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# taz.de -- Erbauliche Nachrichten aus Österreich: Der Bernie-Moment der SPÖ
> Ein ehemaliger Fabrikarbeiter will die Sozis aufmischen. Er zeigt, dass
> Sozialdemokratie proletarisch, linksliberal und öko zugleich sein kann.
Bild: Andreas Babler, Bürgermeister und Kandidat für den Vorsitz der SPÖ, am…
Aus Österreich kommen selten erbauliche Nachrichten. Die meisten handeln
von Nazis, manche auch von Verbrechen, [1][die in Kellern geschehen],
gelegentlich von beidem, weshalb hier der schöne Begriff „Kellernazis“
einen fixen Platz im Sprachgebrauch hat. Neuerdings sind wir auch für
Korruption berühmt, was liebevoll „Freunderlwirtschaft“ genannt wird.
Kurzum, als Österreicher ist man Kummer gewohnt. Aber gelegentlich tun sich
interessante Geschehnisse auf.
[2][Im Land Salzburg hat die Kommunistische Partei gerade 11 Prozent] bei
den Landtagswahlen erreicht, in der Stadt Salzburg sogar beinahe 22
Prozent. Im Wesentlichen ist das dem Fleiß und der Ausstrahlung ihres
Spitzenkandidaten zu verdanken, eines jungen Mannes namens Kay-Michael
Dankl. In Graz wiederum sind die Kommunisten sogar stärkste Partei und
stellen die Bürgermeisterin. Es gibt dafür wie immer lokale Gründe, aber
wenn man zwei Generalisierungen treffen will, dann diese: Akzentuierte
Linke gewinnen da, wo sie volksnah auftreten, famose Spitzenleute haben und
wo außerdem die Sozialdemokraten durch ein Tal der Tränen gehen, weil sie
besonders mies dastehen.
Auch bei den Sozialdemokraten tut sich Berichtenswertes: Da gibt es nämlich
jetzt einen Mitgliederentscheid um den Parteivorsitz und einen kleinen
österreichischen „Bernie-Sanders-Moment“. Denn bei der Urwahl, die auch
eine Richtungsentscheidung ist, treten nicht nur die amtierende, politisch
zentristische Amtsinhaberin Pamela Rendi-Wagner und ihr ewiger Kontrahent
vom rechten Parteiflügel an, sondern zudem – mit guten Chancen –
[3][Andreas Babler, ein erfolgreicher, 50-jähriger Bürgermeister einer
20.000-Einwohner-Stadt].
Babler ist ein Parteilinker, zugleich hat er als früherer Fabrikarbeiter
und geerdeter Typ das Image als „einer, der auf der Seite der einfachen
Leute steht“. Er ist der Kandidat der unzufriedenen Basis, und fragt man
ihn nach Referenzfiguren, fällt ihm am ehesten Alexandria Ocasio-Cortez
ein. Politisch ist das nicht falsch, auch wenn er eine viel rustikalere
Ausstrahlung hat, was wahrscheinlich ein Vorteil ist, wegen Volksnähe und
so. Ich hoffe, ich trete weder ihm noch ihr zu nahe, wenn ich dennoch auf
die Tatsache hinweise, dass er nicht ganz so gut aussehend ist wie die
linke Demokraten-Göttin aus Brooklyn.
## Grundsatzdebatte um die SPÖ-Spitze
Mag Österreich auch nicht bekannt dafür sein, ein Ort intellektuell
tiefschürfender Debatten zu sein, so ist der Dreikampf um die SPÖ-Spitze
dennoch zu einer Art Grundsatzdebatte geworden – und zwar um die
Ausrichtung zeitgenössischer Mitte-links-Parteien. Die Sozialdemokratie ist
in eine Krise geschlittert, und es sind eine Reihe von Interpretationen im
Umlauf. Etwa dass die Partei die Glaubwürdigkeit bei den ganz normalen
Leuten verloren hat, bei den arbeitenden Klassen, die sie nicht mehr als
ihre Vertretung ansehen.
