Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Scholz fliegt nach Indien: Auf Samtpfötchen nach Neu-Delhi
> Der Bundeskanzler reist nach Indien. In der Region ist das Land ein
> Schlüsselpartner für Deutschland – trotz enger Beziehungen zu Russland.
Bild: Für Olaf Scholz ist es die erste Indien-Reise seit Amtsantritt
Neu-Delhi/Berlin taz | Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Samstag die
Gedenkstätte des Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi in der indischen
Hauptstadt Delhi besucht, dürfte die Luft weniger getrübt sein als beim
Besuch seiner Amtsvorgängerin vor mehr als drei Jahren. Als Angela Merkel
2019 zu bilateralen Regierungskonsultationen anreiste, erwartete sie dicker
Smog. Doch seit dem Regierungswechsel und vor allem seit dem [1][russischen
Angriff auf die Ukraine] gab es eine „bemerkenswerte Vertiefung“ der
Beziehung zwischen beiden Ländern, heißt es aus deutschen
Regierungskreisen.
Nicht mehr die Wirtschaftsmacht China, sondern die größte Demokratie der
Welt steht heute im Zentrum deutscher Bemühungen. „Indien ist für uns der
Schlüsselpartner“, so das Kanzleramt, die Beziehungen zu dem
1,4-Milliarden-Einwohner-Land seien von „herausragender strategischer
Bedeutung“. Kaum einen anderen Regierungschef hat der Bundeskanzler in den
vergangenen Monaten so häufig getroffen wie den indischen Premierminister
Narendra Modi.
Vor fast einem Jahr reiste Modi zu Regierungskonsultationen nach Berlin, im
Sommer lud ihn Scholz zum G7-Gipfel nach Elmau ein und auf Bali trafen sich
beide zu Gesprächen am Rande des G-20-Gipfels. Dieses Jahr hat Indien
selbst den Vorsitz der Gruppe der führenden Industrie- und Schwellenländer
inne. Und Scholz macht seine Aufwartung in Neu-Delhi.
Auf seiner ersten Indien-Reise seit Amtsantritt wird er neben
Premierminister Modi auch Präsidentin Droupadi Murmu treffen. Beide gehören
der hindunationalistischen Volkspartei BJP an, die Indien seit über acht
Jahren regiert.
## Das deutsche Ziel: Putin indirekt schwächen
Zudem ist ein runder Tisch mit Wirtschaftsvertreter:innen geplant.
Zusammen mit Scholz reisen Vorstandsvorsitzende, unter anderem von Siemens
und SAP, nach Indien. Es geht um neue Partnerschaften, unter anderem im
Bereich erneuerbarer Energien und für die Gewinnung von Wasserstoff, aber
auch um Zugang zu Rohstoffen und um Freihandel.
Das Werben der Deutschen um den asiatischen Subkontinent hat vor allem
geostrategische und wirtschaftliche Gründe. Indien hat in der
UN-Vollversammlung den russischen Angriffskrieg zwar nicht verurteilt,
sondern sich der Stimme enthalten. Dennoch sei man sich in Gesprächen
hinter den Kulissen sehr einig, wer in diesem Krieg Aggressor und wer Opfer
sei, so das Kanzleramt.
Und: Ohne Indien wäre es kaum möglich gewesen, beim G20-Gipfel auf Bali im
Herbst eine Mehrheit der Staaten hinter eine Erklärung zu bringen, die den
russischen Angriffskrieg verurteilt. Indien habe hier ein ausgesprochen
konstruktive Rolle gespielt.
In Berlin hofft man, dass Indien sein Gewicht weiter nutzen wird, um Moskau
international zu isolieren und so zu Verhandlungen zu bewegen. Indien sei
eine wichtige Stimme bei Bemühungen um die Beendigung des Ukraine-Krieges,
formulierte es der Sicherheitsberater des Kanzlers Jens Plötner kürzlich in
Neu-Delhi. Außenministerin Annalena Baerbock sprach bei ihrem [2][Besuch
Ende letzten Jahres] von einer Wertepartnerschaft und verdeutlichte:
Deutschland will enger mit Indien zusammenarbeiten und damit Putin
schwächen.
## Die Bundesregierung schaut weg
Dennoch unterhält Indien weiterhin enge Beziehungen nach Moskau. Russland
ist seit vielen Jahren der größte Rüstungslieferant Indiens. Die Waffen aus
russischer Produktion setzt Indien in seinen Konflikten ein – mit dem
größten Rivalen China einerseits und dem Erzfeind Pakistan andererseits.
Zuletzt lief in Nordindien eine gemeinsame indisch-russische Produktion von
Kalaschnikows an. Außerdem stiegen die vergünstigten Ölimporte aus Russland
an, das Öl erreicht raffiniert auch die EU.
Das gehe Deutschland im Grunde nichts an, äußerte sich der deutsche
Botschafter in Neu-Delhi, Philipp Ackermann, versöhnlich. Im Kanzleramt
sieht man es ähnlich: Die Sanktionen habe die EU erlassen, man könne nicht
erwarten, dass Indien nun das Gleiche mache. Auch der Konflikt im geteilten
Kaschmir, wo Indien, Pakistan und China um die Vormacht kämpfen, scheint
vergessen. Gleiches gilt für die wackelnde Pressefreiheit in Indien.
