| # taz.de -- Berliner Ausstellung „Gestern wie heute“: Wanderer zwischen den… | |
| > In seiner Kunst fungiert Said Baalbaki als Sammler und Forscher. Zu sehen | |
| > sind seine Werke in der Galerie Nord in Moabit. | |
| Bild: In Vitrinen stehen Skelette der geflügelten Reittiere „Al Burak“, In… | |
| Es sind gleich mehrere Rollen, die Said Baalbaki in seiner Ausstellung | |
| „Gestern wie heute“ in der Galerie Nord annimmt. In dem mittleren und | |
| größten Raum kann man den Künstler, der seit zwanzig Jahren in | |
| Berlin-Moabit lebt, als Maler und Gestalter von Skulpturen kennenlernen. Im | |
| linken Raum wird er zu einem Geschichtenerzähler, der in Mythen und | |
| Abenteuer der Archäologie eintaucht. | |
| Wie ein Kabinett in einem wissenschaftlichen Museum ist dieser Raum | |
| gestaltet, der sich um Al Burak, das geflügelte Reittier des Propheten | |
| Mohammed dreht. Im rechten Raum schließlich erweist sich Said Baabaki als | |
| Sammler und Forscher, der dem Schicksal eines vergessenen Künstlers, Jussuf | |
| Abbo, nachgegangen ist. | |
| Unter dem Titel „Der heimatlose Prinz – Das Jussuf-Abbo-Projekt“, stellt … | |
| den Zeichner und Bildhauer vor, der 1911 aus Syrien nach Berlin kam und in | |
| den folgenden Jahren in der Kunstszene Berlins Fuß fasste, mit Else | |
| Lasker-Schüler befreundet war, mit Illustrationen in Büchern und mit | |
| Skulpturen in Ausstellungen gegenwärtig war. Bis ihn, den Sohn | |
| jüdisch-syrischer Eltern, der Nationalsozialismus in die Emigration zwang | |
| und er als Künstler vergessen wurde. | |
| Diese vielen Rollen können bei Besucher:innen der Ausstellung zunächst | |
| Verunsicherung auslösen. Was ist von ihm, was ist von anderen? Was ist | |
| Behauptung, was ist Fakt? Aber bald lässt sich das in der Begegnung mit den | |
| Werken sortieren. Und der Zustand der Verunsicherung ist ein entscheidendes | |
| Element in Baalbakis Werk, ein roter Faden, der seine unterschiedlichen | |
| Rollen miteinander verbindet. | |
| ## Der westliche Blick auf den Orient | |
| Said Baalbaki kommt aus dem Libanon und pendelt oft zwischen Berlin und | |
| Beirut. Der westliche Blick auf den Orient beschäftigt ihn dabei wie in der | |
| Installation „Al Burak“. Sie gleicht mit ihrer geprägten Stofftapete, den | |
| eleganten Vitrinen aus Holz und Glas einem Museumsraum, der die Schönheit | |
| von Artefakten der islamischen Kultur auch wie ein Märchen feiert. | |
| Hier ist der Geist des Staunens und der aufgeregten Entdeckungen lebendig, | |
| wie in den Abenteuerfilmen über archäologische Ausgrabungen. Viele | |
| historische Abbildungen von mythischen geflügelten Tieren, Pferden, | |
| Sphingen und Stieren finden sich in den Vitrinen, die in den begleitenden | |
| Texten als Sammlung des deutschen Archäologen Werner von Königswald | |
| ausgegeben werden. | |
| Doch von Königswald ist ebenso eine Erfindung von Said Baalbaki wie der | |
| Ornithologe Heinrich Ralph Glücksvogel, mit dem von Königswald einen | |
| Knochenfund aus Jerusalem diskutierte, von dem er glaubte, das er das | |
| Skelett des sagenhaften Al Burak, des Reittiers des Propheten, darstellte. | |
| Rekonstruktionen des Skeletts, mal mit Tier-, mal mit menschlichem Kopf, | |
| mal mit Flügeln, mal auch mit Händen, finden sich vielfach in den Vitrinen. | |
| Die vielen Diskussionen, die heute um die kolonialen Machtverhältnisse der | |
| Zeit gehen, in denen museale Sammlungen entstanden, kommen einem zwar beim | |
| Betrachten dieses fiktiven Museums in den Sinn, zumal auch eine | |
| Grabungserlaubnis ausgestellt ist. Aber die Installation umschifft diesen | |
| Diskurs und erfreut sich mehr an der Erzeugung von Glaubhaftigkeit, an der | |
| Nachahmung der Sprache der Wissenschaft, an den Darstellungsformen der | |
| Museen, die eben lange Zeit den Kontext der Machtverhältnisse ausblendeten. | |
| ## Visuell anziehende Arbeiten | |
| Der Künstler Said Baalbaki ist in diesem Raum Inszenator, Ausstatter, | |
| Erfinder und Erzähler. Anders zeigt er sich in seinen Gemälden und | |
| Skulpturen. Bilder von gestapelten Koffern in melancholisch dunklen Farben | |
| kann man zu seinem Weg aus dem Bürgerkriegsland Libanon nach Berlin in | |
| Beziehung setzen. Das Bild eines Kohlenträgers, als Sisyphos betitelt, | |
| hängt mit der Erfahrung der Berliner Winter in Ofenheizungswohnungen | |
| zusammen. Aber das Material Brikett, die glänzen wie glasierte Ziegel, | |
| nutzt er auch zum Bau architektonischer Modelle. | |
| Visuell anziehend und zunächst geheimnisvoll sind skulpturale Arbeiten, in | |
| denen Gürtel, in Metall nachgegossen, Schriftzeichen nachbilden. Das | |
| Elegante der Kalligraphie steht in einem spannenden Gegensatz zu dem Objekt | |
| Gürtel, der auch etwas Bedrohliches hat. Die Schriftzeichen zitieren aus | |
| dem Koran, etwa deutsch übersetzt „Kein Zwang im Glauben“. Damit wird eine | |
| symbolische Ebene eingeführt. Seine Erfahrungen zwischen Berlin und Beirut | |
| bilden dabei in seinen Skulpturen und Gemälden einen Anker. | |
| Der emotionalste Teil der Ausstellung ist das Kapitel über Jussuf Abbo. | |
| Said Baalbaki hat viele Jahre geforscht und gesammelt, um Dokumente und | |
| Werke des verdrängten Künstlers präsentieren zu können. Seine kleinen | |
| Skulpturen stehen jetzt auf großen Transportkisten als Sockeln, was noch | |
| einmal ihre Verletzlichkeit hervorhebt. Seine Figuren haben oft etwas | |
| Inniges, eine nach innen gekehrte Energie. Ein Liebespaar aus einer | |
| Grafikmappe verschmilzt von dunklen, dicken Umrisslinien gehalten fast zu | |
| einer Figur. | |
| 5 Mar 2023 | |
| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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