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# taz.de -- Neuer TV-Krimi aus Brandenburg: Hauptsache, Haltung
> Im Film „Wolfswinkel“, zu sehen am Mittwoch im Ersten, muss sich eine
> Dorfpolizistin entscheiden – für oder gegen das richtige Gedenken.
Bild: Noch sind Melanie (Annett Sawallisch, l.) und Lydia (Claudia Eisinger) fr…
Es fehle dort die „Zivilgesellschaft“, heißt es immer, wenn in Sachsen,
Thüringen oder Brandenburg, also irgendwo im Osten, wieder etwas passiert
ist. Wenn wieder so ein ganzes Dorf voller Ossis die Demokratie nicht
verstanden und vor einer Flüchtlingsunterkunft randaliert hat, zum
Beispiel.
Das ist natürlich ein [1][schlimmes Klischee]. So einfach darf man es sich
nicht machen. Man muss schon genau hinschauen. Das offensichtlich hat sich
der Spielfilm vorgenommen, der so heißt wie das fiktive Dorf „Wolfswinkel“
im [2][Brandenburgischen], in dem sich die Handlung zuträgt: „Ja, kick doch
mal! Da hat jemand die Straße jeklaut!“ Hat er nicht. Elvis (Jörg
Schüttauf), Bauunternehmer und Bürgermeister in Personalunion, hat ganz
ordnungsgemäß einen Gemeinderatsbeschluss organisiert, bevor er die
Pflastersteine ausgegraben und verscherbelt hat.
Und daran, dass sie einst von Zwangsarbeitern verlegt und ergo keine bloße
Straße, sondern darüber hinaus steinernes Mahnmal sind, stört sich allein
die gestrenge Grundschullehrerin Anja (Alina Levshin). Sie, Melanie
(Annett Sawallisch) und Lydia (Claudia Eisinger) waren in ihrer Schulzeit
beste Freundinnen. Und dann ist passiert, was eben passiert: das Leben.
Geplatzte Träume.
Melanie wollte als Sängerin groß rauskommen – [3][jetzt ist sie die
Dorfpolizistin], gerade schwanger von einem gelegentlich vorbeischippernden
Flussschiffer mit Familie in Polen. Anja wollte einmal Bildungsministerin
werden und den Religionsunterricht abschaffen – jetzt macht sie mit dem
Pastor rum, wie Lydia das nennt, die ihrem Traum von der Schauspielkarriere
wohl am nächsten gekommen ist: als Darstellerin des „Biestes“ in einer
Daily Soap.
## Ick hab meine Meinung
Aber damit ist nun Schluss, sie kehrt in ihr altes Dorf zurück, um sich
dort als heimattümelnde Bloggerin ein neues Publikum zu suchen: „Unser
altes Kriegerdenkmal, das haben die Russen weggeräumt. Aber müssen wir uns
deshalb auf ewig für unsere tapferen Soldaten schämen?“ Auch sie setzt auf
steinernes Gedenken, ein großer Findling wird auf dem Dorfplatz abgeladen –
und so stehen sich die einstigen Freundinnen Anja und Lydia bald in einem
unversöhnlichen Kampf um Mahn- und Denkmal gegenüber. Und Melanie?
„Ick hab schon meine Meinung.“
„Und die wäre?“
„Irgendwie habta beede recht.“
Melanie will sich nicht entscheiden, will, wie die schweigende Mehrheit,
dass Ruhe ist: „Wenn ihr euch beede weiter so beharkt, dann bringt det noch
det janze Dorf durcheinander. Und det brauchen wa nu wirklich nich!“
Die „Wolfswinkel“-Regisseurin Ruth Olshan hat in ihrer Vita viele
engagierte Kurz- und Dokumentarfilme vorzuweisen, etwa auch für die
Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin. Am Drehbuch haben außer
ihr Alfred Roesler-Kleint und Scarlett Kleint mitgeschrieben, deren
Portfolio Liedtexte ebenso umfasst wie Krimis und Zeitgeschichtliches – wie
den schlimmen, ärgerlichen, die Stasi verharmlosende Film „12 heißt: Ich
liebe dich.“
## Bräsige Betulichkeit
Von allem findet sich etwas in „Wolfswinkel“: Die bräsige Betulichkeit auf
der Dorfpolizeiwache kennt man aus zahllosen Regionalkrimiversionen à la
„Mord mit Aussicht“. Es gibt ein eingebautes Musikvideo mit viel Personal,
ein bisschen nach dem Muster des Clips zu U2s „Sweetest Thing“.
Zwangsarbeiter und Krieger sind natürlich schwer zeitgeschichtliche Motive.
Vor allem aber trägt „Wolfswinkel“ seine Engagiertheit wie eine Monstranz
vor sich her, auf dass auch die lustigen Regionalkrimi-Fährten zur
Auflockerung nichts beizutragen vermögen. Falls sie das denn sollen. Es ist
nämlich schon nicht nachzuvollziehen, wie in diesem Film überhaupt hätte
zusammengehen sollen, was nicht zusammengeht.
Es erhellt sich nicht, ob die Eskalation des Konflikts zwischen der
Lehrerin und der Bloggerin einfach nur unglaubwürdig und damit schlecht
geschrieben ist – oder ob die beiden vielleicht bewusst als solche
Knallchargen in einem um Volkstümlichkeit bemühten Lehrstück angelegt sind.
Und wenn es ein Lehrstück ist, dann soll wohl am Beispiel der zunächst
indifferenten, beschwichtigenden Melanie vorgeführt, durchexerziert werden,
dass es Situationen gibt, in denen man sich entscheiden, in denen man
Haltung zeigen muss. In „Wolfswinkel“ sind es am Ende drei Figuren, die
diese Haltung zeigen. Dreimal mehr als am Anfang. Aber selbst im
klitzekleinsten Kaff in Brandenburg nicht genug für eine
„Zivilgesellschaft“.
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dieser engagierte Film etwas
will. Nur was?
29 Mar 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Gedenken
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