Zuletzt war die Regierung wegen einer [3][Modi-kritischen Sendung] gegen
die britische BBC im Land vorgegangen.
Aus Kreisen der deutschen Regierung heißt es nun, es sei unangebracht,
Noten auf der Demokratieskala zu vergeben – Indien sei eine große und
lebendige Demokratie. Ganz klar: Die deutsche Regierung hat sich im Umgang
mit Indien äußerste Zurückhaltung auferlegt, nach dem Motto: Bloß keinen
Druck machen, der Indien zurück in die Arme Russlands treiben könnte.
## Allergrößte Zurückhaltung
Wirtschaftlich will Deutschland in Indien mittelfristig Russland den Rang
ablaufen. In Berlin sieht man jedenfalls „riesiges Potential zur
Zusammenarbeit“ mit der fünftgrößten Volkswirtschaft der Welt. Derzeit
beläuft sich der Handel zwischen Deutschland und Indien auf 30 Milliarden
Euro. Doch die wirtschaftliche Kooperation könne weiter wachsen, so der
deutsche Botschafter in Delhi.
Die deutschen Unternehmen hoffen auf breiteren Zugang zu den indischen
Beschaffungsmärkten, Indien auf mehr Wissenstransfer und deutsche
Investitionen. Und das über die bereits bestehende Energiepartnerschaft und
die Kooperation bei erneuerbaren Energien hinaus.
Die Nachwehen der Corona-Pandemie belasten die Länder Südasiens, von denen
viele gerade erst frische Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF)
erhalten haben. Indiens Wirtschaft aber wächst nach der Pandemie wieder
langsam. Das Land hat sich aber höhere Ziele gesteckt.
Mit der EU laufen derzeit wieder Gespräche über ein Freihandelsabkommen.
Der Kanzler werde für Fortschritte werben, die Verhandlungen seien jedoch
nicht einfach. Indien wird als „selbstbewusster“ Verhandlungspartner
wahrgenommen.
Auch das Thema Fachkräfte werden Scholz und Modi in Delhi besprechen. Ende
des Jahres 2022 unterzeichneten Berlin und Delhi eine Migrations- und
Mobilitätspartnerschaft, Deutschland versprach Visa für Studierende und
Fachkräfte. Doch es läuft noch nicht rund. So mussten indische Studierende
ihren geplanten Studienbeginn in Deutschland verschieben. Visaerleichterung
für indische Studierende und Fachkräfte werden also auch ein Thema sein. Es
gelte das Abkommen jetzt mit Leben zu füllen, das könne auch eine Blaupause
für Abkommen mit anderen Ländern sein, heißt es aus deutschen
Regierungskreisen.
Die Route des Kanzlers kreuzt sich mit der seines Finanzministers.
Christian Lindner ist seit Donnerstag beim G20-Treffen der Finanzminister
in der südindischen Tech-Metropole Bangalore, von der sich auch der Kanzler
am Samstag einen Eindruck machen wird. Außenministerin Annalena Baerbock
wird Anfang März zum G20-Außenminister:innentreffen nach Indien reisen.
Und auch Scholz hat schon den nächsten Flug nach Delhi gebucht. Im Herbst
wird er zum G20-Treffen erwartet. Kein Zweifel: Die Bemühungen um Indien
sind groß, die Erwartungen riesig und der Ton so sanft und schmeichelnd wie
nie.
24 Feb 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] /Baerbocks-Besuch-in-Indien/!5896731
[3] /Zensur-von-BBC-Doku-in-Indien/!5912022
## AUTOREN
Natalie Mayroth
Anna Lehmann
## TAGS
Indien
Narendra Modi
Olaf Scholz
Indien
Olaf Scholz
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Olaf Scholz’ Indien-Besuch: Nahe und ferne Hoffnungen
Wirtschaftlich erhoffen sich beide Länder einiges voneinander. Doch
Beanstandungen zu heiklen Themen, etwa der Ukraine, machte Olaf Scholz
kaum.
Olaf Scholz reist nach Indien: Annäherungstanz des Kanzlers
Olaf Scholz schmeichelt Indien beim Staatsbesuch. Im Fokus:
Freihandelsabkommen, Fachkräftezuwanderung und ein mögliches
U-Boot-Geschäft.
UN-Resolution zum Ukrainekrieg: Kein großer Triumph
141 Staaten fordern Russlands Abzug aus der Ukraine. Aber von einer breiten
internationalen Isolation Russlands kann weiterhin nicht die Rede sein.
Durchsuchungen bei BBC in Indien: Kritik an staatlichem Vorgehen
Nach der Ausstrahlung einer kritischen Doku über Premierminister Modi
durchsuchen Beamte BBC-Büros in Indien. Vorwurf: Steuerhinterziehung.
Zensur von BBC-Doku in Indien: Altlasten vertuschen
Die indische Regierung geht mit Notstandsbefugnissen gegen eine kritische
BBC-Doku über Premierminister Narendra Modi vor. Die Pressefreiheit
schrumpft im Land.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.