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# taz.de -- Ausstellung zu Hugo van der Goes: Doch es ist ein frotzelnder Troll
> Hugo van der Goes verband Irdisches mit Himmlischem. In Berlin ist zu
> sehen, wie die Kunstgeschichte ihr Bild von dem niederländischen Maler
> schuf.
Bild: Auch der Prophet am Vorhang scheint etwas verdattert: Hugo van der Goes, …
Im Februar 1910 machte sich der Berliner Museumsmann Max Friedländer auf
ins spanische Galicien, zum Kloster des Colegio de Nostra Señora de la
Antigua in Monforte de Lemos. Über dessen besonderes Altargemälde
kursierten Gerüchte. Und denen musste er schnell nachgehen zu dieser Zeit,
in der europaweit Kunstkenner die über Jahrhunderte hinweg verkannten
Meisterwerke mittelalterlicher Malerei aufzuspüren versuchten und
Museumsdirektoren ihre neu gegründeten Museen mit historischen Gemälden zu
füllen anstrebten.
Die ungewöhnlich gedrungene Darstellung von der Anbetung der drei Könige,
die Friedländer in der Klosterkirche vorfand, musste der Komposition nach
eine altniederländische Malerei aus dem späten 15. Jahrhundert sein, wohl
eine Nachfolge des [1][Meisters Rogier van der Weyden.]
Doch wie sich die drei Könige aus der biblischen Erzählung von der Geburt
Christi auf dem Monteforte-Altar monumental erheben, als stünden sie direkt
vor einem, und wie die sonst ins Heilige stilisierte Maria mit ihrer
knöchernen Stirn so herbe daherkommt, das deutete auf einen sehr
freigeistigen Künstler hin.
Und die naturalistischen Details. Die tief hängenden Ohrläppchen des alten
der drei Könige, der unter den lilafarbenen Glockenblüten sich biegende
dünne Stängel eines Krauts in der Steinritze. Friedländer war sich sicher,
es müsse sich bei dem Monteforte-Altar um ein Werk des Hugo van der Goes
handeln. An Wilhelm Bode, dem damaligen Generaldirektor der Berliner
Museen, telegrafierte er am 16. Februar 1910: „Bild herrlich / höchst
erwünscht“.
Jetzt steht die gut 2,40 Meter breite und 1,50 Meter hohe Altartafel aus
Monteforte in der Berliner Gemäldegalerie, gleich zu Beginn der
beeindruckenden Schau „Hugo van der Goes. Zwischen Schmerz und Seligkeit“.
Viel weiß man nicht über den Künstler, dem in Berlin nun die erste
monografische Ausstellung überhaupt gewidmet ist.
## Fast wie Detektivarbeit
Ab 1467 als Freimeister in Gent gemeldet, brach er Mitte der 1470er Jahre
die erfolgreiche Künstlerkarriere ab und trat in ein Kloster bei Brüssel
ein. Der monumentale sechs Meter breite Portinari-Altar, 1483 in die Kirche
Sant’Egidio in Florenz gelangt, ist das einzig belegte Zeugnis des Hugo van
der Goes. Nur 13 Tafelmalereien und zwei Zeichnungen werden ihm heute
zugeschrieben.
Fast alle Werke des Hugo van der Goes sind jetzt in Berlin zu sehen,
gemeinsam mit ausgewählten Arbeiten seiner Vorgänger und Nachfolger. Und so
begibt man sich in dieser Ausstellung auch ein wenig in die Detektivarbeit,
die Kunsthistoriker wie Max Friedländer ihrerzeit betrieben. Man vergleicht
Mariengesichter, Faltenwürfe, scheinbar Nebensächliches, um selber zu
verstehen, wie die Figur Hugo van der Goes in der Kunstgeschichte um 1900
zu solch einem Hype werden konnte.
