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# taz.de -- Partystimmung wegen Jesus: Auf Höllenfahrt im Spackenexpress
> Das Karfreitags-Tanzverbot bis faktisch 21 Uhr führt zu Horden von
> Menschen, die mit dir in die nächste freie Hansestadt fahren. Schön ist
> das nicht.
Bild: Muss am Karfreitag leider geschlossen bleiben: die Osterwiese in Bremen
Ich weiß nicht, ob Junge Liberale gegen das Tanzverbot an Karfreitag
mobilisieren. Es ist auch nicht so wichtig. Sonst hätte ich’s im Internet
nachgeschlagen oder notfalls noch einen ihrer Pressekasper angerufen, um zu
fragen, ob und warum gerade hier nicht oder eben doch. Die Grünen frage ich
auch nicht. Die sind bestimmt dagegen, von wegen „Dance Dance“ und weil’s
ja auch strategisch gesehen völlig bescheuert wäre, sich die Chance
entgehen zu lassen, mal nicht als Verbotspartei dazustehen. Gerade wo es
hier ja auch wirklich überhaupt niemandem mehr weh tut, die Zügel locker zu
lassen. Die Linke war schon immer dagegen, das ist ja klar.
Es ist überhaupt müßig, sich über den Stand des Liberalismus in Deutschland
den Kopf zu zerbrechen. Der kommt halt hoch, wenn es gerade passt, und
verschwindet auch wieder, sobald es ernst wird.
Dass ich trotzdem ins Grübeln kam, lag nun daran, dass ich mir entgegen
meiner Gewohnheit tatsächlich vorgenommen hatte, am Karfreitag ins Konzert
zu gehen. Nicht aus Protest und [1][schon gar nicht zum Tanzen], sondern
aus akademisch-nostalgischem Interesse. Und weil ich halt auf der
Gästeliste stand.
Goethes Erben sollten nach Bremen kommen, vielleicht kennen Sie die noch.
Um den Auftritt an Karfreitag rankt sich ein Gerücht: dass nämlich der
Veranstalter es geschafft habe, der Kulturbehörde zu erklären, dass noch
niemals jemand zu dieser Musik getanzt habe und dass überhaupt der
verquarzte Schwermut dieser Schmerzmusik dem stillen Feiertag durch und
durch angemessen sei. Als wäre sie dafür geschrieben worden.
Das ist eine schöne Geschichte, die nur leider nicht stimmt. Tatsächlich
lässt es Bremen einfach wie Berlin um 21 Uhr gut sein mit dem Tanzverbot.
Und darum können Oswald Henke und Goethes andere Erben dann eben auch ohne
Sondergenehmigung aufspielen: „Verstümmelung“ würde sicher auf der Setlist
stehen, der „Traum vom Leben“ vielleicht und „Darwins Jünger“.
## Prähistorisches Recht der Kirche
Der Kompromiss ist faul und ärgerlich, weil er der längst auch im eigenen
Laden völlig marginalisierten Kirche ein prähistorisches Recht einräumt,
das ihr schlichtweg nicht zusteht: nämlich Juden, Muslimen, Hindus,
Atheisten und Teilzeitmystikern wie mir vorzuschreiben, was wir wegen Jesus
zu tun und was zu lassen haben. Umgekehrt wäre ich aber auch als
autoritärer Christ beleidigt, wenn zwar das Ordnungsamt nach meiner Pfeife
tanzte (haha), dann aber um neun wieder damit aufhört. Also kurz bevor der
erste Jungmensch auch nur anfängt, sich für seine sündigen Sauf- und
Fickfeste die Haare schön zu machen.
Für uns Landbewohner:innen entsteht dadurch übrigens noch ein ganz
anderes Problem. Normalerweise tanzt man hier nämlich eh nicht wild drauf
los, nur weil Wochenende ist. Dafür gibt es Schützenfest, Maifeier,
Karneval oder Feuerwehrbälle – und diesen verordneten Frohsinn nun
ausgerechnet auf den Karfreitag zu legen, käme den zuständigen Dorfältesten
ja nicht in den Sinn. So weit so gut.
Weil Bremen das Verbot nun aber qua Lockerung eventisiert, machen sich
Horden von Feierwütigen aus dem niedersächsischen Gottesstaat in die freie
Hansestadt auf, um mir die betrübt-besinnliche Anreise zum Erbenkonzert
(„Das Sterben ist ästhetisch bunt“, „Ein Licht erlischt“ oder „Ich l…
Schmerzen“) zu versalzen. Es ist wie mit verkaufsoffenen Sonntagen in der
Kreisstadt: Man nimmt der Kirche ein Stück Macht und wird zur Strafe von
Idiot:innen zertrampelt. Aber wie heißt es doch so schön in der Bibel
und/oder „Pulp Fiction“: „Der Pfad der Gerechten ist zu beiden Seiten
gesäumt mit Freveleien der Selbstsüchtigen.“
7 Apr 2023
## LINKS
[1] /Tanzverbot-am-Karfreitag/!5492695
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
## TAGS
wochentaz
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Karfreitag
Tanzverbot
Kolumne Speckgürtelpunks
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Tanzverbot
Karfreitag
Ostern
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