# taz.de -- Historische Flugplatzhallen plattgemacht: Kulturelles Erbe versus W… | |
> Denkmalschutz für Hallen, in denen Flugpioniere bastelten? Fehlanzeige. | |
> Die Überreste des Flugplatzes Berlin-Johannisthal sollen verschwinden. | |
Bild: Alte Hallen des ehemaligen Flugplatzes Johannisthal sollen verschwinden | |
BERLIN taz | Die Bagger sind schon da und verrichten ihr zerstörerisches | |
Werk. Was sie gerade einreißen und plattmachen, ist nicht weniger als die | |
Wiege, der Ursprung der deutschen Luftfahrt. So sehen das jedenfalls | |
Karsten Feucht und Nils R. Schultze, die jahrelang als Vertreter des | |
[1][Berliner Kulturerbenetzes] dafür gekämpft haben, möglichst viele der | |
unter Denkmalschutz stehenden Gebäude auf dem 1909 eröffneten ehemaligen | |
[2][Flugplatz Johannisthal] im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick zu retten. | |
Den Kampf aber haben sie weitgehend verloren. | |
Der Bebauungsplan steht seit Anfang Januar dieses Jahres und sieht vor, | |
dass mehr oder weniger alles hier rasiert wird und dem Bau von 1.800 | |
Wohnungen weichen muss. | |
## Historisch bedeutungsvoll | |
Man geht mit den beiden das umzäunte Gelände entlang, sieht riesige | |
ehemalige Flughallen und Verwaltungsgebäude, die ziemlich verfallen wirken. | |
Das seien trotzdem erhaltenswerte, einmalige, historisch bedeutungsvolle | |
und architektonisch besondere Gemäuer. Aus deren Substanz ließe sich noch | |
etwas machen. Und dann geht man vorbei an einem eher unscheinbaren | |
ehemaligen Pförtnerhäuschen. Ausgerechnet das unter den Gesichtspunkten des | |
Denkmalschutzes wertlose Gebäude dürfe bleiben. | |
Man merkt: Die beiden verhinderten Flugplatzretter finden es wirklich gar | |
nicht gut, was hier gerade passiert. Dann zeigen sie auf die ehemalige 150 | |
Meter lange Flughalle 4, aus der eine Markthalle werden soll. Wie mit der | |
genau verfahren werden soll, sei noch nicht klar, eventuell werde sie | |
rekonstruiert. Dass hier die Bagger noch nicht randürfen, immerhin das | |
hätten sie mit ihrem Engagement erreicht, sagen sie. | |
Ganz leicht fällt es nicht, die Schwärmerei für ein Areal zu teilen, das | |
seit fast drei Jahrzehnten vor sich hin rottet. 1995 verließ der letzte | |
Nutzer der Hallen, der hier Kühlschränke herstellte, den Standort. Danach | |
gab es mehrere Brände, und wenn man sich die Hallen nun als Laie so | |
anschaut, denkt man sich, bei diesem Schmuckstück aus der Abteilung der | |
„Rotten Places“ ist eigentlich nichts mehr zu retten. | |
Aber dann stecken einen die beiden Flugplatz-Guides doch ein wenig an mit | |
ihrer Schwärmerei für diesen Ort, an dem der Geschäftsmann Arthur Müller | |
Anfang des 20. Jahrhunderts den ersten privat betriebenen Flugplatz | |
Deutschlands überhaupt hinstellte. | |
## Tollkühne Flugpioniere | |
Karsten Feucht holt nun seinen Laptop raus und zeigt historische Bilder | |
von tollkühnen Flugpionieren, die hier teilweise selbst an eigenen | |
Flugkisten bastelten in der Hoffnung, dass diese vom Boden abheben würden. | |
Es gab regelrechte Flugwettbewerbe mit Preisgeldern damals, und die Leute | |
kamen in Scharen, um spektakuläre Crashs zu erleben. | |
Feucht drückt einem dann noch das Buch „Als die Oldtimer flogen“ über die | |
