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# taz.de -- Gewaltfreie Kommunikation: Oh, ein Joghurtbecher aus Plastik
> Es ist einfach, Leute individuell für Fehler zu verurteilen. Das sorgt
> zwar punktuell für Genugtuung, wirkt aber strukturell nicht nach.
Bild: „Ich bin kein besserer Mensch, weil ich Joghurt aus Gläsern statt aus …
Urteilen ist einfach. Stellung zu beziehen, ohne sich dabei über andere zu
stellen, ist schon schwieriger. Ich denke in letzter Zeit viel über
[1][gewaltfreie Kommunikation] in politischen Kämpfen nach. Und wie diese
gelingen könnte.
Ein Grund ist, dass ich den Eindruck habe, dass es oft einfacher ist,
individuelle Personen anzugreifen als machtvolle Institutionen. Ich meine
damit nicht, dass wir damit aufhören sollten, Mikroaggressionen und
Alltagsdiskriminierung zu thematisieren oder zu überlegen, wie wir uns als
Individuen anders verhalten könnten. Oft werden aber Ersatzkämpfe geführt,
die punktuell Genugtuung verschaffen, strukturell aber nicht nachwirken.
Andere verbal abzustrafen, um auch endlich mal zu gewinnen, ist unheimlich
verführerisch. Wir brauchen aber mehr Kritik an Verhältnissen und weniger
automatisierte Gewissheiten. Es ist einfach, Leute zu verurteilen, weil sie
im 1-Euro-Shop einkaufen oder kein Biogemüse kaufen. Ich bin aber kein
besserer Mensch als andere, nur weil ich Joghurt aus Gläsern statt aus
Plastikbecherchen esse. Im Lästern über „Billigprodukte aus [2][China]“
klingt immer auch eine Prise Klassismus mit, schön nachgesalzen mit
Rassismus.
Wir sind alle zu jeder Zeit in Machtgefüge verstrickt. Allein die
Klamotten, die ich mir leisten kann, kann ich mir nur deshalb kaufen, weil
die Person, die sie genäht hat, unterbezahlt wird. Und weil der Fluss, in
den das Abwasser der Farbstoffe geleitet wird, ein Stück weiter verschmutzt
und das Ökosystem seiner Anwohner:innen – der menschlichen und der
nichtmenschlichen – ein Stück weiter zerstört wird.
## Wir alle sind zu Gewalt fähig
Sich als Umweltbewegung den Spruch „wenn der letzte Baum gerodet …“ als
indigene „Weissagung der Cree“ anzueignen (die Kulturerzählung zum Zitat
wäre im Übrigen noch mal nachzurecherchieren) ist einfach, sich tatsächlich
solidarisch mit den Kämpfen der Water Protectors gegen die Ölpipeline Line
3 in Minnesota zu zeigen und das eigene Auto aufzugeben, dann oft zu
unbequem.
Nur weil ich gelernt habe, Dynamiken der Ungleichheit oder des Otherings zu
erkennen, heißt es nicht, dass ich von diesen frei bin. Wir alle sind zu
Gewalt fähig, das ist das Erschreckende, das wir oft abzuwehren versuchen.
Ich habe als Kind im Kunstunterricht auch „edle Wilde“ auf Stoffbeutel
gezeichnet und keinen hat es interessiert. Wahrscheinlich hab ich sogar
eine Eins dafür gekriegt, dass ich der Fantasiegestalt einen haptischen
Knochen durch die Nase gezogen habe.
Dass ich irgendwann kapiert habe, dass solche Motive eine Form der
kulturellen Vermittlung von Rassismus sind, weil diese Bilderwelten die
Idee weißer Vorherrschaft eingespeichert haben, heißt nicht, dass ich
schlauer bin als andere. Es heißt nur, dass ich die tiefe Verwurzelung der
kolonialen Logik ein Stück weiter entlang ihrer vielen Verästelungen
nachverfolgt habe.
27 Apr 2023
## LINKS
[1] /Diskriminierung-im-Netz/!5804507
[2] /Automesse-in-Shanghai/!5929192
## AUTOREN
Noemi Molitor
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Kulturelle Aneignung
Kolumne Subtext
Klassismus
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