# taz.de -- Deportation von Roma und Sinti: Am Ort der Täter | |
> Die Ausstellung „Aus Niedersachsen nach Auschwitz“ ist dort zu sehen, wo | |
> die Verfolgung organisiert wurde: in der Polizeidirektion Hannover. | |
Bild: Auf diesen Fluren wurden die Deportationen organisiert: Ausstellungsplaka… | |
HANNOVER taz | Es ist nicht mehr ganz nachzuvollziehen, welche dieser Büros | |
die Herren belegt hatten. Aber irgendwo an diesen Fluren saßen sie, [1][die | |
Kripo-Beamten der „Dienststelle für Zigeunerfragen“]. Für die war nämlich | |
nicht die Gestapo zuständig, sondern die Kriminalpolizei, die damit zum | |
Teil schon im Kaiserreich befasst war. | |
Anders als die Gestapo, die durch die Nürnberger Prozesse zur | |
„verbrecherischen Organisation“ erklärt wurde, was die Entfernung der | |
Beamten aus dem Dienst zur Folge hatte, gab es hier kaum Konsequenzen zu | |
befürchten. „Das Schlimmste, was den Herren unseren Recherchen zufolge | |
passiert ist, war die frühzeitige Pensionierung“, sagt der Historiker Boris | |
Erchenbrecher bei der Eröffnung der [2][Sonderausstellung „Von | |
Niedersachsen nach Auschwitz“] in den Räumen der Polizeidirektion Hannover. | |
Die heute noch genutzte Polizeidirektion ist [3][ein trutziges Schlösschen] | |
mit allerlei Prunk und Zierrat, erbaut zwischen 1900 und 1903 für das | |
„Königlich Preußische Polizeipräsidium“ am Waterlooplatz. Im angeglieder… | |
Polizeigefängnis sind einige Zellen so klein, dass sie umgebaut werden | |
müssen, um heute noch auch nur einen einzigen Gefangenen aufnehmen zu | |
dürfen – im Männertrakt ist das schon geschehen, beim Frauentrakt steht | |
das noch aus, er darf deshalb am Ende des Ausstellungsrundgangs | |
mitbesichtigt werden. | |
Damals belegte man die Zellen mit 10 bis 15 Personen. Politische Häftlinge | |
verschwanden darin genauso wie Sinti und Roma und alle anderen, die dem | |
NS-System nicht genehm waren. Auch die demütigenden und sadistischen | |
rassenkundlichen Untersuchungen und Vermessungen fanden hier statt. Die | |
Erfassung und Festsetzung, die Sammlung in Lagern und die | |
Zwangssterilisationen wurden aus diesem Gebäude in Gang gesetzt. | |
## Prompt abrufbare Vorurteile | |
Von alldem erzählt die Ausstellung genauso wie von den langen Kontinuitäten | |
– von der Verfolgung seit dem Mittelalter, dem ungebrochenen Fortleben | |
rassistischer Stereotype lange nach dem Krieg, dem [4][endlosen Kampf um | |
Anerkennung und Entschädigung]. | |
„Ich habe in meinen 40 Dienstjahren immer wieder Vertretungsstunden in | |
verschiedenen Schuljahrgängen mit dem Thema bestritten“, erzählt der | |
pensionierte Lehrer Reinhold Baaske in seinem Vortrag zur | |
Ausstellungseröffnung. Baaske hat als Vorsitzender des Vereins für | |
Geschichte und Leben der Sinti und Roma in Niedersachsen die Ausstellung | |
mitkonzipiert. | |
„Es war erstaunlich, wie prompt all diese Stereotype und Vorurteile | |
abrufbar waren – nahezu unverändert in all diesen Jahren und obwohl kaum | |
einer dieser Schüler je bewussten Kontakt zu Sinti und Roma gehabt hatte.“ | |
Die Ausstellung ist nicht neu, 2003 war sie zum ersten Mal im | |
niedersächsischen Landtag zu sehen, 2017 noch einmal gründlich überarbeitet | |
worden, 2018 – zum 75. Jahrestag der Deportationen der norddeutschen Sinti | |
und Roma war sie erstmals in Bergen-Belsen zu sehen. Jetzt erst ist der | |
neue Begleitband erschienen. | |
Die Ausstellung entstand auf Anregung des Niedersächsischen Verbandes | |
Deutscher Sinti, in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen | |
Beratungsstelle für Sinti und Roma und dem Historischen Seminar der | |
Leibniz-Uni Hannover. | |
Sie konzentriert sich auf die Verfolgungsgeschichte der NS-Zeit, versucht | |
behutsam die Stimmen und Erinnerungen der Opferfamilien einzubringen, die | |
lokalen und regionalen Bezüge mit alten Fotos möglichst anschaulich zu | |
machen. | |
Das scheint auch notwendig, denn viele Dinge sind selbst historisch | |
Interessierten kaum bekannt: Wie etwa der [5][Gedenkort im Altwarmbüchener | |
Moor], dem Ort des hannoverschen Sammellagers, wo zum 80. Jahrestag der | |
größten Deportation Kränze und Blumen niedergelegt wurden. | |
Ein hölzernes Tor mit der Aufschrift „Das Tor zu Auschwitz war das Tor zur | |
Hölle“ und den Namen der Deportierten erinnert hier an die Verfolgung. | |
Sonst ist nicht viel übrig von dem Wagenplatz, an dem erst die Verfolgten | |
und nach dem Krieg erneut die Überlebenden zusammengepfercht wurden. | |
## Begrenzt zugänglich | |
Für die Öffentlichkeit sind die Text- und Bildtafeln in den Gängen der | |
Polizeidirektion allerdings nur begrenzt zugänglich: Sie bleibt bis zum 30. | |
März. Interessierte können sich per Mail an | |
[6][[email protected]] anmelden, um sich jeweils dienstags | |
oder donnerstags zwischen 17 und 19 Uhr durch die Ausstellung führen zu | |
lassen. | |
Schulklassen können die Ausstellung an diesen Tagen auch zwischen 10 und 12 | |
Uhr besuchen. In der restlichen Zeit soll sie vor allem für interessierte | |
Polizeiangehörige zugänglich sein. „Für die Kollegen werden ebenfalls | |
Führungen angeboten“, versichert die Pressestelle. | |
16 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] /NS-Morde-an-Sinti-und-Roma/!5752596 | |
[2] https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Verwaltungen-Kommunen/… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Polizeidirektion_Hannover#/media/Datei:Office… | |
[4] /Diskriminierung-von-Sinti-und-Roma/!5758524 | |
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Mahnmal_f%C3%BCr_die_Sinti_im_Altwarmb%C3%BCc… | |
[6] /[email protected] | |
## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
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