# taz.de -- Im tschechischen Speisewagen: Journalisten lieben Knödel | |
> Ein Essen im tschechischen Speisewagen gehört schon fast zum | |
> Pflichttermin für die schreibende Zunft. Warum eigentlich? | |
Bild: Traditioneller Speisewagen mit den beliebten Tischdecken im Eurocity der … | |
Vergangenen Herbst habe ich etwas gewagt, das mir fast den Rauswurf aus der | |
Journalistenkammer eingebracht hätte. Ich bin mit dem Eurocity nach Prag | |
gefahren und habe nicht im tschechischen Speisewagen Knödel gegessen. | |
Dabei vergöttern Journalisten diesen Ort, alle waren sie schon hier: | |
[1][die FAZ] („… schon ist man in Tschechien. Das liegt an dem Wagen mit | |
den roten Ledersitzen und den großen weißgedeckten Tischen, dem | |
Speisewagen“), [2][die Zeit] („Mit dem Eintritt in den Speisewagen ist | |
jedes Mal ein Gefühl des Aufbruchs verbunden … lebt eine Ahnung vom alten | |
Orient-Express weiter“), [3][der Tagesspiegel] („Der Zauber des Reisens ist | |
heutzutage ja weitgehend auf der Strecke geblieben. … der tschechische | |
Speisewagen dagegen hat so was – Altmodisch-Zivilisiertes.“). | |
Und auch [4][die taz weiß]: „Der Speisewagen der tschechischen Eisenbahn | |
České dráhy ist Kult.“ Gefahren wird dabei übrigens immer die Strecke | |
Berlin–Prag, serviert werden die Knödel im Idealfall genau, wenn hinter | |
Dresden das romantische Elbtal beginnt. | |
Nun ist es natürlich okay, wenn alle das Gleiche gut finden, denn es kann | |
ja auch einfach gut sein. Aber dieser Speisewagen ist mehr. Er drückt alle | |
Journalisten-Knöpfe. Da wäre zum Ersten die Nostalgie: Der Wagen atmet den | |
Geist einer früheren Zeit, und zwar der guten alten. Damals, als die Welt | |
noch entschleunigt und analog war. Denn natürlich wird auch gelobt, dass | |
Handy und Laptops im Speisewagen unerwünscht sind, denn ein wenig | |
Zivilisationskritik hat noch nie geschadet. Von der mit der Nostalgie | |
verwandten Ostblockromantik ist auch immer was zu spüren. | |
Dann lieben wir Journalisten es, [5][über Soulfood zu schreiben], die | |
kleinen #gönndir-Oasen in der Enthaltsamkeitswüste von Degrowth und | |
Selbstoptimierung. Wie eben Knödel mit Braten. (Ähnlicher Dauerbrenner: die | |
kultigen Freibad-Pommes.) Und schließlich gibt es keinen Text über den | |
České-dráhy-Speisewagen, in dem als Kontrast nicht auch [6][die | |
Trostlosigkeit deutscher ICE-Bordrestaurants] erwähnt wird. Das Essen nur | |
aufgewärmt, der Service grausig, das Interieur zweckmäßig. Ein Nichtort. | |
Und wie wir alle wissen, gehen Tiere, Kinder und Kritik an der Deutschen | |
Bahn im Journalismus immer. | |
Je nun. Neulich war ich auf dem Weg von Dresden nach Berlin, es war | |
Abendbrotzeit und ich bin halt doch zu hypeneugierig. Ich habe mir also | |
gegönnt und bin in den Speisewagen. Und ja, die rote Einrichtung ist | |
heimelig. Und ja, es war reichlich und gar nicht teuer. Und ja, die | |
böhmischen Knödel sind lecker. Und ja, der dazugehörige | |
Svíčková-Rinderbraten auch, wenngleich ich die Sauce stets etwas zu süßlich | |
finde. Nur das gezapfte Pilsener, das war eher schal. Aber, ja: Das kann | |
man schon machen. | |
30 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/im-zug-von-berlin-nach-prag-fuehlt-m… | |
[2] https://www.zeit.de/2019/12/tschechischer-eurocity-speisewagen-luxus-bahnfa… | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/im-knodelexpress-gen-prag-4030681.… | |
[4] /Zugreisen-in-Osteuropa/!5874008 | |
[5] /Fuenf-Liebeserklaerungen-an-Soulfood/!5387209 | |
[6] /Speisewagen-und-Tristesse/!5501945 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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