Dass dieser Glaubwürdigkeitsverlust einer der Gründe sei, warum Verdruss
und Protest zu einem Anwachsen der extremen Rechten führen. Dass der
Verlust an Weltverbesserungsenergien und die Anpassung an einen rechten
Zeitgeist zu einem Aufschwung der Rechtsextremisten führen, weil man
dauernd diskursiv in deren Falle tappt. Eine Reihe von Erklärungen ist also
im Umlauf, die sich teils ergänzen, teils auch widersprechen.
Daraus ziehen manche Sozialdemokraten den Schluss, dass man wirtschafts-
und sozialpolitisch eher links, gesellschaftspolitisch eher rechts sein
müsse, da die verlorene Ex-Anhängerschaft der Sozialdemokraten genau das
wünsche, sei diese doch auch gegen Massenzuwanderung, Woke-Klimbim und das
böse Klimakleben. Für diese Linie wird gerne die dänische Sozialdemokratie
als Vorbild angeführt. In Österreich ist der Kandidat des rechten
Parteiflügels ein Verehrer des dänischen Modells. Er wirbt für sich mit der
Behauptung, nur er könne Wähler von den konservativen Rechtsparteien
zurückgewinnen. Er sei gewissermaßen rechts genug, um ein Angebot für
Rechte zu sein.
## Herzblut und Prinzipientreue
Andreas Babler verkörpert genau die gegenteilige Position, die Auffassung
nämlich, mit Herzblut, Prinzipientreue und Geerdetheit – und einfach einem
festen progressiven Wertefundament – könne man verlorene Glaubwürdigkeit
wiedergutmachen. Links und plebejisch, das ist in etwa seine Maxime.
In Traiskirchen, seiner Heimatstadt, hat er gezeigt, wie es geht – immerhin
hat er dort 73 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Zeit schrieb, Bablers
Kandidatur sei „eine Wette darauf, dass man progressiv und proletarisch
zugleich sein kann“. Der Typus Babler: ein ehemaliger Fabrikarbeiter, der
ganz locker über Migranten „das sind unsere Leute“ sagt und zugleich die
Klimakrise als die große Bedrohung der Gegenwart anspricht.
Im Grunde gibt es überall ähnliche Debatten, und sie hängen damit zusammen,
dass die großen Mitte-links-Parteien eine falsche Vorstellung von ihren
Wähler*innen und ihren früheren Anhängerschaften haben. Sie glauben,
dass sie durch weiße, männliche Arbeiter, die alle zirka gleich dachten und
tickten, in früheren Zeiten stark gemacht wurden, und dass sie diesen Typus
verloren haben. Das ist aber Unfug. Früher war die Arbeiterklasse
vielgesichtig, heute ist sie das ebenso. Nur anders.
Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung hat gezeigt, dass die arbeitenden
Klassen heute lebenskulturell viel progressiver sind, als viele
Klischee-Fantasten glauben, und dass Sozialdemokraten dann gut dastehen,
wenn sie wirtschafts- und sozialpolitisch wieder „traditionslinker“ und in
gesellschaftspolitischen Fragen modernistischer, (links)liberaler und
progressiver werden. Stringenz rules. Taktisches Rechtsblinken vertreibt
die Anhängerschaft nur. Wer progressive Werte im Glauben aufgibt, das
bringe einen kleinen, schmutzigen Vorteil, biegt schon auf die
Verliererstraße ein, auch wenn einige Spindoktoren das Gegenteil behaupten.
3 May 2023
## LINKS
[1] /Urteil-im-Inzest-Prozess/!5166002
[2] /KPOe-gewinnt-in-Salzburg/!5927404
[3] https://tvthek.orf.at/profile/Maifeier-der-SPOe-NOe-Rede-von-Andreas-Babler…
## AUTOREN
Robert Misik
## TAGS
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