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# taz.de -- Zwangsehen in Deutschland: Ministerium verschleppt Evaluation
> Das Bundesinnenministeriums hat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen
> nicht abschließend evaluiert – obwohl es dazu verpflichtet ist.
Bild: Kunstinstallation in Münster anlässlich des internationalen Tages zur B…
Berlin taz | Heiraten mit 16: Bis vor vier Jahren war das in Deutschland
erlaubt. Seit 2017 dürfen Ehen in Deutschland nur noch geschlossen werden,
wenn beide Verlobten volljährig sind. Und auch Ehen, die im Ausland von
Minderjährigen eingegangen wurden, sind nach deutschem Recht seitdem in den
meisten Fällen ungültig. Das regelt das Gesetz zur Bekämpfung von
Kinderehen, das damals in Kraft trat.
Nun ist die Bundesregierung verpflichtet, dieses Gesetz nach drei Jahren zu
evaluieren. Doch auch mit mehr als einem Jahr Verspätung steht die
Evaluation des Bundesinnenministeriums (BMI) noch aus, wie aus einer
Antwort des BMI auf eine Anfrage der stellvertretenden FDP-Bundeschefin
[1][Katja Suding] hervorgeht. Auch ein Datum zur Veröffentlichung der
Evaluation könne nicht genannt werden, so das BMI.
Die Antworten von Bundesfamilien- und Bundesjustizministerium liegen seit
August 2020 vor. Darin schreibt das Bundesjustizministerium ([2][BMJV]):
Knapp 60-mal seien Anträge auf Eheschließungen von Standesämtern seit
Inkrafttreten des Gesetzes bis ins erste Quartal 2020 abgelehnt worden.
Zudem habe es rund 100 Verfahren auf Aufhebung einer Ehe wegen
Minderjährigkeit gegeben.
Die Dunkelziffer, wie viele Fälle solcher Ehen es gibt, liegt laut der
Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes allerdings weit höher. Das liegt
unter anderem daran, dass es keine Regelung gibt, welche Behörde in welchen
Städten oder Kreisen konkret für die Erfassung der Daten zuständig ist.
Viele Bundesländer führen zudem keine Statistiken.
## In 11 Fällen Aufhebung der Ehe
In nur elf Fällen wurde eine Ehe mit oder zwischen Minderjährigen laut BMJV
in Deutschland tatsächlich aufgehoben. In den übrigen Fällen waren die
Eheleute beispielsweise ins Heimatland zurückgekehrt – oder es gab einen
„Härtefall“, der die Anwendung des Gesetzes verhindert. Dazu zählen zum
Beispiel gemeinsame Kinder der EhepartnerInnen.
Die letzte Studie zu Zwangsverheiratungen in Deutschland ist zehn Jahre
alt. Darin hielten sich die Wissenschaftler:innen allerdings zurück,
was konkrete Zahlen anging. Systematisch zusammengetragen und analysiert
wurde vor allem das Wissen von Beratungseinrichtungen hierzulande über
Menschen, die von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind.
Betroffen von Zwangsverheiratung seien gar nicht primär Minderjährige,
sondern vor allem Menschen zwischen 18 und 21 Jahren, schrieben die
Forscher:innen damals. Überwiegend hätten die Betroffenen
Migrationshintergrund, in vielen Fällen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Die Praxis lasse sich nicht auf bestimmte religiöse Traditionen
zurückführen, so die Studie, sondern komme in unterschiedlichen sozialen,
ethnischen und kulturellen Kontexten vor, auch in Europa. Klar sei dabei,
dass es sich um eklatante Menschenrechtsverletzungen handle.
Katja Suding fordert nun von der Bundesregierung „dringend“ eine
Folgestudie. Betroffene litten unter Zwangsverheiratung ein Leben lang,
heißt es in dem Antrag. „Das Leid der Mädchen in Deutschland durch
Kinderehen“, so Suding, „muss endlich ernst genommen und beendet werden.“
2 Aug 2021
## LINKS
[1] https://www.t-online.de/unterhaltung/stars/id_90483688/katja-suding-fdp-pol…
[2] https://www.bmjv.de/DE/Startseite/Startseite_node.html
## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
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Katja Suding
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Gewalt gegen Frauen
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