# taz.de -- Entscheid von Bundesverfassungsgericht: Verbot von Kinderehen bleibt | |
> Das Bundesverfassungsgericht fordert Nachbesserungen bei der Regelung. | |
> Der Kern bleibt aber bestehen: Ehen von Minderjährigen sind nichtig. | |
Bild: Die Organisation Terre des Femmes bei einem Protest gegen die Kinderehe 2… | |
FREIBURG taz | Die automatische Nichtigkeit von im Ausland geschlossenen | |
Kinderehen bleibt bestehen. Das Bundesverfassungsgericht erklärte [1][das | |
2017 beschlossene Gesetz] zwar für unverhältnismäßig und forderte den | |
Gesetzgeber zu Nachbesserungen auf, es billigte aber die generelle | |
Unwirksamkeit von Kinderehen als Kern des Gesetzes. | |
In der Flüchtlingsbewegung ab 2015 waren mehr als Tausend Ehepaare in | |
Deutschland angekommen, bei denen ein Partner noch minderjährig war, in der | |
Regel die Frau. Teilweise waren die Mädchen sogar noch unter 16 Jahren. | |
Manche Eltern verheirateten ihre Töchter gezielt vor der Flucht, in der | |
Hoffnung, sie so vor Übergriffen zu schützen. | |
Diese Zunahme von Kinderehen in Deutschland führte zu Empörung. „Kinder | |
gehören in die Schule, nicht in die Ehe“, proklamierte damals die CDU/CSU. | |
Die Große Koalition verschärfte daher 2017 die Rechtslage und erklärte im | |
Ausland geschlossene Ehen generell für unwirksam, wenn bei Eheschluss ein:e | |
Partner:in jünger als 16 Jahre war. | |
Das Gesetz stieß damals bei der Mehrzahl der Fachleute [2][auf Kritik]. Die | |
Situation der Mädchen werde so oft gegen ihren Willen eher verschlechtert, | |
wenn ihnen der ältere Partner rechtlich aberkannt wird; die bis dahin | |
geltende Einzelfallprüfung genüge. Nur die NGO Terre des Femmes stritt | |
vehement für die automatische Nichtigkeit der Ehen. Den Mädchen werde so | |
erspart, gegen ihre Familien auszusagen. | |
## Richter:innen sehen legitimes Ziel des Gesetzes | |
Im konkreten Karlsruher Fall ging es um ein verheiratetes Paar aus Syrien, | |
das 2015 in Aschaffenburg ankam; er war 21, sie war 14. Das Jugendamt | |
trennte das Paar und brachte das Mädchen in einer Einrichtung für | |
unbegleitete weibliche Flüchtlinge unter. Der 21-Jährige durfte sie einmal | |
pro Woche drei Stunden besuchen. Das Oberlandesgericht Bamberg hob zwar die | |
Maßnahme auf, denn die syrische Ehe sei wirksam, es gebe keine Anzeichen | |
für eine Zwangsehe. Doch dann kam die Gesetzesverschärfung. | |
Der Bundesgerichtshof (BGH) nahm im Dezember 2018 den Aschaffenburger Fall | |
zum Anlass, das neue rigide Gesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung | |
vorzulegen. Der BGH hielt den Automatismus im neuen Gesetz für | |
unverhältnismäßig. Das im Grundgesetz geschützte Kindeswohl gebiete eine | |
Prüfung im Einzelfall. Auch der Schutz der Ehe sei verletzt. | |
Das Bundesverfassungsgericht billigte jetzt aber den Kern des Gesetzes, die | |
automatische Nichtigkeit von im Ausland geschlossenen Kinderehen. Der | |
Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, sich auf eine Einzelfallprüfung zu | |
beschränken, denn diese sei nicht gleich wirksam, das Kindeswohl zu | |
schützen. Bis zu einem rechtskräftigen Gerichtsurteil über die Aufhebung | |
einer Ehe im Einzelfall könne es zu lange dauern. | |
Die automatische Unwirksamkeit von Kinderehen verfolge ein legitimes Ziel, | |
so die Verfassungsrichter:innen, den Schutz von Kindern. Unter 16-Jährige | |
seien meist noch nicht fähig zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung | |
über eine Eheschließung. Das Grundgesetz sehe die Ehe als eine auf | |
Gleichberechtigung angelegte Partnerschaft. Das bisherige Gesetz sei jedoch | |
in seinem derzeitigen Wortlaut „unvereinbar“ mit dem Grundgesetz. | |
Das Gericht zeigte dem Bundestag auf, welche zwei Regeln er bis 2024 | |
nachbessern muss, um das Gesetz verfassungskonform zu machen. Zum einen | |
müssen Mädchen einen Unterhaltsanspruch gegen den Mann bekommen, der nun | |
nicht ihr Ehemann ist. Außerdem sei eine Regelung erforderlich, die es | |
erlaubt, die Ehe wiederaufleben zu lassen, wenn das Mädchen volljährig wird | |
und die Ehe fortsetzen will. Bisher war eine neue Heirat erforderlich, die | |
oft an fehlenden Papieren scheiterte. | |
29 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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