Nur einige Zentimeter groß ist das Teufelchen auf der Grisaille-Malerei des
Wiener Diptychons. Es soll eine gotische Steinskulptur darstellen, doch es
ist ein frotzelnder Troll. Die Schlange in der Paradiesdarstellung des
gleichen Diptychons, sie ist eine reptilienartige Chimäre mit
Krokodilsfüßen, aus deren schuppigen Korpus sich ein menschliches Gesicht
herausschält. Solch surreale Bilderfindungen tauchen in den kanonischen
Bibelmotiven der Alten Meister sonst kaum auf.
Und in seiner Darstellung von Halbfiguren entwickelte er eine eigene
narrative Bildtechnik. Ganz nah rückt man etwa bei einem Tüchlein von der
Kreuzabnahme an den ergrauten Oberkörper des Jesus heran, das verzerrte
Gesicht des Toten direkt vor Augen, der Rest des Bibelmotivs bleibt
Vorstellung.
War Hugo van der Goes ein wahnwitziges Genie? Die Kunstgeschichte des
späten 19. Jahrhunderts hat ihn gerne zu einem solchen gemacht. 1863
veröffentlichte der belgische Historiker Alphonse Wouters den Bericht eines
Bruders aus dem Kloster bei Brüssel, in dem der Meister seine letzten Jahre
verbrachte. Er schildert einen geistigen Zusammenbruch des Künstlers.
Vermutlich ist er 1482 an seinem psychischen Leiden gestorben.
## Der Schöpfer als Künstler
Als Wouters’ Neffe 1875 ein Bildnis vom Wahn des Hugo van der Goes beim
Pariser Salon ausstellt, wird er mit einer Medaille ausgezeichnet. Der
Schöpfer als melancholische Künstlerpersönlichkeit – es passte sehr ins
Kunstverständnis eines sich ankündigenden Fin de Siècle. Mit dem
großformatigen Gemälde von Émile Wouters schließt auch die Berliner
Ausstellung ab.
So bringt uns die Schau nicht nur einen altniederländischen Meister nahe,
der in der abgeschlossenen christlichen Bildwelt des späten 15.
Jahrhunderts große künstlerische Freiheiten entwickelte. Sie berichtet auch
davon, wie Kunstgeschichte gemacht wurde.
Und sie erzählt von den schon ans Krimigenre reichenden Begebenheiten, wie
der Alte Meister überhaupt in dieses Museum gelangte. Als das
Jesuitenkloster Monteforte nämlich kurz nach Friedländers Besuch 1910 das
Altargemälde versteigerte, mussten sich die Berliner Museen gegen
internationale Konkurrenz durchsetzen. Umgerechnet rund eine Million
Goldmark zahlten sie für die Holztafel, das ist viel. Doch der spanische
Staat wollte das Kunstwerk behalten. Erst 1913, nach einem bis in den
Staatsrat reichenden Rechtsstreit, kam der Monteforte-Altar nach Berlin.
## Transnationales Kulturgut
Aber wie war die Tafel überhaupt vor Jahrhunderten in den Besitz des
spanischen Klosters gelangt? Vielleicht als Raubgut während des
[2][Spanisch-Niederländischen Kriegs?] Zu wenig weiß man manchmal über die
Provenienzen solch alter Kunstwerke, um ihre Rechtmäßigkeit vollends zu
verfolgen.
Die Berliner Schau aber bietet eine Alternative zum Gedanken eines
nationalen Kulturbesitzes. Hier sind Werke aus Lissabon, Wien, Stockholm
oder Baltimore versammelt. Kunst kann auch ein transnationales Kulturgut
sein.
9 Apr 2023
## LINKS
[1] /Ausstellung-Berliner-Gemaeldegalerie/!5165820
[2] /Kunstausstellung-zum-Goldenen-Zeitalter/!5461143
## AUTOREN
Sophie Jung
## TAGS
Malerei
Ausstellung
Bibel
Renaissance
Gemäldegalerie
Fotografie
Barock
Architektur
Serie „Alte Meister“
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