# taz.de -- Verkehrspolitik in Berlin: Die Senatorin tritt auf die Bremse | |
> Die CDU-Frau Manja Schreiner will Änderungen in den letzten Kapiteln des | |
> Mobilitätsgesetzes – und mag auch das Radfahren nicht mehr zu sehr | |
> anpreisen. | |
Bild: Bereitet sie einen U-Turn vor? Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) | |
BERLIN taz | Langsam zeichnet sich ab, wohin die Fahrt mit der neuen | |
Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) geht: Nicht nur hat die | |
Nachfolgerin der Grünen Bettina Jarasch im Senat durchgesetzt, dass die | |
noch fehlenden Kapitel des Mobilitätsgesetzes aus dem | |
Gesetzgebungsverfahren herausgenommen und von ihrem Haus überarbeitet | |
werden – in einem [1][Interview mit dem RBB] ließ sie am Mittwoch auch | |
durchblicken, dass die Bevorzugung des Fahrrads als Verkehrsmittel mit ihr | |
ein Ende hat. | |
Die Kapitel 5 und 6 des Mobilitätsgesetzes „Wirtschaftsverkehr“ und “Neue | |
Mobilität“ waren beim Inkrafttreten im Jahr 2018 noch nicht Bestandteil des | |
Textes, es gab für sie lediglich Platzhalter. Nach langwierigen | |
Abstimmungsprozessen innerhalb der rot-rot-grünen, dann rot-grün-roten | |
Koalition beschloss der Senat die Abschnitte kurz vor Weihnachten 2022. Zur | |
Verabschiedung im Parlament kam es angesichts der Wiederholungswahl nicht | |
mehr. In der Plenarsitzung an diesem Donnerstag sollte der Entwurf auf der | |
Tagesordnung stehen. | |
Am Dienstag aber verkündete Schreiners Verwaltung den Senatsbeschluss, | |
dieses Gesetzespaket einer „[2][Revision im Hinblick auf die kommenden | |
Richtlinien] der Regierungspolitik zu unterziehen“. Man beabsichtige, | |
„einen überarbeiteten Entwurf mit einem Fokus auf den Wirtschaftsverkehr | |
schnellstmöglich wieder ins parlamentarische Verfahren zu geben“ und prüfe, | |
„an welchen Vorschlägen festgehalten und was im Sinne des Gemeinwohls der | |
Stadt weiterentwickelt wird“. | |
Tatsächlich dürfte Schwarz-Rot am Kapitel zum Wirtschaftsverkehr nicht so | |
viel zu kritteln haben: Es geht darin um Sicherung von | |
Infrastrukturflächen, Schienenwegen und Wasserstraßen, ein Netz von | |
Umschlagplätzen, Qualitätskriterien für Liefer- und Ladeflächen oder | |
emissionsarme Lieferfahrzeuge. | |
## Das passt der CDU nicht | |
Dagegen enthält das Kapitel „Neue Mobilität“ Aussagen wie diese: „Um den | |
begrenzten öffentlichen Raum effizient und stadtverträglich zu nutzen, | |
sollen die Parkraumbewirtschaftung auf Gebiete mit Parkdruck ausgeweitet, | |
eine konsequente Überwachung sichergestellt und Flächen für den ruhenden | |
motorisierten Verkehr zur Förderung des Umweltverbundes sowie zur Erhöhung | |
der Verkehrssicherheit schrittweise reduziert werden.“ Das passt der CDU | |
eher nicht in den Kram. | |
Antje Kapek, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, | |
sagte der taz am Mittwoch, ihre Fraktion sei „entsetzt“ über die | |
Herausnahme der Gesetzeskapitel aus dem parlamentarischen Verfahren. Es sei | |
unter anderem ein „fatales Zeichen“ in Richtung Wirtschaft, die seit Langem | |
darauf warte. Auch ließen sich die Kapitel nicht einfach getrennt | |
behandeln, also etwa nur das zum Wirtschaftsverkehr verabschieden: „Dann | |
fehlt die Umsetzungsgrundlage.“ | |
Es bei der Neuordnung der Mobilität allen recht zu machen, sei schlicht | |
nicht möglich, meint Kapek und verweist auf die spezifischen Bedürfnisse | |
des Wirtschaftsverkehrs: „Da geht es ja nicht nur um den Transport einer | |
Siemens-Turbine, sondern um jegliche Form der Lieferung, bis hin zur | |
