| # taz.de -- Der Panzer und die Punks: Den Schrott vor die Tür stellen | |
| > Ob russischer Panzer vor russischer Botschaft oder Widerstand von Punks | |
| > gegen die Volkspolizei: Der anarchistische Impuls ist meist politisch | |
| > richtig. | |
| Bild: Dieser russische Panzer sollte Kiyiv erorbern, wurde aber durch eine Panz… | |
| Erst kam der Winter zurück, dann kam der Panzer. Das abrupte Sinken der | |
| Temperatur in der Nacht wäre auszuhalten gewesen. Es ist Winter in Berlin. | |
| Man nimmt ihn hin, wie jedes Jahr. Das Problem war der Regen und der | |
| beißende Wind, die sich dazugesellten, als ich am Freitagvormittag auf dem | |
| Weg ins Büro einen Schlenker Richtung russische Botschaft machte. | |
| Bis zuletzt hatte ich leisen Zweifel gehegt, ob er wirklich da sein würde, | |
| der Panzer. Es handelt sich um ein Exemplar des Modells T-72 B1, noch zu | |
| Sowjetzeiten, im Jahr 1985 hergestellt. In den ersten Kriegstagen bei der | |
| Schlacht um Kyiv war das Kriegsgerät der Invasoren nahe dem Dorf Dmytrivka | |
| durch eine Panzerabwehrmine zerstört worden. | |
| ## Sie machen jeden Tag weiter | |
| Und nun stand er wirklich Unter den Linden. Auf dem breiten Mittelstreifen | |
| zwischen den Fahrspuren ruhte der Panzer auf einer Lafette, seine Kanone | |
| auf die russische Botschaft gerichtet. Keine freundliche Geste, aber | |
| angemessen, wenn man den Vertretern dieses Staats deutlich machen will, was | |
| man von seiner faschistischen und imperialistischen Politik hält. | |
| Oder, wie es die Initiatoren dieser künstlerischen Intervention | |
| formulierten: „Wir wollen den Terroristen ihren Schrott wieder vor die Tür | |
| stellen. Sie haben gemordet, geplündert, Millionen Menschen vertrieben und | |
| machen einfach jeden Tag weiter.“ So hatte es vorab Wieland Giebel vom | |
| Berlin Story Verlag gesagt, der gemeinsam mit Enno Lenze die Aktion plante, | |
| die peinlicherweise beinahe vom Bezirksamt Mitte von Berlin verhindert | |
| worden wäre. | |
| ## Hase und Igel | |
| Angeblich stand auf einigen Panzern, die auf die ukrainische Hauptstadt | |
| zurollten, die Parole „Nach Berlin“. Es ist nicht anzunehmen, dass die | |
| russischen Panzer wirklich weiter gen Berlin rollen sollten. Die Parole | |
| verweist lediglich auf Putins lächerliche Propaganda, wonach dieser Krieg, | |
| der auf die Vernichtung eines benachbarten demokratischen Staats abzielt, | |
| eine Wiederholung des „Großen Vaterländischen Kriegs“ sei: Einst saßen d… | |
| Nazis in Berlin, nun in Kyiv? Wie gut diese irre Erzählung funktioniert, | |
| zeigt sich einen Tag später, als Sahra Wagenknecht vor dem Brandenburger | |
| Tor gegen „grüne Panzernarren“ agitiert. | |
| Aber noch ist Freitag, und ich habe das Vergnügen, mich abends in der | |
| Buchhandlung Einar & Bert mit Henryk Gericke unterhalten zu dürfen, der | |
| sich darum verdient macht, die Geschichte von Punk in der DDR vor dem | |
| Vergessen zu bewahren. Danach erzählt ein Punk aus Halle, wie sie auf | |
| Pressefesten mit ihren Ghettoblastern die sozialistische Ordnung infrage | |
| stellten und viel Spaß daran hatten, [1][mit den staatlichen Organen, die | |
| Punks brutal und mit allen Mitteln des Unrechtsstaats verfolgten], Hase und | |
| Igel zu spielen. | |
| ## „Hallo, hier sind wir!“ | |
| Brave Bürger wurden von den Punks dabei als Deckung genutzt. Man legte | |
| sich, wenn einem die Volkspolizei zu nahe kam, kurz neben die Picknickdecke | |
| einer Familie, natürlich nicht, ohne vorher freundlichst um Erlaubnis | |
| gebeten zu haben, um der Exekutive wenig später aus der Ferne zuzurufen: | |
| „Hallo, hier sind wir!“ | |
| Wenn ein Vopo das Pech hatte, allein einem Punk gegenüberzustehen, konnte | |
| es vorkommen, dass er eine aufs Maul bekam, sagt der alte Punk aus Halle | |
| und freut sich noch vierzig Jahre später darüber. Der Macht, die | |
| missbraucht wird, ist halt nicht immer mit friedlichen Mitteln beizukommen. | |
| Was den Hallenser Punks selbstverständlich war, ist den Wagenknechts, | |
| Lafontaines und Schwarzers keine Überlegung wert. | |
| ## Seine Band, seine Instrumente | |
| Später ziehe ich weiter zum Geburtstagskonzert von ZSK. Deren neues Album, | |
| „Hass Liebe“, ist eben erschienen und gleich auf Platz vier der deutschen | |
| Charts eingestiegen. Die Halle ist ausverkauft und voller junger Leute. Im | |
| 25. Jahr nach ihrer Gründung dürfen sich ZSK darüber freuen, dass ihnen das | |
| problemlos gelingt. Backstage schneidet [2][Sänger Joshi] selbst den | |
| Geburtstagskuchen an und verteilt ihn. Ihm ist wichtig zu betonen, dass er | |
| nach Konzerten selbstredend auch beim Einladen der Instrumente hilft: Seine | |
| Band, seine Instrumente. Wenn es ein Weekend-Fazit zu ziehen gälte, fände | |
| ich mich in der Auffassung bestätigt, dass man sich auf Anarchistinnen und | |
| Anarchisten praktisch wie politisch meist verlassen kann. | |
| Auf dem Heimweg eskaliert das Wetter weiter, Eisregen. Sonntags endlich | |
| Sonne, allein die Nase läuft bereits. | |
| 28 Feb 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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