
## TAGS | |
Katholische Kirche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Missbrauch im Erzbistum Freiburg: Zollitsch und das Schweigen | |
Nach der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens zum Erzbistum Freiburg | |
ist das Entsetzen groß. Altbischof Zollitsch hat dennoch wenig zu | |
befürchten. | |
Merkel will klare Worte vom Papst: Die Exorzistin | |
Deutsche Politiker haben sich in der Debatte um den Holocaustleugner | |
Richard Williamson zurückgehalten. Doch jetzt fordert Merkel von Papst | |
Joseph Ratzinger eine "eindeutige Klarstellung". |