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# taz.de -- Rechtsruck in Finnland: Sanna Marin abgewählt
> Die Konservativen entscheiden die Wahl für sich. Trotz Zugewinnen der
> Sozialdemokraten bahnt sich in Helsinki ein Regierungswechsel an.
Bild: Riikka Purra (l.) von der Partei Wahre Finnen, Premier Sanna Marin (SDP) …
Stockholm taz | Die Parlamentswahl vom Sonntag galt vielen Analysen als die
spannendste, die es in Finnland bislang gegeben hat. Die drei stärksten
Parteien lagen am Ende nur 0,9 Prozentpunkte voneinander entfernt. Die
konservative Sammlungspartei unter Petteri Orpo gewann mit 20,8 Prozent und
einem Zuwachs von 3,8 Prozentpunkten die Wahl und kam auf 48 der 200
Reichstagsmandate.
Die Rechtsaußenpartei der Wahren Finnen erzielte mit 20,1 Prozent und 46
Mandaten das beste Ergebnis ihrer Geschichte. Die Sozialdemokraten von
[1][Regierungschefin Sanna Marin] kamen mit 19,9 Prozent und 43
Reichstagssitzen nur auf Rang drei. Marin verblieb damit weniger als eine
Legislaturperiode im Amt.
Während von den bisherigen Regierungsparteien die Sozialdemokraten immerhin
einen Zuwachs von 2,2 Prozentpunkten verbuchen konnten, verloren die
übrigen vier Koalitionsparteien Stimmen. Die Grünen, vor vier Jahren noch
zweistellig, erlebten mit einem Minus von 4,5 Punkten und gerade noch 7
Prozent eine Katastropenwahl. Sie verloren relativ gesehen die meisten
Mandate.
Das liberale Zentrum erzielte mit 11,3 Prozent das schlechteste Ergebnis
seiner mehr als 100-jährigen Geschichte und auch die Linkspartei sackte von
8,2 auf 7,1 Prozent ab. Die liberale Schwedische Volkspartei schrumpfte von
4,5 auf 4,3 Prozent.
## Orpo spricht von „großem Sieg“
Zielfoto-Entscheidungen zwischen den zwei oder drei größten Parteien haben
Tradition in Finnland. Sie gab es auch in vier der letzten fünf Wahlen seit
der Jahrhundertwende. Vor vier Jahren lagen erst- und drittplatzierte
Partei sogar nur 0,7 Prozentpunkte auseinander. Ebenso wie bei der jetzigen
Wahl trennten auch damals Sozialdemokraten und Wahre Finnen gerade einmal
0,2 Prozentpunkte.
Mit dem Unterschied, dass es 2019 die Sozialdemokraten waren, die die Nase
vorn hatten, damals die meisten Stimmen erzielten und deshalb nach einer
ungeschriebenen politischen Tradition den Vortritt bekamen, sich als erste
Partei an einer Regierungsbildung versuchen zu können.
Jetzt fällt dieses Privileg der konservativen Sammlungspartei unter Orpo
zu. Der sprach noch in der Wahlnacht von einem „großen Sieg“ und kündigte
schon wie im Wahlkampf an, Finnland nunmehr auf den „rechten Weg“
zurückführen zu wollen. Für eine parlamentarische Mehrheit braucht er
zumindest eine weitere der drei stärksten Parteien und eine der kleineren.
Minderheitsregierungen sind in Finnland unüblich, die letzte gab es 1977.
## Wird Rechtsaußen mitregieren?
Eine mögliche Konstellation könnte eine blau-schwarze Koalition sein, eine
Regierung aus Sammlungspartei und Wahren Finnen mit der Zentrumspartei als
drittem Partner. Was diese Parteien mit dem ehemaligen Finanzminister Orpo
als Regierungschef vor allem einen würde: Sie haben schon angekündigt, die
zwar nicht für europäische, aber für nordische Verhältnisse galoppierende
Staatsverschuldung Finnlands bremsen zu wollen.
In der Ausländer- und Flüchtlingspolitik gibt es zwar Differenzen, aber
zumindest im Wahlkampf klang Orpo teilweise wie ein Echo der
migrationsfeindlichen Parolen der Wahren Finnen. Unterschiedliche
Vorstellungen gibt es allerdings bei der Frage, inwieweit Finnland
Arbeitsmigration braucht.
Der eigentliche Knackpunkt könnte die EU-Politik sein. Laut Parteiprogramm
wollen die Wahren Finnen, dass Finnland die EU verlässt. Doch mit der
Einschränkung, dass dies nicht unbedingt ein „aktuelles Ziel“ sei, hat die
Parteivorsitzende der Wahre Finnen, Riikka Purra, bereits die Tür für einen
möglichen Kompromiss geöffnet.
## Sanna Marin als Außenministerin?
Was Sammlungspartei und Zentrum von einer Koalition mit den Wahren Finnen
abschrecken könnte: Die drei Parteien hatten unter Führung des
Zentrumsvorsitzenden Juha Sipilä zwischen 2015 und 2019 schon einmal
zusammen regiert und [2][diese Zusammenarbeit hatte sich angesichts einer
Spaltung der Partei und der Parlamentsfraktion der Wahren Finnen
ausgesprochen chaotisch entwickelt]. Weshalb als denkbare Alternative auch
eine blau-rote Regierung aus Sammlungspartei und Sozialdemokraten unter
Einschluss einer der kleineren Parteien wie der Grünen und der Schwedischen
Volkspartei vorstellbar wäre.
Auch hier gibt es zwar sowohl Gemeinsamkeiten als auch deutliche
Differenzen zwischen den Parteien, aber in Finnland ist man pragmatisch.
Die Einigung auf ein Regierungsprogramm scheint trotz scharfer Trennlinien
zu Themen wie der künftigen Steuerpolitik und der Frage der
Staatsverschuldung nicht unmöglich zu sein.
Grundlegende Voraussetzung für eine Zusammenarbeit sei, dass die
Sozialdemokraten ihre wirtschafts- und steuerpolitischen Vorstellungen
ändern, hatte Orpo bereits im Wahlkampf gefordert. In der Wahlnacht
kündigte er an, mit den anderen Parteien zunächst Sondierungen über
wirtschaftliche Themen einleiten zu wollen. Was dafür sprechen könnte, dass
Blau-Rot für ihn erst einmal nur zweite Wahl ist.
Entscheidend könnte aber auch sein, ob die Sozialdemokraten eine Rolle als
Juniorpartner anstreben, statt auf die Oppositionsbänke zu wechseln. Erste
Kommentare von Sanna Marin gaben dafür keine Hinweise. Nach Vorliegen des
Wahlergebnisses gab sie sich wortkarg. Sie sprach von einem „guten
Resultat“, auch wenn die Partei ihr eigentliches Wahlziel verfehlt habe.
Medien spekulieren bereits über eine Außenministerin Marin in einer
möglichen blau-roten Koalition. Es gibt auch Vermutungen, dass die
37-Jährige im kommenden Jahr bei der Staatspräsidentenwahl für die
Nachfolge von Sauli Niinistö kandidieren könnte.
3 Apr 2023
## LINKS
[1] /Parlamentswahlen-in-Finnland/!5921476
[2] /Koalitionskrise-in-Finnland/!5416599
## AUTOREN
Reinhard Wolff
## TAGS
Finnland
Parlamentswahl
Sozialdemokratie
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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Kolumne Die Wahrheit
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