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# taz.de -- Kinotipp der Woche: Das eigentlich Unerhörte
> Jesus als Ur-Sozialist. Sowas gelang nur Pier Paolo Pasolini. Das
> filmkunst66 zeigt drei seiner Filme von „Das 1. Evangelium – Matthäus“
> bis „Medea“.
Bild: Jesus, dicht gefolgt von Medea. Als zweiter von drei Pasolini-Filmen läu…
„Das 1. Evangelium – Matthäus“ ist ein Jesus-Film von Pier Paolo Pasolin…
der trotzdem sogar dem Vatikan gefällt. Der schwule, schon beim Start des
Films in den Kinos in den mittleren Sechzigern in Italien als amoralisch
und eine Art Staatsfeind verschriene Regisseur, der dazu noch atheistisch,
Kommunist und überhaupt aus kirchlicher Sicht einfach nur verdammenswert
war, schuf damit den neben „Das Leben des Brian“ großartigsten Bibelfilm
überhaupt. Und einen der wenigen dieses Genres, bei dem man nicht sofort
tief in den Schlaf fällt. Keinen mit feschen Römern in Sandalen und Jesus
als übergroßer Figur, obwohl er das letztlich als klarer Star des Films
natürlich dann doch ist.
Pasolinis Jesus ist aber vor allem Mensch und weniger der Sohn Gottes und
das ist ja das eigentlich Unerhörte. Er ist Wanderprediger, von denen zu
seiner Zeit so einige unterwegs waren. Und selbst wenn er seine Wunder
vollbringt, denkt man sich, dass man das unter Umständen auch selbst so
hinkriegen könnte. Und die ganzen guten Dinge, die er so tut und von denen
Pasolini streng nach den Überlieferungen aus dem Matthäus-Evangelium
berichtet, lassen ihn weniger als den Gesalbten in göttlicher Mission
wirken, sondern wie einen Ur-Sozialisten. Die Welt ist schlecht, es gibt
keinen vernünftigen Grund, dass die Pharisäer alles haben und die Armen
nichts. Das gehört geändert und Jesus macht sich einfach an die Arbeit, um
die ungerechten Zustände, die natürlich zu seiner Zeit besonders krass
herrschten, zu verbessern.
Das [1][Filmkunst 66] zeigte Pasolinis Klassiker nun mal wieder, im Rahmen
einer guten alte Matinee um 12 Uhr, also zur besten Brunch-Zeit, wozu man
ruhig auch ein paar übriggebliebene Ostereier mitbringen durfte. Und das am
1. Mai, am Tag der Arbeit, was zu dem klassenkämpferischen Film bestens
passt. Den Mai über laufen dann „Medea“ aus dem Jahr 1969, sowie pünktlich
zum Pfingsmontag – ebenfalls mit Kapitalismuskritik und Wüstengang –
„Teorema“ von 1968 in der italienischen Originalfassung mit englischen
Untertiteln.
## Neorealismus und Gottesmutter
„Das 1. Evangelium – Matthäus“ kam erstmals 1964 in die Kinos. Längst i…
er ein Meilenstein des typisch italienischen neorealistischen Films, der zu
dieser Zeit in seiner absoluten Hochform war. Pasolini arbeitete wie üblich
bevorzugt mit Laiendarstellern. Der Philosoph Giorgio Agamben etwa spielt –
fun fact der Sonderklasse – einen der Apostel, Pasolinis eigene Mama die
Gottesmutter.
Das Wirken und Leiden Jesu soll damit so naturalistisch wie nur irgendwie
möglich gezeigt werden, nichts Gekünsteltes soll diese Intention
durchkreuzen. Mel Gibson hat später mit seinem umstrittenen „Die Passion
Christi“ die Ideen von Pasolini aufgegriffen und diese sogar in ihrer
Radikalität übertroffen, dafür aber eine gehörige Portion Antisemitismus in
seine Jesus-Geschichte mit eingebaut.
Dafür setzt Pasolini mit dem Einsatz seiner Musik um so stärker auf
Effekte. Da erklingt das Traurigste vom Traurigen von Mozart und
passenderweise Bach mit seiner „Matthäus-Passion“.
Ostern ist zwar bereits rum, aber da Pasolini mit Religion eh nichts am Hut
hatte und allenfalls vom Katholizismus fasziniert war, zeigt das Filmkunst
66 „Das 1. Evangelium – Matthäus“, sicherlich nicht zu spät im Jahr. Al…
schon, weil es sich immer lohnt, dieses Meisterwerk zu sehen, in das es
zudem noch vorab eine kleine filmhistorische Einführung geben wird.
3 May 2023
## LINKS
[1] https://www.filmkunst66.de/
## AUTOREN
Andreas Hartmann
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