Paketzustellung.“ Ohne den Wegfall von Flächen für private Kfz ließen sich | |
diese Verkehre nicht effizient und stadtverträglich organisieren. Die | |
Grünen wollen am Donnerstag im Parlament fragen, warum das entsprechende | |
Änderungsgesetz nicht zumindest von den Abgeordneten im Ausschuss | |
modifiziert wird. | |
Was noch so bei Schreiner auf der To-do-Liste steht, ließ sie am | |
Mittwochmorgen bei einem Interview im RBB-Inforadio durchblicken. [3][Wie | |
schon im Koalitionsvertrag angedeutet], wird es wohl einen Abschied von den | |
baulichen Standards geben, die der Radverkehrsplan auf Grundlage des | |
Mobilitätsgesetzes für Fahrradinfrastruktur festlegt. Man müsse | |
„pragmatisch an die Themen herangehen und nicht mit einer Schablone“, so | |
die Senatorin. Wenn an einem konkreten Ort „kein Platz“ sei für eine 2,50 | |
Meter breite Radspur, sei eine „schmalere besser als keine“. Ob „kein | |
Platz“ bedeutet, dass beispielsweise noch genug Raum für eine Kfz-Spur, | |
nicht aber für zwei übrig wäre, ist die Frage. | |
## Ende der Polarisierung? | |
Schreiner wiederholte mehrfach den schon im Koalitionsvertrag offensiv | |
gebrauchten Begriff des „guten Miteinanders“. Die „Polarisierung“ der | |
vergangenen Jahre müsse aufhören. Das bedeute für sie auch, dass die Zahl | |
der Parkplätze in der Stadt nicht mehr generell abnehmen soll: „Der Bedarf | |
in den Kiezen ist da“, so Schreiner, „die Leute müssen ja irgendwo hin mit | |
ihren Autos.“ Die bislang in der Verkehrspolitik federführenden Grünen | |
hatten dagegen immer klar gemacht, dass sie von einer Reduzierung des | |
Parkplatzangebots auch eine positive Veränderung des „Modal Split“ hin zu | |
weniger Autoverkehr erwarteten. | |
Auf die Frage schließlich, ob sie denn wolle, dass mehr Menschen Fahrrad | |
führen, antwortete die Senatorin nicht mit „Ja“, sondern bezeichnete | |
Mobilität als „etwas sehr Individuelles“. Ihr stehe es nicht zu, die | |
Entscheidungen Einzelner zu beurteilen, der Gesetzgeber habe nur „die | |
Aufgabe der Bereitstellung der verkehrssicheren Infrastruktur, auch für die | |
Radfahrer“. Damit entfernt sie sich klar von der Stoßrichtung des | |
Mobilitätsgesetzes, in dem es heißt: „Die Maßnahmen zur Förderung des | |
Radverkehrs sollen bewirken, dass der Radverkehrsanteil im öffentlichen | |
Raum wahrnehmbar deutlich ansteigt.“ | |
Die Grüne Kapek sieht Schreiner trotzdem in der Pflicht: „Sie ist an das | |
Mobilitätsgesetz gebunden.“ Es sei wohl auch nur eine Frage der Zeit, bis | |
die Senatorin die Vorzüge des Radverkehrs öffentlich anerkenne, der nicht | |
nur klimafreundlicher, kostengünstiger und gesünder sei, sondern auch für | |
sicherere Straßen sorge: „Natürlich hat sie im Wahlkampf große Versprechen | |
in Richtung Autofahrer gemacht. Jetzt windet sie sich einzugestehen, dass | |
wir auf dem richtigen Weg sind.“ | |
Sie könne in jeden Fall nur „dringend davon abraten“, die bereits geltenden | |
Teile des Mobilitätsgesetzes wieder anzufassen, sagte Kapek. „Der Aufschrei | |
wäre immens, und die vermeintliche Klimakoalition hätte sich in kürzester | |
Zeit Lügen gestraft.“ Die Befürchtung, dass das geschehe, hänge allerdings | |
„wie ein Damoklesschwert über der Stadt.“ | |
10 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.inforadio.de/rubriken/interviews/2023/05/10/manja-schreiner-cdu… | |
[2] /Bedrohte-Verkehrswende-in-Berlin/!5925852 | |
[3] /Schwarz-Rot-und-das-Auto/!5925723 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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