Geschichte des Flugplatzes Johannisthal in die Hand. Flugapparate mit | |
Fledermausflügeln sind in diesem abgebildet oder eine völlig bizarr | |
anmutende Konstruktion, die sein Erfinder „Luftfahrtgestühl“ nannte und die | |
er dann eigenhändig kurz und klein schlug, als er einsehen musste, dass | |
dieses Ding niemals flugfähig sein würde. | |
## Nosferatu lässt grüßen | |
Rumpler, Fokker und die [3][Gebrüder Wright], alle waren sie hier, um immer | |
noch bessere Flugmaschinen zu bauen und auszuprobieren. Bis der Erste | |
Weltkrieg kam und das Gelände nur noch militärisch genutzt wurde und der | |
Abstieg des Flugplatzes begann. | |
Nach dem Krieg durften gemäß dem Versailler Vertrag nur noch sehr | |
beschränkt Flugzeuge in Deutschland gebaut werden. In den Hallen, die nun | |
abgerissen werden, wurden stattdessen Autos gefertigt und ein Filmstudio | |
zog ein, in dem unter anderem Teile des Klassikers [4][„Nosferatu“] von F. | |
W. Murnau gedreht wurde. Feucht erklärt, Flugplatzbetreiber Arthur Müller | |
sei einfach ein findiger Geschäftsmann gewesen, dem immer wieder Neues | |
einfiel, um seine Hallen nicht schließen zu müssen. | |
Auf der südlichen Seite des Flugplatzes forschten die Nazis dann später | |
heimlich, um Kampfflugzeuge zu entwickeln. Unter anderem in dem | |
kegelförmigen sogenannten Trudelturm, in dem bestimmte aerodynamische | |
Phänomene simuliert wurden. Der Turm steht noch, so wie das meiste auf | |
diesem Teil des Flugplatzes, und er ist auch zu sehen auf dem Cover der | |
aktuellen Platte von Rammstein. | |
Karsten Feucht sagt: „Die Bauten der Nazis hat man letztlich gerettet, die | |
aus der Zeit der zivilen Flugpioniere werden nun zerstört.“ Die Erinnerung | |
an Letztere werde damit weitgehend verblassen, befürchtet er. | |
1 Mar 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://kulturerbenetz.berlin/profil/ | |
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Flugplatz_Johannisthal | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Br%C3%BCder_Wright | |
[4] /Ausstellungen-zu-Filmklassiker-Nosferatu/!5900806 | |
## AUTOREN | |
Andreas Hartmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Erinnerungskultur | |
Denkmalschutz | |
Treptow-Köpenick | |
Luftfahrt | |
wochentaz | |
Ampel-Koalition | |
Abriss | |
Schwerpunkt Stadtland | |
Denkmalschutz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Besteuerung von Oldtimern: Alter, das kann teurer werden | |
Oldtimer werden als Kulturgut günstiger besteuert. Doch immer mehr Autos | |
fallen darunter. Dem Staat entgehen so jährlich bis zu 170 Millionen Euro. | |
Protestaktion gegen Abriss und Neubau: Rettet die West-Platten | |
Rund um die Kurfürstenstraße in Berlin-Tiergarten sollen mehrere prägende | |
Gebäude bald abgerissen werden. Irrsinn, findet eine Initiative. | |
Berliner Kampfzone Friedrichstraße: Streit um einen freudlosen Schacht | |
Ohne Autos droht Ödnis in der Berliner Friedrichstraße, sagen die einen. | |
Andere wollen eine Flaniermeile. Kommt die aber wirklich, wäre das ein | |
Wunder. | |
Tag des Denkmals in Berlin: Vom Aussterben bedroht | |
Die Initiative Kulturerbenetz Berlin veröffentlicht anlässlich des Tags des | |
Denkmals eine rote Liste mit 70 bedrohten Orten in der Hauptstadt. |